Es braucht eine ernsthafte Klimapolitik
Wissenschafter und Klimapolitikexperte Reinhard Steurer warnt vor den Auswirkungen der Klimakrise und fordert entschlossene politische Maßnahmen zum Klimaschutz.
Würden Sie sagen, dass die Klimakrise in vollem Gang ist? Wir erleben ja immer öfter Hitze, Überschwemmungen, Waldbrände. Wie bedrohlich ist die Situation?
Reinhard Steurer: Sehr bedrohlich. Die Klimakrise beschleunigt sich dramatisch. 2023 sind abgesehen von den genannten Wetterereignissen auch außergewöhnliche Vorgänge passiert, die man nicht unmittelbar spürt wie äußerst hohe Wassertemperaturen im Mittelmeer. Das hat zur Folge, dass es öfter zu Extremwettersituationen wie Überschwemmungen etwa in Norditalien kommt. Die Politik hat sich zwar im Pariser Klimaabkommen dazu verpflichtet, die Erderwärmung auf +1,5 Grad zu beschränken, doch wir Wissenschafter:innen erwarten, dass 2024 diese Grenze überschritten wird. Kurzfristig war das heuer schon der Fall. Wir haben das vor einigen Jahren für die 2030-er Jahre vorhergesehen, aber nicht für Mitte der 2020-er Jahre. Anstatt dem einen entschlossenen Klimaschutz entgegenzusetzen, machen wir auch in Österreich politisch eher Rückschritte.
Welche Maßnahmen sind notwendig?
Steurer: Das Wichtigste wäre z. B. in Österreich ein Klimaschutzgesetz, das klare Regeln und Verbindlichkeiten festlegt sowie Korrekturen einfordert, wenn man von dem Pfad abweicht, der für die Zielerreichung notwendig wäre, die Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren, um in unserem Land bis spätestens 2040 klimaneutral zu sein. Das Gesetz wurde angekündigt, verhandelt, es steht im Koalitionsabkommen, wurde aber nach wie vor nicht beschlossen. An diesem Klimaschutzgesetz dranhängen würden dann viele notwendige Maßnahmen in den verschiedensten Sektoren, die zum Teil schon vereinbart worden sind.
Denken Sie da z. B. an das „Erneuerbare-Wärmegesetz“?
Steurer: Ja, das wird 2024 allerdings in einer Form kommen, wo man sagen kann, dass wir bei uns damit die Zielsetzung der Klimaneutralität nicht erreichen werden. Warum? Weil es auf Freiwilligkeit und Förderungen aufbaut und nichts vorschreibt. So wird man die klimaschädlichen Öl- und Gasheizungen vielleicht in Einfamilienhäusern loswerden, nicht aber im Mehrparteienbereich. Eine weitere wichtige Maßnahme, die schnell wirken würde, wären Tempolimits 80 auf Freilandstraßen und 100 auf Autobahnen. Dafür gibt es aber keine Mehrheit. Das wird in dieser Periode nicht mehr kommen. Problematisch ist, dass unsere Emissionen nicht in dem Ausmaß sinken, wie es notwendig wäre, dieser falsche Kurs nicht korrigiert wird und wir jetzt dabei sind, die Ziele auch für 2030 zu verfehlen – nämlich den Ausstoß klimaschädlicher Gase bis dahin um die Hälfte zu reduzieren. Da entsteht eine Lücke, die dann nicht mehr zu schließen ist und das entscheiden wir im Grunde jetzt.
Warum geht der Klimaschutz Ihrer Meinung nach so schleppend voran?
Steurer: Es steckt schon der Wille dahinter, zu einer Lösung zu kommen, aber der ist schwach ausgeprägt. In erster Linie geht es nicht darum, dem Problem Klimakrise entgegenzuwirken, sondern eine Lösung zu finden, die möglichst niemanden weh tut, nicht einmal den Ölstaaten. Es ist kein Zufall, dass die größte Delegation bei den Klimakonferenzen von Ölkonzernen gestellt wird. Das ist ungefähr so absurd, wie wenn bei einer Antidrogenkonferenz das Cali-Drogenkartell die größte Delegation stellt und bei den Verhandlungen dabei wäre.
