EIN_BLICK
Der Weg ist nicht das Ziel
Am 20. Juni veröffentlichte der Vatikan die Arbeitsgrundlage – das sogenannte „Instrumentum laboris“ – für die Bischofssynode über Synodalität, die im Oktober in Rom stattfindet. Aus diesem Anlass stellte sich Kardinal Christoph Schönborn in Rom den Fragen österreichischer Journalistinnen und Journalisten.
Eine Synode ist – wörtlich übersetzt – ein gemeinsamer Weg. Ist beim weltweiten synodalen Prozess der Weg das Ziel?
Kardinal Christoph Schönborn: Mich haben am neu veröffentlichten „Instrumentum laboris“ vor allem die Passagen beeindruckt, in denen gesagt wird, dass Synodalität etwas mit „Incompletézza“ zu tun hat, mit Unabgeschlossenheit. Das ist eine biblische Perspektive, weil allen Ideologien ein Riegel vorgeschoben wird, die glauben, dass wir Dinge ein für alle Mal „haben“. Mit dieser Form der ‚Incompletézza‘ zu leben ist schwierig, aber es wird dem Leben gerecht. Wir selber sind auf diesem Weg. In diesem Sinne würde ich sagen: Der Weg ist nicht das Ziel! Der Weg ist der Weg. Und ein Weg hat normalerweise ein Ziel. Theologisch nennt man das die ‚eschatologische Dimension‘, das heißt eine über diese Zeit hinausreichende Dimension.
Viele Menschen knüpfen Erwartungen an den synodalen Prozess. Wenn am Ende herauskommt, dass es doch nur ein Weg ist – sind dann nicht Enttäuschungen vorprogrammiert? Denken wir etwa an die Gruppe der Frauen, die sich erwarten, in der katholischen Kirche eine wichtigere Rolle zu spielen.
Schönborn: Wenn Sie nur EIN Resultat erwarten, dann kann es Enttäuschungen geben. Wenn Sie ergebnisoffen in diesen Weg gehen, dann kann es zwar auch noch Enttäuschungen geben – aber sich auf den Weg der Synodalität einzulassen bedeutet, sich auf einen Weg einzulassen, in dem es um die Unterscheidung geht: Welchen Weg zeigt Gott uns? Wenn wir uns von vornherein mit der Gewissheit auf diesen Weg begeben, dass am Ende das herauskommen muss, was ich mir vorstelle, dann kann es eine Enttäuschung werden, ja.
Gibt es also keine Anzeichen, dass mehr dabei herauskommt als ein Hören und Reden? Eine konkrete Entscheidung?
Schönborn: Natürlich sollen Entscheidungen herauskommen. Nur warne ich davor, von vornherein zu sagen: Wenn nicht das herauskommt, was ich oder wir oder eine Gruppe sich erwartet, dann ... Das wäre keine ehrliche Synodalität.
Im „Instrumentum laboris“ werden konkrete Fragen angesprochen. Ist das ein Hinweis darauf, dass sich in diesen Fragen und Streitthemen etwas bewegen könnte – oder könnte es sein, dass nachher die Mehrheit entscheidet, bei diesen vor allem europäischen Streitfragen gar nichts ändern zu wollen?
Schönborn: Das kann sehr wohl sein. Es lohnt sich, ein bisschen hineinzuschauen in die Papiere der „kontinentalen Phase“. Was sind die großen Themen, die in Asien, in Lateinamerika, in Afrika die Menschen bewegen? Das sind Themen, die bei uns fast vollständig ausgelassen sind. Ich habe im deutschen Synodalen Weg keine einzige wirtschaftliche Frage gesehen, auch keine einzige wirklich soziale Frage; nichts zum Flüchtlingsthema, nichts zur Ökologie – Was ist da passiert? Eine Fokussierung auf die Ämterfrage, die in der Weltkirche in diese Weise bisher nicht rezipiert ist. Vielleicht kommt das ja noch – dafür müssen wir offen sein, wenn wir ehrlich einen synodalen Prozess gehen wollen. Aber ich bin in Kontakt mit einer Mitarbeiterin am südamerikanischen kontinentalen Resultat: Die Fragen, die auch Frauen in Lateinamerika bewegen, sind – so ist bisher mein Eindruck – ganz andere. Aber sie haben eines gemeinsam: die Stimme der Frauen!
Besteht nicht die Gefahr, dass die Sache in einer Nabelschau und permanenten Selbstreflexion der Kirche endet?
