30 Jahre Lichtermeer
Das Lichtermeer 1993 war mit 250.000 Teilnehmenden die größte Demonstration der Zweiten Republik. Es kamen mehr Menschen auf den Heldenplatz als 1938 beim „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich. Sowohl Kardinal Hans Hermann Groër als auch sein Vorgänger Kardinal Franz König nahmen teil. Eine Online-Ausstellung macht auf das Ereignis vor 30 Jahren aufmerksam.
Ein „umgekehrter Adventkalender“ funktioniert so, dass man aus den Fensterchen keine Schokolade oder Geschenke herausnimmt, sondern kleine Gaben oder Geschenke hineinlegt. Eine beliebte Sammelmethode der Caritas vor Weihnachten. Das Haus der Geschichte Österreich eröffnet am 19. Jänner die Ausstellung „Das Lichtermeer 1993“, die an einen „umgekehrten Adventkalender“ erinnert. Sie findet online und in einer Vitrine im Haus der Geschichte in der Wiener Hofburg statt – eine Ausstellung zum Mitmachen. „Wir bauen eine Sammlung zur Zeitgeschichte Österreichs auf“, erklärt Direktorin Monika Sommer das Prinzip.
„Zum Thema Lichtermeer klafft eine Lücke in der Sammlung.“ Daher sucht das Haus der Geschichte Erinnerungsstücke. In der Online-Ausstellung kann man Fotos von Andenken an das Lichtermeer hochladen und anklicken, ob man bereit wäre, das Objekt dem Museum zur Verfügung zu stellen. Zum Beispiel den Rest der Kerze, die 1993 im Einsatz war. Eine einzige Kerze hat das Museum bereits bekommen – jene von Gerlinde Affenzeller. Sie ist heute Geschäftsführerin des Vereins SOS Mitmensch, einer Menschenrechtsbewegung, die aus Anlass des Lichtermeers vor 30 Jahren gegründet wurde. Ihr gehörten auch Weihbischof Florian Kuntner und der damalige Caritaspräsident Helmut Schüller an. Monika Sommer hofft auf mindestens drei, wenn nicht sogar 30 Original-Kerzenreste vom Lichtermeer. Für die Ausstellung braucht es aber nicht unbedingt Kerzen. Gesucht werden auch Aufkleber, Anstecker, Werbezettel, „vielleicht eine Jacke mit einem Wachsfleck darauf“, ein Kalendereintrag, ein Zugticket ... „Das können ganz unterschiedliche Objekte sein, für die wir uns interessieren“, sagt Museumsdirektorin Sommer.
ÖSTERREICH MENSCHLICH
„Österreich zuerst“. So hieß ein Volksbegehren, das die FPÖ mit Jörg Haider ins Rollen brachte. Anlass waren die Flüchtlinge, die wegen des Kriegs aus Bosnien nach Österreich gekommen waren. „Das erste Volksbegehren gegen Menschen“, nannte es Weihbischof Kuntner von Iustitia et Pax. Dass Österreich kein Einwanderungsland sei, wollte das Volksbegehren in der Verfassung verankern, es verlangte einen „Einwanderungsstopp“. Insgesamt umfasste es 12 Forderungen. Dabei war schon vor 30 Jahren klar, „dass Österreich jährlich 25.000 bis 30.000 Zuwanderer braucht, damit die Wohnbevölkerung konstant und das Sozialversicherungssystem finanzierbar bleibt“, wie das Institut für Demoskopie errechnet hatte.
Im Gegenzug plakatierte etwa die Erzdiözese Salzburg in den Pfarrschaukästen: „Menschlichkeit zuerst – Unsere ausländischen Mitbürger können auf uns bauen.“ Und „Österreich hilft zuerst“ war der Titel eines Prospekts der Katholischen Aktion (KA), der „Zehn Gegen-Sätze zur aktuellen Aus-länder-Diskussion“ anbot. In ganz Österreich wurden 650.000 dieser Prospekte verteilt. Das Hauptanliegen der KA war, wie die Kathpress Anfang 1993 schrieb, „ausländerfeindlichen Tendenzen entgegenzuwirken, einem positiven Zusammenleben von Inländern und Ausländern das Wort zu reden und für Menschlichkeit in der Flüchtlingspolitik einzutreten“. Außerdem ersuchte die KA die Pfarrer, „in ihren Sonntagspredigten auf die Ausländerfrage gezielt einzugehen“.
MEILENSTEIN DER GESCHICHTE
Unter den zahlreichen Mahnwachen, „Lichterketten“, Diskussionen, Plakaten und Appellen für Menschenfreundlichkeit ragte der Samstag, 23. Jänner 1993, heraus. In vielen Städten zwischen dem Bodensee und dem Neusiedler See gab es Aktionen gegen die Unterzeichnung des Aus-länder-Volksbegehrens, die ab Montag, 25. Jänner, möglich war. Persönlichkeiten wie der Vorarlberger Caritas-Seelsorger Elmar Simma betonten: „Es soll keine Demonstration oder Kundgebung sein, bei der große politische Inhalte transportiert werden. Es geht schlicht und einfach darum, ein Zeichen guten Willens zu setzen, Brücken zwischen Menschen zu bauen.“ Ob man die Botschaft als politisch oder unpolitisch auffasste – zur größten Versammlung am Wiener Heldenplatz machten sich 250.000 Menschen aus Österreich auf. Mittelschüler-Kartell-Verband (MKV) und Österreichischer Cartellverband (CV) setzten sich ebenso wie Minister Alois Mock (ÖVP) gegen „den politischen Zynismus und die Menschenverachtung, die in diesem Volksbegehren zum Ausdruck kommt“, ein. Unter einer bunten Anzahl zivilgesellschaftlicher Gruppen unterstützten vor allem die Kirchen das Anliegen des „Lichtermeers“.
Beim Stephansdom gab es am 23. Jänner 1993 bereits ab 16 Uhr Reden vor zigtausenden Menschen, die sich dann unter Glockengeläut auf den Weg zum allgemeinen Treffpunkt auf dem Heldenplatz machten. Unter ihnen auch Kardinal Hans Hermann Groër und Kardinal Franz König. „Bemerkenswert“, so berichtete die Kathpress damals außerdem, „auch die Präsenz der Frauenorden in ihren Habits. Viele der Schwestern sind selbst Ausländerinnen.“ Als größte Kundgebung, die je in Wien stattgefunden hat, ging das Lichtermeer in die Geschichte ein.
UNGEAHNTE KRAFT
Froh und zuversichtlich zeigte sich der Präsident der Bischöflichen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden – „Iustitia et Pax“, Weihbischof Florian Kuntner, in seiner Rede vor dem Wiener Rathaus. Er zählte das Lichtermeer „zu dem Großartigsten, das dieses Land erlebt hat: Zehntausende Menschen gehen auf die Straße, nicht um für eigene Rechte und Vorteile zu demonstrieren, sondern für die Rechte anderer ... Es stärkt mich in der Überzeugung, dass in unserem Volk ungeahnte Kräfte der Menschlichkeit – nein: nicht ‚schlummern‘, sondern geradezu aufbrechen, wenn sie gefordert werden.“
MONIKA SLOUK
Autor:martinus Redaktion aus Burgenland | martinus |
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