Derzeit läuft die UN-Weltklimakonferenz in Dubai. Welche Ergebnisse würden Sie sich wünschen?
Steurer: Dass ernsthaft über mehr Klimaschutz verhandelt wird, indem man zum Beispiel auch über Handelssanktionen redet. Wenn Staaten das Klima zu wenig schützen, müsste die EU etwa Freihandelsabkommen überdenken oder sogar aufkündigen, um auf die Art und Weise Druck auszuüben. Das ist bisher nicht passiert und wird vermutlich auch heuer nicht passieren.
Was geschieht, wenn die Klimakrise nicht abgewendet werden kann?
Steurer: Wenn wir so weiter machen und auf eine zwei oder drei Grad heißere Erde zugehen, dann wird das große Ernteausfälle durch Dürren, Wassermangel sowie Unruhen im großen Stil mit sich bringen. Die größte Gefahr, die dann droht, ist, dass die Zivilisation, wie wir sie kennen, nicht bestehen wird können. Da sind sich die meisten Klimawissenschafter:innen einig. Das wird sich im Laufe dieses Jahrhunderts abspielen und unsere Kinder werden das noch erleben. Deswegen ist es so bitter, dass wir all die Gefahren sehenden Auges zulassen.
Sie zweifeln, dass sich das noch drehen kann …
Steurer: Es ist alles möglich. Wir hätten die Technik dazu, wir wissen, dass sich das ausgeht, aber es braucht eine große Entschlossenheit, eine Mehrheit, die das wirklich will. Doch die zeichnet sich nicht ab. Im Grunde können wir das Problem nur politisch lösen. Es braucht Regeln, die für alle gelten. Somit ist das Wichtigste, was jeder und jede Einzelne tun kann: den politischen Wandel und eine ernsthafte Klimapolitik, die ihre Ziele erreicht, zu fordern. Das geht nur mit politischem Aktivismus und beinhaltet auch das Wahlverhalten, indem man den Scheinklimaschutz ab- und den echten Klimaschutz wählt. Es ist zudem Protest notwendig, der auf das Thema aufmerksam macht. Da gibt es vielfältige Formen, angenehmere und weniger angenehme.
Sie als Wissenschafter unterstützen die Forderungen der Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Warum?
Steurer: Wir sehen, dass die nötigen politischen Lösungen nicht von selbst kommen. Die beste Art, das aus der Gesellschaft heraus einzufordern, wäre eine Massenbewegung, wie wir sie 2019 mit Fridays for Future hatten. Die ist aber nach der Pandemie nicht so stark zurückgekommen. Deshalb ist der kleine Protest alles, was wir derzeit haben und er ist ebenso wertvoll, weil er eine Art Mahnmal ist. Die Aktivistinnen und -aktivisten rütteln auf und sagen, Leute, wir sind nicht gut unterwegs, es muss sich einiges ändern. Der störende Protest ist eine Chance zu lernen, umzudenken. Wenn wir auf die jungen Leute hinhauen und nichts tun, dann haben wir die Chance vergeben.
Sie haben wegen Ihrer Unterstützung dieser Proteste schon Drohungen bekommen. Wie gehen Sie damit um?
Steurer: Meine Aufgabe als Wissenschafter ist es, auf die Realität hinzuweisen, auch wenn sie noch so störend ist. Wenn das manche verärgert, dann nehme ich das in Kauf. Immer wenn die Realität sehr unangenehm wird – das war während der Pandemie nicht anders –, dann glauben manche, sie sei eine Zumutung und sie schaffen sich ihre eigene Welt. Das nennt man Verleugnung von Fakten. Kann man machen. Wenn das zu viele tun, dann ist das ein Rezept für ein tödliches Ende.
SUSANNE HUBER
Autor:martinus Redaktion aus Burgenland | martinus |
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