Dom Museum Wien
Jeden Augenblick kann jeder von uns sterben
Die Ausstellung „Sterblich sein“ im Dom Museum Wien hat unerwartet hohe Besuchszahlen. Sich mitten im Leben mit dem Sterben zu beschäftigen, ist selten so leicht wie hier.
MONIKA SLOUK
Das Dom Museum Wien ist nicht groß. Doch die Ausstellung „Sterblich sein“ beweist, dass man sich auch in wenigen Räumen viele Stunden aufhalten kann. Das Thema ist persönlich und gleichzeitig allumfassend, die gewählten Blickwinkel sind einerseits intim, andererseits für die Gesellschaft relevant. Die Kunstwerke aus vielen Jahrhunderten bis in die Gegenwart ermöglichen einen ungezwungenen Zugang zum Sterben, wie ein Museumsbesuch mit Direktorin Johanna Schwanberg zeigt.
Mit welcher Idee haben Sie die Ausstellung über das Sterben gestaltet?
Johanna Schwanberg: Es war schon lange ein Wunsch von mir, eine Ausstellung über Tod und Sterblichkeit zu machen. Erstens ist das mit unseren Sammlungen auf gut Wienerisch „aufgelegt“, weil viele Werke den Tod thematisieren. Zweitens ist es ein Thema, das zentral mit der Existenz jedes einzelnen Menschen verbunden ist. Es ist eines der spannendsten Themen der Kunst. Wir hatten als Museumsteam aber auch Bedenken, ob wir es den Besucher:innen zumuten können. Ob eine Familie am Sonntag sagt, ja, gehen wir mit den Kindern in eine Ausstellung über den Tod! Man muss ja als Museum auch wirtschaftlich denken.
Dennoch haben Sie es gewagt.
Schwanberg: Ja, ich bin der Überzeugung, dass Museen Themen aufgreifen müssen, die die Menschen wirklich etwas angehen, auch wenn sie unbequem sind. Wer, wenn nicht wir als Dom Museum, im Herzen Wiens, gegenüber dem Stephansdom, soll das Thema Sterben behandeln? Unser Ziel war, die Angst und Tabuisierung abzubauen und zu sagen: Anhand von Kunst ist es möglich, sich im geschützten Raum eines Museums auf liebevolle Weise mit dieser für uns alle bedrohlichen Frage zu befassen. Das Erstaunliche ist, dass es funktioniert! Die Ausstellung wird sehr gut angenommen. Jeder Mensch ist im Leben jederzeit verwundbar. Jede Minute kann jeder von uns sterben. Das in das Leben zu integrieren, statt es zu verdrängen, kann ein Gewinn an Lebensqualität sein. Wir haben die besten Besuchszahlen, die wir je hatten. Auch der Zeitpunkt ist richtig.
„Anhand von Kunst ist es möglich, sich im geschützten Raum eines Museums auf liebevolle Weise mit dieser für uns alle bedrohlichen Frage zu befassen.“
DIREKTORIN JOHANNA SCHWANBERG
Meinen Sie den Zeitpunkt nach der Pandemie?
Schwanberg: Es gibt mehrere Gründe. Einerseits haben in der Coronazeit viele Menschen gespürt, dass wir verletzbarer sind als wir uns das in unserer hochtechnisierten Gesellschaft eingestehen. Aufgrund der langen Friedenszeit im westlichen Europa und den medizinischen Errungenschaften haben wir uns fast unverwundbar gefühlt, ganz anders als in früheren Jahrhunderten. Die Bilder der vielen Särge aus Italien vom Beginn der Coronazeit haben viele geschockt. Es wurde klarer, dass auch unser eigenes Leben jederzeit bedroht ist. Mit den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten ist der Tod uns in anderer Form nahe gerückt.
Der Zeitpunkt passt auch gut in die Abfolge von Ausstellungen im Dom Museum Wien. Nach der sinnlichen und lebensfrohen Ausstellung „Mahlzeit“, die sehr viele Besucher:innen hatte, haben wir uns getraut, ein unbequemes Thema anzugehen, bei dem vielleicht viel weniger Leute kommen würden. Das Gegenteil ist aber der Fall.
Welche Resonanz gibt es bei den Menschen, die die Ausstellung besuchen?
Schwanberg: Wir bekommen viele Rückmeldungen von Besucher:innen, die berührt, aber auch dankbar sind, dass ihnen die Ausstellung die Möglichkeit gegeben hat, etwa mit ihren Kindern über das Sterben zu sprechen. Das war das Ziel, und es ist schön, dass es funktioniert. Auch zu einzelnen Werken bekommen wir Reaktionen. Sei es zu einer Malerei, die den Tod im Krieg thematisiert oder zu Fotografien von Gegenständen, die bleiben, wenn ein Mensch nicht mehr lebt. Ein Raum mit Blick auf den Stephansdom wurde von uns interaktiv gestaltet: Hier haben Besucher:innen die Möglichkeit, der Menschen zu gedenken, die sie verloren haben. In vielen Sprachen schreiben sie ihre Erinnerungen und Wünsche auf Schilder und hängen sie im Raum auf. Mittlerweile umfasst die Installation schon mehr als 2.000 solcher Gedenkkarten.
Hat sich Ihr persönlicher Zugang zum Sterben durch die Ausstellung verändert?
Schwanberg: Ja, das war ein Prozess. Es gab vorher die Befürchtung, dass die lange Beschäftigung mit dem Thema deprimierend sein könnte für das Team. Ich habe aber eher das Gefühl, dass eine gewisse Leichtigkeit hineingekommen ist. Persönlich kam noch dazu, dass mein Vater fast gleichzeitig mit der Eröffnung verstorben ist. Erst dachte ich, dass es ein furchtbares Zusammenspiel von Kunst und Leben ist. Aber dann habe ich bemerkt, dass ich mich vielleicht durch die Vorbereitung ganz anders auf das Begleiten des Sterbeprozesses einlassen konnte. Ich vermute, dass ich nicht so offen mit dem Sterben umgegangen wäre, wenn ich mich nicht so intensiv damit beschäftigt hätte. Diesen offeneren Zugang wünsche ich auch unseren Besucher:innen. Sterben wird dadurch nicht automatisch weniger schmerzhaft oder bedrohlich, aber man kann den Umgang damit aktiver gestalten.
Autor:martinus Redaktion aus Burgenland | martinus |
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