Schönborn: Die Gefahr der Nabelschau sehe ich auch. Sie war schon eine Gefahr beim Zweiten Vatikanischen Konzil. Das Konzil hatte es dann geschafft, aus dieser Falle herauszukommen, hat sich den wirklich großen Fragen der Zeit und der Welt gestellt und zum Teil wirklich sehr, sehr weitreichende Antworten gegeben. Ich hoffe, dass das hier auch so sein wird. Aber der Prozess ist offen – und die Gefahr besteht, dass man bei einer zu großen Selbstbeschäftigung stehenbleibt. Ich habe nicht den Eindruck, dass das in Asien, Afrika und Lateinamerika das Problem ist, weil dort die gesellschaftlichen Probleme so drängend sind, dass man als Kirche gar nicht anders kann, als sich damit auseinanderzusetzen. Wir hier sind schon sehr in Gefahr, uns zu sehr mit uns selber zu beschäftigen. Ich erlaube mir hier eine Kritik, die ich behutsam, aber doch deutlich formuliere: Die Europäische Bischofskonferenz, die CCEE, in der ich 22 Jahre lang Mitglied war, hat sich mit vielen Themen beschäftigt – aber sie hat es nie geschafft, eine gemeinsame Position der europäischen Bischöfe in der Migrationsfrage zustande zu bringen. Das ist für mich eine schwere Enttäuschung. Warum hat man die Impulse von Franziskus hier nicht aufgegriffen? Also wenn die Synodalität, die Franziskus jetzt verstärkt praktizieren will, nicht zu klaren Worten zu den großen gesellschaftlichen Problemen führt, dann ist sie gescheitert.
Dennoch werden Menschen in Österreich nach Antworten verlangen, was sie hier tun können und sollen, wie sie sich einbringen können. Themen gibt es ja hierzulande genug.
Schönborn: Ja, Gott sei Dank funktioniert die Kirche in erster Linie als Ortskirche. Und das Gemeinde-Prinzip wird auch in Zukunft das Grundmuster der Kirche bleiben. Wie das Konzil sagt: in jeder Gemeinde ist die ganze Kirche präsent. Wenn ich auf unsere Gemeinden schaue, die zum Teil sehr an Überalterung leiden, gibt es trotzdem ein ganz großes Engagement. Da bin ich zuversichtlich, dass dieses Miteinander, um das es Papst Franziskus geht, auch tatsächlich ortskirchlich gelebt wird. Der Papst hat immer wieder gesagt: Wartet nicht darauf, dass alles von Rom geregelt wird. Ihr habt den Heiligen Geist, also lebt den christlichen Weg! Und das tun ja Gott sei Dank auch viele unserer Gemeinden und Gemeinschaften.
Natürlich ist es gut und richtig, wenn sich die Kirche zu den großen gesellschaftlichen Themen äußert und sich Christ:innen dort engagieren. Aber es gibt doch auch innerhalb der Kirche viel Überforderung unter den Priestern, enorme pastorale Probleme. Ist es da nicht vermessen, auf die vielen Charismen zu verzichten, die etwa Frauen haben und mitbringen? Braucht es da nicht eine ehrliche Nabelschau, die diese Probleme benennt?
Schönborn: Ich schaue auf unsere Gemeinden und sehe, was alles möglich ist: Teilgemeinden einer Pfarre etwa werden bereits von Frauen geleitet. Das ist kirchenrechtlich überall möglich. Eine Pfarre muss von einem Priester geleitet werden, aber eine Teilgemeinde kann von Frauen geleitet werden. Wir haben auch die Spitalsseelsorge, die weit über die Hälfte von Frauen betrieben wird. Die Begräbnisleitung wird in zunehmendem Maße von Frauen gemacht. Wir haben bei weitem nicht ausgeschöpft, was möglich ist. Man muss es nur zulassen und wollen.
Muss sich die ganze Kirche in diesen Fragen denn mit derselben Geschwindigkeit bewegen oder wäre auch mehr Ungleichzeitigkeit denkbar?
Schönborn: Die Ungleichzeitigkeit findet sowieso überall statt – zwischen Land und Stadt, zwischen Wien und den Bundesländern, um ein beliebtes Beispiel zu nennen. Das wird immer so sein. Aber eine Stärke hat die katholische Kirche, die sie hoffentlich nie aufgeben wird: Sie schafft es, in dieser großen Spannungsweite der verschiedenen Geschwindigkeiten „eine“ zu bleiben. Das ist letztlich auf Christus zurückzuführen und hat auch sehr viel mit dem Petrusamt zu tun, mit dem Amt der Einheit. Das Faszinierende an Rom ist ja, dass man hier die unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Breite der Weltkirche erlebt. Und trotzdem hat man den Eindruck, es ist eine Kirche. Das müssen wir aushalten. Resilienz nennt man das.
Autor:martinus Redaktion aus Burgenland | martinus |
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