Interview
Die Synode setzt einen zaghaften Schritt nach vorn

Kardinal Jean-Claude Hollerich, Generalrelator der Bischofssynode, verlässt die zur Synodenaula umfunktionierte Audienzhalle. 

 | Foto: Galosi/KNA
  • Kardinal Jean-Claude Hollerich, Generalrelator der Bischofssynode, verlässt die zur Synodenaula umfunktionierte Audienzhalle.

  • Foto: Galosi/KNA
  • hochgeladen von martinus Redaktion

Paul M. Zulehner sieht im Schlussdokument der Weltsynode über Synodalität gute Ansätze und so manchen schwachen Absatz.

Die bischöfliche Entscheidungsmacht ist unantastbar – so etwa steht es in Punkt 92 des synodalen Schlussdokuments – „weil sie in der von Christus geschaffenen hierarchischen Struktur der Kirche begründet ist“. Wer hoffte, dass sich Entscheidungsstrukturen in der Kirche durch die Synodalitätssynode wesentlich ändern, muss enttäuscht sein, oder?

Paul M. Zulehner: Papst Franziskus hat ein starkes Zeichen gesetzt, indem er sich beraten ließ und das Ergebnis der Beratungen eins zu eins in Kraft setzte. Er will nicht, dass ein kirchliches Amt unabhängig vom Kirchenvolk arbeitet, sondern eingebunden in dieses, transparent, rechenschaftspflichtig und mit Evaluierung seiner Tätigkeit. Er nimmt Abschied von einem isolierten, autokratischen, monarchischen Amtsbegriff.

Gremien wie Pastoral- und Finanzräte auf diözesaner und auf Gemeindeebene sollen verpflichtend werden. Für Österreich ist das nicht neu, aber es garantiert nicht, dass sich Entscheidungsträger wirklich beraten lassen.

Zulehner: Die Gremien werden mit klaren Spielregeln versehen: Der Entscheidungsträger wird nicht beliebig mit Ergebnissen aus Gremien umgehen können. Nun muss das Kirchenrecht geändert werden, sodass es ein neues Ineinander von Beratung und Entscheidung gibt. Das Schlussdokument sagt, es soll zu einer einmütigen Entscheidung kommen. Die Entscheidungsmacht schwebt nicht im luftleeren Raum. Für das Nichtbeachten von Beratungen braucht ein Bischof dann schwerwiegende Gründe.

Dass Gremien gehört werden sollten, ist aber keine große Neuerung.

Zulehner: Ja, und das gilt für viele Fragen des Papiers – dass Dinge, die verlangt werden, bei uns längst selbstverständlich sind, zum Beispiel in der Frauenfrage. So gesehen ist es ein nicht gerade aufregendes Dokument für unsere Breiten. Aufregend finde ich, dass es eine Dezentralisierung geben wird. Dadurch kommt Bewegung in die Weltkirche. Die große Frage der Weltkirche ist dann, wie man die verschiedenen Strömungen zusammenhält. Da braucht es eine innerkirchliche Ökumene. Interessant wird, wie sich ein Papst zur innerkirchlichen Vielfalt verhält.

Die Synode bekundet im Schlussdokument ihren Willen zur Dezentralisierung, aber es ist nicht klar, wie das aussehen wird ...

Zulehner: Ja, damit ist jetzt die Rechtskommission beauftragt. Es stehen Fragen an, die auch auf der Synode diskutiert wurden: In welchen lehramtlichen und sonstigen Fragen kann eine regionale Kirche entscheiden, um die „Implementierung“ des Evangeliums in der Kultur zu begünstigen? In Kernfragen des Evangeliums kann es keine regionale Entscheidungsmöglichkeit geben. Es ist undenkbar, dass eine europäische Bischofskonferenz sagt, wir wollen in Zukunft keine Trinitätslehre mehr haben. Aber es kann sein, dass die Afrikaner in der Frage der Polygamie einen neuen Weg finden werden, der nur für Afrika gilt. Der Papst ermutigt die Regionen zu solchen Entscheidungen, er prüft sie gegebenenfalls, ob etwas, das sich lokal entwickelt hat, auch für die Weltkirche relevant werden kann. Die Entwicklung läuft dann nicht mehr von Rom in die Peripherie, sondern von der Peripherie auch in Richtung Rom.


„Aufregend finde ich, dass es eine Dezentralisierung geben wird.“

PAUL M. ZULEHNER

Bei moraltheologischen Fragen ist das aber schwierig. Man kann ja nicht sagen, eine gleichgeschlechtliche Beziehung ist in Afrika Sünde und in Europa nicht.

Zulehner
: Nein, aber es kann sein, dass Segensrituale im Zusammenhang mit Paarbildung und Liebesbeziehung kulturell unterschiedlich entwickelt werden, weil in dieser Frage zum Beispiel die afrikanische Kultur – um ein Wort des Papstes aus anderem Zusammenhang zu verwenden – nicht reif ist.

Im Schlussdokument steht, dass sich in der Liturgie mehr Synodalität zeigen soll. Wie kann man sich das vorstellen?

