EIN_BLICK
Vom Maßhalten und dem goldenen Mittelweg
Priorin Sr. Eva-Maria Saurugg von der Benediktinerinnenabtei Stift Nonnberg ist eine von drei Ordensleuten, die während der Salzburger Hochschulwochen Gesprächsimpulse geben wird zum Thema „Reduktion! Warum wir mehr Weniger brauchen“ – vor dem Hintergrund ihrer benediktinischen Tradition.
Wenn wir auf das Thema Reduktion zu sprechen kommen: Die Benediktsregel, geprägt von Gebet, Arbeit und geistlicher Lesung, ist für euch zentral. Wie wird sie, reduziert auf das Wesentliche, gelebt?
Sr. Eva-Maria Saurugg: Schwerpunkt ist die Gottsuche. Der hl. Benedikt fußt auf der Tradition des Mönchtums, wie es sich seit dem 3. Jahrhundert entwickelt hat. Zur Gottsuche braucht es auch Stille und Reduktion in Form eines einfachen Lebensstils und eines gewissen Rückzugs. Oder wie die alten Wüstenväter sagten: still werden, in der Zelle bleiben, nicht herumstreifen, sondern vor Ort Gott suchen. Das ist eine äußere Reduktion, um im Leben Gott mehr Raum zu geben.
Warum, denken Sie, tun sich so viele Menschen schwer damit, Stille auszuhalten?
Saurugg: Weil sie fürchten, dass dann auf einmal im eigenen Inneren etwas laut wird, was sie vielleicht nicht hören möchten. Aber eine äußere Reduktion – das kann in den verschiedensten Bereichen sein – öffnet den Raum für etwas anderes. Man schränkt sich ein. In der Fastenzeit z. B. nimmt man sich vor, weniger Süßigkeiten zu essen. Danach wird man sie mit einem viel größeren Genuss, mit intensiverem Geschmack und mit neuer Freude essen, weil man darauf verzichtet hat. Immer wenn ich mich wo bewusst zurücknehme, hilft mir das, Abstand zu gewinnen, Dinge wieder neu zu betrachten, ein Stück weit freier zu werden oder zu merken, ich brauche etwas nicht, obwohl ich das vorher dachte. Ich erkenne, es geht auch mit weniger. Reduktion ist aber immer ein freiwilliger Verzicht. Jemand, der am Existenzminimum lebt, hat Not. Das ist etwas ganz anderes.
Da kommt zudem Wertschätzung ins Spiel ...
Saurugg: Ja. Reduktion bewirkt, achtsamer, empfindsamer, offener zu werden. So erkennt man den Wert der Dinge und lernt sie wieder zu schätzen. Sich jeden Tag an den gedeckten Tisch setzen zu können und in Zeiten wie diesen nicht Hunger zu leiden, ist nicht selbstverständlich. Das ist ein Geschenk. Unmengen an Nahrungsmittel werden gedankenlos weggeschmissen, dabei steckt so viel Arbeit dahinter.
In einem Kapitel der Benediktsregel geht es darum, in Liebe und Sorgfalt mit den Dingen umzugehen. Das wäre eine gute Lebensweise generell für alle Menschen ...
Saurugg: Der hl. Benedikt sagt ganz klar: Jedes Gerät des Klosters soll wie heiliges Altargerät betrachtet werden, und alle Geräte und Werkzeuge sollen nach ihrer Benutzung sauber und unbeschädigt zurückgegeben werden, damit der nächste Bruder, die nächste Schwester sie wieder verwenden kann. Durch seine Verankerung in der Regel des hl. Benedikt gehört der sorgfältige Umgang mit den Dingen quasi zur DNA des Klosters. Auch denken wir nicht in kurzen Perioden, sondern immer in Jahrzehnten. Anschaffungen werden mit Sorgfalt gepflegt, damit sie möglichst lange in Schuss bleiben. Wir hatten 20 Jahre lang eine große Küchenspülmaschine in Verwendung, bis wir sie dann ersetzen mussten. Der Servicemann sagte, in der Gastronomie schauen die Maschinen nach drei Monaten schlimmer aus, als unsere nach 20 Jahren. Diese Sorgfalt und Liebe braucht es letztlich im Umgang mit allen Dingen. Bei uns sind viele Gegenstände alt, aber solange sie noch in Schuss sind, werden sie verwendet.
Das reduziert auch Müll ...
Saurugg: Ja, Reduktion und Nachhaltigkeit hängen zusammen. Wir schauen, dass wir unsere Geräte so weit wie möglich reparieren können. Unsere Turmuhr ist seit 128 Jahren in Betrieb. Wir lassen sie regelmäßig warten, so bleibt sie intakt.
