Kardinal Schönborn im Osterinterview
Die Seele betet immer
Kardinal Christoph Schönborn ist seit kurzem von Corona genesen. Der SONNTAG hat den Wiener Erzbischof zum Interview getroffen und ihn gefragt, ob Not noch immer beten lehrt und ob das Gebet für Wladimir Putin Sinn hat. Ein Gespräch über Tod und Auferstehung Jesu und wie Kardinal Schönborn die Ostertage feiert.
In dieser Fastenzeit beschäftigen uns nach wie vor Coronainfektionen und der für viele bis vor kurzem unvorstellbare Krieg in Europa. Was Kardinal Schönborn zu den aktuellen Fragen denkt, konnten wir ihn im folgenden Interview fragen.
Herr Kardinal, Sie sind einer von aktuell rund vier Millionen genesenen Corona-Erkrankten in Österreich, obwohl sie dreimal geimpft sind. Wie ist es Ihnen ergangen?
Kardinal Christoph Schönborn: Ich hatte ganz leichte Symptome, einen Abend 38 Grad Fieber und dann ein wenig Schmerzen im Hals und das war es. Vielleicht ist auch eine gewisse Müdigkeit, die mir immer noch nachhängt, vielleicht hängt es damit zusammen oder vielleicht hängt es einfach damit zusammen, dass Frühling ist und ich zu wenig geschlafen habe.
Wir kommen zum zweiten Krisenbereich, der uns nahegeht. Die verheerenden Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine machen uns sehr betroffen. Dazu eine Frage, die nicht neu ist, die sich in dieser Zeit aber viele von uns stellen: Lehrt Not beten?
Man sagt das. Ich kann es bestätigen. Not hat mich immer wieder zum Beten hingedrängt und hingeführt. Ich kann das nicht als generelle Regel sagen, ich kann es von mir bestätigen. Das Gebet ist absolut vital, das ist der Atem der Seele und die Seele braucht das, weil sie von Gott geschaffen ist und auf Gott hin geschaffen ist, es ist ihr Lebensraum sozusagen. Der Raum, in dem sie sich entfalten kann, ist die Beziehung zu Gott. Und wenn wir diesem Bedürfnis der Seele nicht nachgeben, dann verkümmern wir, dann verkümmert vieles in unserem Leben und die Seele kann sich nicht entfalten. Also das Gebet ist einfach elementar. Und ich glaube, dass Menschen viel mehr beten, als sie selber merken. Denn es gibt so etwas wie ein unausgesprochenes Gebet, ein Seufzen der Seele, sozusagen ein Sehnen der Seele. Und ich erinnere mich an ein Wort einer Philosophin, mit der ich sehr befreundet war, das sie mir einmal gesagt hat, als ich darüber geklagt habe, dass ich mir so wenig Zeit zum Beten nehme und überhaupt, dass mein Gebet so armselig ist. Dann hat sie mir gesagt: „Aber die Seele betet doch immer.“ Ich glaube, ich kann es heute besser verstehen.
Bringt auch das Gebet für Wladimir Putin etwas?
Das ist eine grundlegende Frage, ob das Gebet etwas verändert. Darüber haben die Theologen sich jahrhundertelang den Kopf zerbrochen. Ändert mein Gebet Gottes Pläne? Wenn wir davon ausgehen, dass Gott wirkt, dann müssen wir auch davon ausgehen, dass wir Co-Worker sind, dass es zwischen Gott und dem Menschen eine Synergie gibt, ein Zusammenwirken. Ja, wenn wir Gott nicht gleichgültig sind, wenn es so etwas gibt, was die Bibel den Bund nennt, zwischen Gott und dem Menschen, dann ist es völlig normal in der Logik des Bundes, dass wir Gott etwas bitten können, wie Gott uns etwas bittet. Er bittet uns darum, dass wir seine Weisungen einhalten, weil er unser Leben will. Ja, und in diesem Sinne ist es absolut sinnvoll, auch für andere Menschen zu beten – warum nicht auch für Wladimir Putin?
Kommen wir zu einem anderen Thema. Zum synodalen Weg liegen die Ergebnisse der Umfrage in der Wiener Kirche vor. Aus Ihrer Sicht, Herr Kardinal, wohin wollen wir uns bewegen?
