Es braucht einen Plan und guten Willen

Europabischof Ägidius Zsifkovics erteilt Kräften, die nationale Alleingänge über das das völkerverbindende Friedensprojekt stellen, eine klare Absage. Für ihn ist klar: „Europa sind wir alle.“ Überzeugt ist er auch, dass Europa viel Religion verträgt.

Beim Interview vor der EU-Wahl am 9. Juni bekennt sich Europabischof Ägidius Zsifkovics als großer Freund der Europäischen Union, denn sie sichert den Völkern ein gutes Leben in Freiheit.

Herr Bischof Zsifkovics, vor dieser EU-Wahl ist vielerorts von einer Richtungsentscheidung, von einer Richtungswahl zwischen mehr Europa und weniger Europa die Rede. Wo sehen Sie denn die größten Herausforderungen, vor denen Europa steht?

Ägidius Zsifkovics: Ich denke, im Angesicht dieses Kriegs, der in der Nachbarschaft tobt und natürlich auch im Nahen Osten, ist wohl das Friedensprojekt eines der wichtigsten Themen, die wir heute hier zu propagieren haben und uns dafür einzusetzen haben. Und das war auch die Grundidee der Europäischen Union. Die Gründerväter haben ja auf den Trümmern der beiden Weltkriege versucht, sich eine Friedensstrategie zurechtzulegen, um dieses Europa in der Zukunft vor Kriegen zu bewahren, Demokratie auszubauen und vor allem auch, Solidarität, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Wohlstand für die Völker in Europa und für die Menschen zu sichern.

Ist es tatsächlich eine Richtungswahl: mehr oder weniger Europa?

Ägidius Zsifkovics: Ich denke schon, dass es eine Richtungswahl ist. Es geht darum, ob wir uns zurückziehen in die Nationalstaaten oder ob wir versuchen, diesen gemeinsamen Weg zu gehen.

Es gibt ja schon mit Großbritannien ein Land, das Europa wieder verlassen hat. Wie gehen denn die Kirchen mit dem Brexit um?

Ägidius Zsifkovics: Ich habe miterlebt, wie sich die britische Kirche auch dem Staat gegenüber schwergetan hat, wie man gekämpft hat, um doch bei Europa zu bleiben. Die COMECE (siehe Link am Textende) hat dann einen Kompromiss geschlossen, sodass die Bischofskonferenzen aus dem Vereinigten Königreich auch weiterhin Mitglied der COMECE bleiben können; nicht mit Stimmrecht, aber doch so, dass sie anwesend sein können. Wir alle sehen jetzt, nach diesen Jahren des Brexit, dass es ein Verlustgeschäft war in jeder Hinsicht. Und ich möchte auch die Menschen bei uns ermahnen, klug zu sein und sich nicht einlullen zu lassen und ebenfalls diesen Weg des Brexit zu fordern und zu gehen. Wir brauchen vielmehr den Weg des gemeinsamen Europas. Das ist ein Weg, der Zukunft hat.

Herr Bischof, vielerorts herrscht Krieg; in der Ukraine, in Israel und Palästina. Sprechen wir über die Ukraine. Da gibt es von politischer Seite die Bekundungen, der Ukraine, eine europäische Perspektive zu geben. Wie sehen Sie das?

Ägidius Zsifkovics: Ich denke, dass diese europäische Perspektive für die Ukraine etwas Essenzielles und Überlebensnotwendiges ist. Wenn sie diese Perspektive nicht hat, dann bleibt sie eine Pufferzone zwischen Ost und West. Oder sie wird schlussendlich von Russland konfisziert und zurückversetzt in die Zeit der Sowjetunion, wo die Ukraine eine Teilrepublik war. Ich weiß, dass ein EU-Beitritt nichts ist, was von heute auf morgen geht. Wir können nicht Mitglieder aufnehmen, ohne dass Voraussetzungen erfüllt sind und diese Länder auch zur Aufnahme fähig sind.

Auch für viele Staaten des Westbalkans gibt es die EU-Perspektive. Besonders viel tut sich aber nicht.

Ägidius Zsifkovics: Ich glaube, hier ist genau der gleiche Fehler passiert. Man hat das immer auf die lange Bank geschoben. Österreich war sicher immer ein Land, das sich pro Europa für diese Westbalkanländer ausgesprochen hat. Das heißt, hier müssten auch rasch Aufnahmen erfolgen, einige der Länder sind ja schon halbwegs fit.

Und bei den anderen ist die Gefahr groß, dass sie sich, wenn die Aufnahme nicht bald geschieht, für eine andere Richtung entscheiden.

Zwischen Kroatien und Serbien sind die Beziehungen sehr belastet.

Ägidius Zsifkovics: Diese Situation, die wir am Balkan erleben, ist sicher noch von der Geschichte her zu sehen. Und ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass hier der Zweite Weltkrieg noch nicht abgeschlossen ist.

