Integration der Roma und Sinti
„... als selbstbestimmte Romni im Parlament“

Einsatz für die Volksgruppe der Roma. Von Rechts: Susanne Raab, Usnija Buligovic, Wolfgang Sobotka, Ursula Till-Tentschert, Manuela Horvath (Leiterin der Roma-Pastoral der Diözese Eisenstadt), Sabine Schweitzer, Ferry Janoska, Katharina Graf-Janoska, Emmerich Gärtner-Horvath.   | Foto: Parlamentsdirektion / Thomas Topf
  • Einsatz für die Volksgruppe der Roma. Von Rechts: Susanne Raab, Usnija Buligovic, Wolfgang Sobotka, Ursula Till-Tentschert, Manuela Horvath (Leiterin der Roma-Pastoral der Diözese Eisenstadt), Sabine Schweitzer, Ferry Janoska, Katharina Graf-Janoska, Emmerich Gärtner-Horvath.
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Bei einer Veranstaltung im österreichischen Parlament wurde die Fortführung der Strategie zur weiteren Integration der Roma und Sinti bekannt gegeben. Die Leiterin der Roma-Pastoral der Diözese Eisenstadt sprach dabei über die Vorbildwirkung Österreichs. Der aus Oberwart stammende Vorsitzende des Volksgruppenbeirats Emmerich Gärtner-Horvath äußerte seine Hoffnung, „dass andere Länder nachziehen“ mögen.

Maßnahmen zur sozialen Teilhabe der Roma und Sinti, verstärktes Gedenken an die vielen Opfer des NS-Genozids an der Volksgruppe sowie Hilfen für andere EU-Länder, um Rassismus entgegenzuwirken: Dafür haben sich Regierungs- und Parlamentsvertreter, Fachleute und Rom-Vertreter bei einer Veranstaltung im Parlament anlässlich des Welt-Roma-Tages ausgesprochen. Dabei wurde deutlich: Trotz erheblicher Fortschritte bei der sozialen und wirtschaftlichen Situation der seit 1993 anerkannten Volksgruppe steht noch viel weitere Arbeit an. Vor 50 Jahren fand der erste Welt-Roma-Kongress in London statt, wo die Bezeichnung Roma, Flagge und Hymne festgelegt wurden. Die Volksgruppe ist in Österreich seit 1993 anerkannt.

Für eine Stärkung der Gedenkkultur für im Nationalsozialismus ermordete Roma und Sinti sprach sich Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka als Gastgeber der Online-Veranstaltung aus. Angebracht wäre dabei ein „nationales Denkmal“ der Republik als Ausdruck von Erinnerungskultur. Sobotka erinnerte an das burgenländische Lackenbach: Der Ort des 1940 errichteten größten „Zigeuner-Anhaltelagers“ in Österreich sei bis heute ein „Stachel im Fleisch unserer Geschichte“. Dass sich manche Roma bereits in der Politik engagieren, sei ein ermutigendes Zeichen. Auch Unternehmen seien gefordert, etwa bei der Auswahl von Mitarbeitern oder der Bezeichnung von Produkten jeglicher Ausgrenzung entgegenzuwirken. Der Kampf gegen Stereotype, Antisemitismus und Antiziganismus sei für das Parlament ein „großer Auftrag“, da diese Phänomene die Demokratie und auch das friedliche Zusammenleben gefährden. Den Roma und Sinti der Gegenwart und auch der Vergangenheit müsse „wieder eine Stimme zurückgegeben werden“, forderte bei der Veranstaltung die Zeithistorikerin Sabine Schweitzer. Lange Zeit sei die Volksgruppe aus der Geschichtsschreibung verbannt gewesen. Erst allmählich komme die Aufarbeitung der Gräueltaten der NS-Zeit voran: Von 11.000 Roma wurden damals 9.000 ermordet, dutzende Siedlungen einfach ausgelöscht; 20 Gedenktafeln erinnerten heute daran, die Zahl der Roma-Siedlungen vor 1938 betrug jedoch 130. Wichtig sei es, „Orte der Ausgrenzung, Ausbeutung, Diskriminierung und Vernichtung auch in Österreich zu rekonstruieren“, erklärte die früher im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands tätige Expertin: Einerseits, um Gedenkorte für die Nachkommen zu schaffen, „aber auch, damit den Menschen vor Ort klar wird: Wir hatten diese Bevölkerung.“ Mehr Geschichtsbewusstsein sei „für ein besseres Miteinander“ vonnöten.