Die ersten Resultate, die vorliegen, haben mich nicht übermäßig überrascht. Sie sind sehr konzentriert auf innerkirchliche Fragen und auf die üblichen Themen. Ja, ich bin nicht sicher, dass das bereits das Resultat des synodalen Weges ist. Das ist einmal ein Anfang. Aber worum geht es im synodalen Weg? Für mich ist es ein Psalm, ein Wort, das in ganz einfacher Weise zum Ausdruck bringt, worum es in der Synodalität geht, im gemeinsamen Weg. „Herr, lehre uns deine Wege zu gehen.“ Da sind alle Elemente enthalten, die zur Synodalität gehören. Es richtet sich die Bitte an Gott, es geht um einen gemeinsamen Weg mit Gott. Unsere biblische Religion ist eine Religion der Gemeinsamkeit zwischen Gott und Mensch. Die Lehre, dass der Mensch nach Gottes Bild geschaffen ist, steht auf der ersten Seite der Bibel und das ist zwischen Gott und Mensch. Er geht mit uns und wir gehen mit ihm. Das ist einmal die Voraussetzung.
Das Zweite heißt „Zeige uns”. Wie sollen wir den Weg wissen? Wer von uns kennt die Zukunft? Den Weg zu finden, ist mit viel Unsicherheit verbunden. Das heißt, es betrifft uns alle, wir sind auf einem gemeinsamen Weg, die Umweltkrise, die Klimakrise, um nur ein Beispiel zu nennen, zeigt uns, wir sind alle davon betroffen. Zeige uns nicht die Wege, die mir gerade einfallen, sondern deine Wege. Wir brauchen seine Hilfe, damit wir selber seine Wege finden. Und das Letzte ist, dass das Wort Wege im Plural ist. Es gibt nicht nur einen Weg. Es gibt viele Wege. Viele Wege Gottes also, um es kurz zusammenzufassen. Mit diesem kleinen Psalmvers ist für mich das Wesentliche von Synodalität gesagt: Es ist etwas Gemeinsames, das mit Gott zu tun hat, wo wir noch nicht wissen, wie es genau geht, aber wo wir darauf vertrauen, dass er uns gemeinsam zeigt, welche die Wege des Lebens sind.
Herr Kardinal, Sie haben jetzt viele Wege angesprochen, die nach einem geflügelten Wort auch nach Rom führen. Ein enger Vertrauter von Ihnen, Papst Emeritus Benedikt XVI., wird in diesen Tagen 95 Jahre alt. Was wünschen Sie ihm?
Ich wünsche ihm auf jeden Fall ewiges Leben. Ich weiß nicht, ob ich ihm noch langes Leben wünschen soll. Das weiß man selber am besten. Ich habe bei meiner Mutter erlebt, dass sie sehr genau gewusst hat, wann es Zeit ist und dann gesagt hat: „Jetzt möchte ich aufbrechen. Ich mache mich auf die Reise.“
Sie haben Ihre Mutter angesprochen, die mit 101 Jahren nun im Frühjahr verstorben ist. Wie leben Sie mit diesem persönlichen Verlust?
Zuerst einmal ist es einfach schwierig, wenn man 40 Jahre gewohnt war, am Samstag miteinander zu telefonieren und am Samstag früh aufwacht und sagt: „Nein, es ist eben nicht Telefontag.“ Es ist eine neue Situation und das Wahrnehmen der anderen Präsenz, an die ich glaube. Das muss ich erst einüben. Das Konzil sagt so schön, dass unsere Versorbenen, wenn sie bei Gott sind und Gott in unseren Herzen ist, dadurch uns noch näher sind als zuvor. Freilich sind wir leibliche Wesen und daher ist die leibliche Abwesenheit so sehr spürbar.
Tod und Auferstehung sind Themen, die uns zu diesem Osterfest prägen. Was unterscheidet denn die christliche Auferstehung von der Wiedergeburtslehre?
Ich habe viel diskutiert mit Menschen, die an die Reinkarnation glauben. Also wiederholte Erdenleben. Ich habe einmal einen Jesuiten, der lange in China gelebt hat, gefragt: „Was sagen Sie eigentlich aus Ihrer langjährigen Erfahrung mit den asiatischen Religionen über die Reinkarnation?“ Er hat eine sehr kluge und eindrucksvolle Antwort gegeben: „Wie dem auch sei mit den asiatischen Lehren über die Reinkarnation, eines ist für mich sicher: Christus ist das Ende der Reinkarnation.“
Für mich ist es existenziell undenkbar, dass Jesus dann, wenn sie drüben sind, zum Schächer sagt: „So, und jetzt gehst du wieder zurück und fange von Neuem an.“
Und ich habe mir das so übersetzt: Der rechte Schächer hatte zu Jesus am Kreuz gesagt: „Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst.“ Und Jesus hat ihm geantwortet: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ Für mich ist es existenziell undenkbar, dass Jesus dann, wenn sie drüben sind, zu ihm sagt: „So, und jetzt gehst du wieder zurück und fange von Neuem an.“ Das ist für mich schlichtweg undenkbar. Ich hielte es für unvorstellbar grausam, für einen Menschen, der den Kreuzestod erlitten hat, dass man ihn zurückschickt auf diese Erde. Und ich erinnere auch daran, dass im Buddhismus und Hinduismus die Reinkarnation als ein Unglück, als ein Leid empfunden wird. In der westlichen Variante, die bei uns jetzt sehr in Mode ist, ist es sozusagen die Chance, noch einmal Golf zu spielen und noch einmal Bridge zu spielen, wenn ich jetzt sehr spöttisch bin.
