Der verlorene Baldachin: Herausforderungen der Moderne

Gespannte Aufmerksamkeit im Haus der Begegnung in Eisenstadt bei Diözesanspitze, Priestern, Diakonen, hauptamtlichen Mitarbeitern und Interessierten. 
 | Foto: Florian Mileder
  • Gespannte Aufmerksamkeit im Haus der Begegnung in Eisenstadt bei Diözesanspitze, Priestern, Diakonen, hauptamtlichen Mitarbeitern und Interessierten.
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Zeitenwenden. – Die Pastoraltagung der Diözese Eisenstadt markierte den Auftakt zum neuen Arbeitsjahr für Priester, Diakone sowie hauptamtliche Mitarbeiter und Religionslehrer.
Ein zentraler Höhepunkt war der Vortrag von Univ. Prof. Dr. Manfred Prisching, Soziologe an der Universität Graz, der sich mit den tiefgreifenden Veränderungen unserer Zeit auseinandersetzte.

Unter dem Titel „Zeitenwenden: der verlorene Baldachin“ warf Prisching einen kritischen Blick auf den Umgang der Gesellschaft mit den Herausforderungen der Moderne.

WACHSENDE KOMPLEXITÄT
Prisching betonte, dass der Mensch zunehmend an den Anforderungen einer immer komplexeren Welt scheitert. „Der Mensch wird zu dumm für diese Welt“, so der Soziologe provokant. In der heutigen Zeit sei die Religion weitgehend unsichtbar geworden. Sie habe ihre zentrale Rolle im Leben vieler Menschen verloren, der Säkularisierungsprozess habe dies über Jahrhunderte vorangetrieben. Die Folge sei eine zunehmende Verlagerung von Religion in den privaten Bereich oder an den Rand der Gesellschaft.

WERTE IN DER KRISE
Ein weiteres Thema, das Prisching ansprach, war die Unsicherheit bezüglich allgemein gültiger Werte. In einer zunehmend individualisierten Gesellschaft, in der Selbstinszenierung und Selbstverwirklichung dominieren, entstehen immer neue „Er-satz-Transzendenzen“. Wissenschaft, Fortschritt und Konsum übernehmen den Platz religiöser und moralischer Werte. Prisching verglich moderne Einkaufszentren und Unterhaltungsstätten mit „Kathedralen der Moderne“.

Die Sehnsucht nach Gemeinschaft sei heute oft auf flüchtige Momente begrenzt, beispielsweise durch die Teilnahme an Massenveranstaltungen wie Konzerten. „Das größte Konzert in Österreich war jenes, das nie stattgefunden hat“, verdeutlichte Prisching und spielte damit auf die überhöhten Erwartungen und Hoffnungen an kollektive Erlebnisse an.

OHNE KONSEQUENZEN?
Prisching zeigte sich auch kritisch gegenüber der Wohlstandsgesellschaft, in der der Konsum ungebremst wächst. Während früher Armut und Entbehrung das Leben prägten, sei heute eine gewisse Wohlstandsverwöhnung erkennbar. Dies führe zu einer paradoxen Kombination aus Glück und Schuldgefühl. Dennoch bleibe die Kritik am Kapitalismus oft oberflächlich und ohne praktische Konsequenzen.

SICHERHEIT UND TOD
Ein zentrales Thema war die Erosion des Sicherheitsgefühls in der modernen Welt. Prisching verwies auf die wachsende Unsicherheit durch Kriminalität, Terror und Epidemien, die das Vertrauen der Menschen in den Staat als Schutzmacht erschüttert hätten. Auch der Tod, einst ein zentrales Thema der Religion, werde zunehmend verdrängt. Die Kirche habe es versäumt, auf die Herausforderungen der Pandemie angemessen zu reagieren und eine tragfähige Auseinandersetzung mit dem Thema Tod anzubieten.

DIE WELT IST EINE ANDERE
Zum Abschluss des Vortrags hob Prisching hervor, dass wir uns in einer Zeitenwende befinden. Die Welt von heute sei in vielen Dimensionen grundlegend anders als früher, doch die Gesellschaft wisse noch nicht, wie sie mit dieser neuen Realität umgehen solle. Die Religion, einst ein stützendes Element, habe ihren Halt weitgehend verloren und müsse sich den Herausforderungen der modernen Zeit stellen.

Die Pastoraltagung der Diözese Eisenstadt bot somit Raum für tiefgehende Reflexionen über den Zustand der heutigen Gesellschaft und die Rolle der Religion in einer zunehmend säkularen Welt. Prischings kritische Analyse lässt die Teilnehmer nachdenklich in das neue Arbeitsjahr starten.

Autor:

martinus Redaktion aus Burgenland | martinus

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