Roma-Strategie läuft weiter. Die für Volksgruppen zuständige Kanzleramtsministerin Susanne Raab gab die im Ministerrat beschlossene Fortführung der „Roma-Strategie“ bekannt. Die Schwerpunkte des von der EU-Kommission von allen Ländern geforderten Maßnahmenpakets bis 2030 seien in den Bereichen Bildung und Arbeitsmarkt, die Bekämpfung von Antiziganismus, die Stärkung von Roma-Frauen (Romnja) und -Jugendlichen sowie der organisierten Zivilgesellschaft, wie auch die Förderung einer verbesserten Teilhabe der Volksgruppe. Österreich sei europaweit und international „vorbildlich“ in der Umsetzung der Roma-Strategie, die derzeit laut Raab wissenschaftlich evaluiert werde. Man könne auch dank der engen Kooperation mit Roma-Verbänden anderen Ländern Impulse dafür geben.

Burgenländische Romni als Vorbild. Die zwölf Millionen Roma-Mitglieder Europas – die Hälfte davon lebt in EU-Ländern – „tragen zur kulturellen Vielfalt und zur gemeinsamen Geschichte Europas sowie der einzelnen Staaten bei“, betonte Manuela Horvath, Leiterin der Roma-Pastoral der Diözese Eisenstadt. Zugleich existiere aber auch heute ein historisch gewachsener Antiziganismus, der „unterschiedlich stark ausgeprägt“ sei. Etwa in Ungarn weigere sich der Staat, einen gerichtlich zugesprochenen Schadenersatz auszubezahlen an 60 Roma, die schulisch ausgegrenzt wurden, berichtete Horvath. Schüler seien in eigenen Klassen unzureichend unterrichtet worden, durften nicht die gleichen Toiletten wie ungarische Mitschüler benutzen und auch nicht an Klassenfahrten teilnehmen. Europaweit seien 85 Prozent der Roma-Kinder armutsgefährdet, zitierte Horvath Angaben der Europäischen Kommission, wonach 62 Prozent der Volksgruppen-Jugendlichen weder in Ausbildung noch in Beschäftigung seien. Österreich sei hier vielen Ländern voraus: Den jüngeren Roma-Generationen stünden hierzulande „alle Bildungsmöglichkeiten offen“ und auch die Tatsache, dass sie selbst am Welt-Roma-Tag als „junge, selbstbewusste und selbstbestimmte Romni“ im Parlament stehe, spreche für sich, sagte die Burgenländerin. Horvath ist auch als Gemeinderätin in Oberwart aktiv, organisiert dort die Gedenkveranstaltungen für das Bombenattentat von 1995 und ermutigt Jugendliche ihrer Volksgruppe zum politischen Engagement.

Rassistische Begriffe. Trotz dieser Fortschritte gebe es auch in Österreich kaum eine Romni oder einen Rom, die oder der noch nicht persönlich mit Rassismus konfrontiert worden sei, verwies Horvath auf die Antiziganismus-Berichte von 2013, 2015 und 2017. In sozialen Netzwerken machten antiziganistische Kommentare und Bilder weiter die Runde und zeigten auf, „dass die Unwissenheit zu diesem Thema schnell in Hassempfinden für eine ethnische Minderheit übergehen kann“. Positiv sei, dass sich einzelne Betriebe auf Kundenrückmeldung und im Zuge der weltweiten Rassismus-Debatte im Vorjahr auch Lebensmittelkonzerne entschlossen hätten, Produkte mit rassistischen Begriffen („Zigeunerwurst“) umzubenennen. Auf bisherige „Meilensteine“ der Roma-Integration blickte Emmerich Gärtner-Horvath, Vorsitzender des Volksgruppenbeirats der Roma. Seien Roma-Kinder noch vor wenigen Jahrzehnten in Sonderschulen „abgeschoben“ worden, habe sich die Situation u.a. mit der Volksgruppen-Anerkennung 1993 oder dem burgenländischen Minderheiten-Schulgesetz von 1996, seit dem Romani-Unterricht als Unverbindliche Übung belegt werden kann, deutlich gebessert, und Dialogplattformen seien entstanden. Er hoffe, „dass andere Länder nachziehen“, so der Obmann des Oberwarter Vereins „Roma Service“.

Corona-Krise als Problembeschleuniger. Dass im Zuge der Pandemie jedoch auch in Österreich die Situation für viele Roma wieder prekär geworden ist, merkte Usnija Buligovic vom Volkshilfe-Arbeitsmarktprojekt „Thara“ an. Grundsätzlich seien Roma und Sinti zumeist gut in Österreich integriert und würden nicht als Mitglieder der Volksgruppe wahrgenommen. Dennoch zählten viele von ihnen zu jenen gering Qualifizierten, die in der Corona-Krise ihre Jobs verloren haben. Für Bezieher von Sozialhilfe sei der Wegfall einer geringfügigen Tätigkeit oft existenzbedrohlich. „Familien stehen jetzt vor der Frage: Soll ich meine Miete bezahlen oder Essen und Medikamente kaufen?“, verdeutlichte die Sozialexpertin. kap / red

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Redaktion martinus aus Burgenland | martinus

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