Bleiben wir dabei. Was ist denn aus Ihrer Sicht der theologische Kern des Glaubens?
„Tod, wo ist dein Sieg, Tod, wo ist dein Stachel?“ Paulus hat das wunderbar im fünfzehnten Kapitel des ersten Korintherbriefs formuliert. Der Stachel ist der Tod, dieser Stachel ist überall. Er ist in jeder Begegnung, bei jeder Geburt ist dieser Stachel schon da, bei jeder Krankheit. Er droht, er bedroht uns täglich. Ja, wir wissen nicht, ob wir am Abend noch in diesem Leben sind. Und dieser Stachel des Todes ist so stark, dass der Hebräerbrief einmal sogar sagt, dass der Teufel die Menschen gefangen hält durch die Angst vor dem Tod. Das heißt, der Stachel des Todes ist wirklich allgegenwärtig. Dem gegenüber steht die Auferstehung Jesu.
Kommen wir noch einmal zurück auf die unter dem Krieg leidenden Menschen in der Ukraine. Welche Osterbotschaft, Herr Kardinal, haben Sie denn für Menschen, die unter anderem in Mariupol leiden bzw. auch für die geflüchteten Menschen aus der Ukraine, die zu uns kommen?
Ich würde eher fragen: Was haben Sie für eine Botschaft für uns? Natürlich sollen wir uns bemühen, zu trösten, Aufmerksamkeit und Zuwendung zu schenken. Aber die, die wirklich etwas über die Auferstehung sagen können, das sind die, die in der Hölle von Mariupol leben.
Plötzlich läuten Glocken. Er wird sich bewusst als junger Soldat: Es ist Ostersonntag.
Ich erinnere mich da immer an ein Tagebuch von Graf Lehndorff. Sein Bruder ist umgebracht worden im Zuge des 20. Juli 1944 im Widerstand gegen Hitler. Lehndorff war in Ostpreußen zu Hause und Arzt. Er hat das Ende des Krieges und die Ankunft der Sowjettruppen erlebt. Ich habe dieses Tagebuch in den 70er-Jahren gelesen und da ist eine Szene vom Ostersonntag 1945. Und er beschreibt nur, was in ihm vorgeht. Als Arzt versuchte er, was er tun konnte ohne Medikamente in dieser unglaublich dramatischen Situation. Ich kann mich nicht mehr an die genauen Worte erinnern, nur an dieses siegreiche Gefühl, das er vermittelt hat in diesen Tagebuchnotizen zu Ostern. Das ist wahrscheinlich das, was Menschen aus Mariupol uns sagen können.
Ich erinnere mich auch an das Ostererlebnis des verstorbenen Bischof Reinhold Stecher. Er schreibt in einem Buch, wie er mit den deutschen Soldaten in Norwegen im Zweiten Weltkrieg von einer Höhe runterkommt in ein Tal und plötzlich läuten Glocken. Er wird sich bewusst als junger Soldat: Es ist Ostersonntag. Er beschreibt auch diese Erfahrung von Ostern.
Solche Menschen muss man fragen. Wir haben nicht ihnen etwas zu sagen, sondern sie haben uns etwas zu sagen.
Und Sie persönlich gefragt, Kardinal Schönborn, was bedeutet Ihnen Ostern?
Ostern gibt die Gewissheit dafür, dass Jesus lebt. Und wenn etwas mein Leben prägt, dann ist es, dass der Herr lebt. Und wenn das nicht so wäre, wüsste ich nicht, was ich hier tue. Welchen Sinn hätte mein Leben?
Wie werden Sie Ostern feiern?
Ich habe ein sehr klares Osterprogramm. Da sind die Ostergottesdienste im Stephansdom, beginnend mit der Chrisammesse am Montag, dann der Gründonnerstag, heuer wieder mit der Fußwaschung. Dann Karfreitag, Osternacht und Ostersonntag. Da ist einfach die Freude, dass wir wieder Gottesdienst fast ohne Einschränkungen feiern können und da ist die Freude, das im Dom tun zu dürfen. Der Dom ist ja nach dem Brand 1945 selbst ein Symbol der Auferstehung. Ich weiß, dass es ein unglaubliches Privileg ist, in diesem Dom Ostern feiern zu dürfen. Für mich ist das immer ganz besonders innig. Und ich freue mich, den Ostermontag im Kloster der Dominikaner in Retz zu verbringen und einen Emmausgang durch die Weinberge zu machen.
Herr Kardinal, danke für das Gespräch.
Autor:Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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