Zulehner: Wenn jemand zum Beispiel von mir möchte, dass ich als Priester ein Begräbnis halte, sage ich, ich feiere gerne mit, aber es ist euer Begräbnis. Wir machen eine Online-Sitzung, die Familie bereitet die Feier vor und begrüßt dann selbst die trauernde Gemeinde. Das Ereignis einer Begräbnisliturgie wird also nicht nur vom Volk gemeinsam gefeiert, sondern auch gemeinsam vorbereitet. Das gilt auch für Taufen und Trauungen. Ich kann nicht mehr hören, dass ein Priester sich nach einer Messe bedankt, dass die Leute gekommen sind, um die Messe mitzufeiern. Ich muss mich bei den Leuten bedanken, dass ich mitfeiern durfte. Das ist Synodalisierung der Liturgie bis hinein in die Eucharistiefeier.

Der Kulturwandel in der Kirche, von dem Synodenseelsorger Timothy Radcliffe gesprochen hat, wird wohl noch Zeit brauchen.

Zulehner: Ich nenne das „Zeitenwende“. Wir haben eine Studie zu diesem Thema gemacht. Die Kirche, die auf der Taufe basiert, ist im Kommen, und die Kirche, die auf der Ordination basiert – die Priesterkirche oder moderne Hauptamtlichenkirche – zieht sich zurück. Wir stehen im Übergang zwischen diesen beiden Kirchenmodellen. Die Synode gibt der Kirche, die auf der Taufe basiert – in der es zwar ein Amt gibt, aber eine völlig andere synodale Kultur –, mehr Gewicht.

Das führt zu einem weiteren wichtigen Thema der Synode, nämlich der Rolle von Frauen in der Kirche. Frauen sollen zwar Führungspositionen einnehmen, aber die Entscheidungsmacht hängt, wie eingangs erwähnt, am Weiheamt. Frauen übernehmen Positionen im mittleren Management, werden Büroleiterinnen, Pastoralassistentinnen oder sogar vatikanische Untersekretärinnen, aber die „gläserne Decke“ ist vordefiniert.

Zulehner: Naja, es gibt schon Frauen in kirchlichen Leitungspositionen – etwa Redaktionsleiterinnen, Pastoralamtsleiterinnen, Akademieleiterinnen. Punkt 60 im Schlussdokument, in dem es um die Rolle von Frauen geht, enthält für unsere Breiten keine Überraschung. In vielen Kirchenregionen werden den Frauen aber Hindernisse in den Weg gelegt, wenn sie sich an solchen Führungspositionen beteiligen wollen. Und wo Macht mit Ordination verbunden ist, schreckt die Synode vor Frauen zurück, da hat sie der Mut verlassen. Das ist eine demütigende und beschämende Situation, wo die Kirche – wie Helmut Krätzl einst formuliert hat – im Sprung gehemmt ist. Wir sind in der Frage der Ordination von Frauen längst viel weiter, als dieses Dokument erkennbar macht. Der Clou ist, dass das Dokument Maria von Magdala hochpreist und sie als Apostolin der Apostel bezeichnet. Da die Bischöfe die Nachfolger der Apostel sind, ist die Frage, warum eine Frau nicht Bischöfin sein könnte. Hier verlässt die Verantwortlichen vollständig der Mut. Wir sind Opfer ihrer Zaghaftigkeit. Man vertraut in dieser Frage nicht auf den Heiligen Geist, der so oft beschworen wurde. Sie haben in das Dokument geschrieben, dass das Frauendiakonat noch nicht reif sei. Das ist angesichts der jahrzehntelangen Diskussion theologisch peinlich. Das Frauenkapitel wiederholt Selbstverständlichkeiten und verkauft sie als Erfolg.

„Das Frauenkapitel wiederholt Selbstverständlichkeiten und verkauft sie als Erfolg.“

PAUL M. ZULEHNER

Papst Franziskus veröffentlichte drei Tage vor dem Synodenabschluss seine vierte Enzyklika. Ist das nicht eine Konkurrenz?

Zulehner: Die Kirche hat sich ja bei der Synode mit ihrer eigenen Verfassung beschäftigt – in einer Zeit, in der die Welt taumelt. Die Enzyklika nimmt demgegenüber mehr Bezug auf die taumelnde Welt, auf die Kriege, auf die Migration, auf den Klimanotstand, auf die Frage der Künstlichen Intelligenz. Die Enzyklika über das Herz Jesu betrifft das Innerste der Mission der Kirche, nämlich wegzukommen von einer moralisierenden zu einer heilenden Kirche. Gott ist nicht auf Strafen aus. In einer Kultur der Machtausübung und der Angst, eine Kultur des Vertrauens zu etablieren, macht Sinn.

MONIKA SLOUK

Der emeritierte Pastoraltheologe und Religionssoziologe Paul M. Zulehner beobachtet und reflektiert kirchliche und gesellschaftliche Entwicklungen seit Jahrzehnten.

Autor:

martinus Redaktion aus Burgenland | martinus

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