Oft wird Reduktion oder Maßhaltung in der Gesellschaft negativ gesehen. Warum?
Saurugg: Der Mensch tut sich meist leichter, ein Extrem zu halten, nicht eine Mitte. Bleiben wir beim Beispiel Fastenzeit: Es ist leichter zu sagen, ich esse keine Schokolade, als nur dreimal in der Woche. Wenn ich zwischendurch zu Süßem ja sage, dann habe ich immer wieder von Neuem die Herausforderung, nicht über die Stränge zu schlagen. Der hl. Benedikt sagt, der Abt/die Äbtissin soll dafür sorgen, dass für das klösterliche Leben der Brüder und Schwestern alles Notwendige vorhanden ist. Er kombiniert immer „alles“ und „notwendig“. Das verlangt nach einer Lösung und nach der Suche der goldenen Mitte. Und er sagt weiter: Wer mehr braucht, der kann darum bitten und soll es auch bekommen. Und wer weniger braucht, danke Gott und sei nicht traurig, d. h. er werde nicht neidisch. Dem hl. Benedikt geht es beim Einzelnen darum, dass ich mir Rechenschaft gebe, ob ich über den Grundkonsens der Gemeinschaft hinausgehende Dinge wirklich brauche, und den Blick für den Geschenkcharakter aller Dinge zu öffnen, und deshalb als Grundhaltung zufrieden und dankbar zu sein für das, was da ist.
Sie sagen, das Klosterleben bildet die Gesellschaft ab – im Kleinen. Auch in Ordensgemeinschaften gibt es unterschiedliche Charaktere. Was tut ihr bei Konflikten?
Saurugg: In der Benediktsregel steht, man soll danach trachten, vor Sonnenuntergang wieder Frieden zu schließen. Wir sind hier im Kloster räumlich reduziert und immer zusammen. Bei Spannungen kann ich also schwer einer Mitschwester aus dem Weg gehen, denn ich sehe sie spätestens nach drei Stunden beim nächsten Gebet wieder. Und wenn es zwischen Zweien dickere Luft gibt, strahlt das immer auf die Gemeinschaft aus. Insofern bemühen wir uns, möglichst schnell wieder in den Frieden zu kommen. Das setzt voraus, aufeinander zuzugehen. Die eine Seite ist gefordert zu sagen, es tut mir leid. Die andere muss bereit sein, die Verzeihung anzunehmen. Jede Seite ist – bildlich gesprochen – gefordert, einen Schritt zurückzutreten, damit das Miteinander, die Mitte, wieder Raum gewinnt.
Stift Nonnberg in Salzburg besteht seit 712/715 und ist das weltweit älteste christliche Frauenkloster mit der Besonderheit des durchgehenden Gemeinschaftslebens vor Ort bis heute. Wie sind Sie hierhergekommen?
Saurugg: Ich bin in Graz geboren und in einer Familie aufgewachsen, die der Religion gegenüber offen war, wo aber der Glaube nicht gelebt wurde. Mich hat allerdings der Ruf Gottes trotzdem getroffen, schon in der Schulzeit. Um zu prüfen, ob das Ordensleben auch wirklich mein Weg ist, habe ich zunächst ein Theologiestudium in Graz absolviert. Durch eine Freundin lernte ich dann während des Studiums Stift Nonnberg in Salzburg kennen. Ich hätte mich zu Hause nie getraut zu sagen, ich fahre mal in ein Kloster auf Urlaub. Es sollte ja keiner wissen, dass ich die Berufung zum Ordensleben in mir verspüre. Meine Freundin war der Türöffner, mit ihr konnte ich unverfänglich nach Salzburg fahren. Beim ersten Aufenthalt am Nonnberg wusste ich am zweiten Tag, das ist der Ort, wo Gott mich haben will. Dass ich das so klar erkennen durfte, war ein reines Geschenk Gottes. Klar war für mich aber auch, ich mache das Studium fertig. Gleich danach, im Jahr 2000, bin ich eingetreten. Priorin bin ich seit 2017. Von Anfang an hat mich der hl. Benedikt und seine Sicht des Lebens in der Nachfolge Christi fasziniert: sein Streben nach Ausgewogenheit und Maßhaltung in allen Dingen und dass er den Einzelnen beim Blick auf die Gemeinschaft nie aus den Augen verliert. All das wurzelt in seiner Weisung „der Liebe Christi nichts vorziehen“ – in der doppelten Bedeutung der Liebe Christi zu uns und unserer Liebe zu ihm.
INTERVIEW: SUSANNE HUBER
Autor:martinus Redaktion aus Burgenland | martinus |
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