Es sind noch immer alte Abrechnungen da. Kroatien ist auf dem Weg, aber natürlich gibt es auch dort noch viel zu tun. Und in Serbien ist die politische Situation so, dass hier die Verbindung mit Russland sehr stark ist und auch offen ein zweigleisiger Weg gegangen wird. Und das macht es natürlich nicht leichter. Aber ich bin überzeugt: Gerade diese beiden Länder, Kroatien und Serbien, haben eine große Aufgabe, denn sie könnten eine Brücke sein und einen Friedensprozess in Gang setzen – so schnell wie möglich auch hier einen Prozess beginnen, um in dieser Region wirklich Frieden und Freiheit und Demokratie zu stärken.

Warum wird Brüssel so gerne die Schuld an diversen Missständen zugeschoben?

Ägidius Zsifkovics: Es braucht wohl immer einen Sündenbock. Viele Politiker haben es auch sehr gern – Brüssel ist ja weit weg. Aber wer ist Brüssel? Brüssel sind wir. Wer ist Europa? Wir sind Europa. Und dieses Europa wird so gut sein, wie wir uns dafür einsetzen. Und es wird so schwach sein, wie es uns egal ist.

Wo sehen Sie denn die Grenze zwischen antieuropäischem Populismus auf der einen Seite und durchaus angebrachter konstruktiver Kritik auf der anderen Seite?

Ägidius Zsifkovics: Das möchte ich auch ganz klar festhalten, dass ich jetzt nicht einer bin, der sagt: Europa ist das perfekte Modell. Nein, Europa ist im Entstehen und im Gehen. Und es ist kein fertiges Projekt, so wie auch die Kirche nie ein fertiges Modell ist, sondern sie ist und bleibt eine Baustelle. Und so ist auch Europa eine Baustelle. Aber an dieser Baustelle braucht es die Mitarbeiter. Da braucht es einen Plan und einen gemeinsamen Willen.

In wenigen Tagen sind Europawahlen. Warum sollte man wählen? Und was erwarten Sie eigentlich von Kandidatinnen und Kandidaten?

Ägidius Zsifkovics: Ich kann nur sagen, dass ich überall ein heftiger und kräftiger Wahlwerber bin. Von den Kandidaten erwarte ich, dass sie alle Europa an die erste Stelle stellen und nicht irgendwelche parteipolitischen Absichten. Es muss für uns klar sein, dass wir uns für die Demokratie, für Menschenrechte, für Freiheit, für die Würde des Menschen einsetzen.

Wie viel Religion verträgt Europa?

Ägidius Zsifkovics: Europa verträgt sehr viel Religion. Europa ist aus diesem christ-lich-jüdischen Boden hervorgegangen. Wir sollten uns nicht fürchten, zurückziehen oder verstecken. Wir sollten das auch gegenüber jenen vertreten, die der Kirche, die dem Glauben negativ oder mit Bauchweh oder Fragezeichen gegenüberstehen. Wir wollen ja keinen Gottesstaat aus Europa machen, sondern wir wollen einfach garantieren, dass die Werte dieses Kontinents auch in die Zukunft hineingetragen werden. Und erst auf dieser Basis kann Europa richtig aufgebaut werden und hat Zukunft. Da brauchen wir uns nicht zu schämen und wir brauchen auch keine Angst haben, hier mit anderen Religionen in den Dialog zu treten. Wir können uns nur gegenseitig befruchten. Niemand ist gegen eine andere Religion, wenn er für seine eigene Identität einsteht. Mein Grundsatz ist immer: Alle sollen in ihrer eigenen Religion tief verwurzelt sein, aber immer vor der anderen Religion oder vor einer anderen Meinung eine hohe Akzeptanz haben und diese auch gelten lassen.

Die europäische Geschichte hat über das Christentum hinaus, auch einen beträchtlichen jüdischen Teil. Wir erleben in der Gegenwart, dass wir einen starken Bevölkerungszuwachs mit islamischem Hintergrund haben. Hat der Islam eine europäische Perspektive?

Ägidius Zsifkovics: Ich muss sagen, dass der Islam zu Europa bereits in der Vergangenheit beigetragen hat. Denken wir nur an Bosnien und Herzegowina. Es ist freilich immer die Frage der Prägung des Islam. In Bosnien ist es ein europäischer Islam, würde ich sagen. Ein Islam, der gelernt hat, mit uns in Vielfalt zusammen zu leben und zusammenzuarbeiten. Und wenn immer mehr Menschen mit diesem Glauben kommen, dann muss sich der Islam natürlich auch einfügen. Der Islam muss gesprächsbereit sein, er muss auch kritikfähig sein. Er muss sich konstruktiv einbringen, Parallelgesellschaften sind nicht akzeptabel.

www.comece.eu

Das ganze Interview: www.dersonntag-at/europawahl2024

Autor:

martinus Redaktion aus Burgenland | martinus

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