Ukraine
„Wir dürfen uns an den Krieg nicht gewöhnen“
Aus seiner Solidaritätsreise in die Ukraine nahm Erzbischof Franz Lackner zwei konkrete Projekte mit nach Österreich: Die Unterstützung der medizinischen Versorgung von Kriegsopfern und eines Spielplatzes in der Pfarre Sankt Johannes Paul II. am Stadtrand von Lemberg. Im Rupertusblatt-Interview spricht der Erzbischof auch von beeindruckenden Begegnungen wie beim Gottesdienst für Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit in der Garnisonskirche in Lemberg: „Ich habe noch nie so eine intensive Sehnsucht der Menschen nach Segen erlebt.“
RB: Mit welchen Eindrücken kehren Sie aus Polen und der Ukraine zurück? Was bleibt?
Erzbischof Franz Lackner: Wie furchtbarer Krieg und scheinbar normales Leben ganz eng nebeneinander existieren können. Und wie sehr die Religion in das Geschehen involviert ist.
RB: Was bedeuten diese Erfahrung ganz persönlich für Sie?
Erzbischof Lackner: Friede ist ein wertvolles Gut. Er geht nicht erst verloren, wenn man aufeinander schießt. Es gibt immer eine Vorgeschichte. Viele haben sich mittlerweile daran gewöhnt, dass Krieg herrscht. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen oder uns mit der Not der Menschen abfinden. Weiters können wir nie wissen, was die Zukunft bringt, ob etwas Ähnliches nicht irgendwann auch bei uns passieren kann. Wir müssen eine Wachsamkeit an den Tag legen.
RB: Das polnische Przemysl war erste Station der Solidaritätsreise. Polen hat hunderttausende ukrainische Kriegsvertriebene aufgenommen. Wie ist hier die Lage?
Erzbischof Lackner: Was mich erstaunt hat, war die Selbstverständlichkeit, mit der man in Polen die Ukraine unterstützt. Die Menschen sind überzeugt: Wenn wir nicht helfen und es keinen Widerstand gegen die russische Aggression gibt, wird sie immer weitergehen. Die Beziehung zwischen Polen und der Ukraine, zwischen den römischen und den griechischen Katholiken war nicht immer einfach. Doch aktuell ist der Zusammenhalt sehr groß und geht weit über bloße Nachbarschaftshilfe hinaus.
RB: Großerzbischof Swjatoslaw Schwewtschuk, Oberhaupt der ukrainisch-katholischen Kirche, betont, wie wichtig das Leben der Kirche, ihre Mission und ihre Aktivitäten gerade jetzt unter diesen schrecklichen Umständen seien. Welche Rollen spielen die Kirchen?
Erzbischof Lackner: Die Kirchen bemühen sich darum, dass das Leben weitergeht, dass aber auch Trauerarbeit geleistet wird, dass Waisenkinder versorgt werden. Natürlich leistet sie mit dem Gebet ihren Beitrag und will sich um eine gerechte Versöhnung bemühen. Der Segen ist für die Menschen extrem wichtig.
Ich habe eine solche intensive Sehnsucht der Menschen nach Segen noch nie erlebt, besonders als mein Mitbruder Wilhelm Krautwaschl und ich in der Garnisonskirche in Lemberg waren. Diese Sehnsucht ist wie ein lautes und doch stilles Schreien nach Gott. (Anm. Die österreichischen Bischöfe feierten mit den Gläubigen einen Gottesdienst bei dem sie mit ihnen für Frieden, für Gerechtigkeit und die Freiheit der Ukraine beteten.)
RB: Sie haben an der Versammlung der ukrainischen griechisch-katholischen Bischöfe teilgenommen. War hier auch ein Austausch über die Erfahrungen mit Synodalität möglich?
Erzbischof Lackner: Direkt war sie in den Gesprächen kein Thema. Aber freilich zeigt sich die Notwendigkeit, anschlussfähig und zugleich ergänzungsbedürftig zu sein, für die Kirche gerade in solchen herausfordernden Zeiten.
RB: Ein Ende des Krieges ist nicht absehbar. Was braucht es, damit die Solidarität und Unterstützung auch in Zukunft nicht abnimmt? Und kommt die Hilfe aus Österreich an?
Erzbischof Lackner: Die Hilfe kommt an, davon konnten wir uns selbst überzeugen. Der griechisch-katholische Bischof von Donezk etwa hat sich mehrmals herzlich bei mir für die Hilfe bedankt, die er durch die Salzburger Caritas erfahren hat. Eine große Frage und Bedrohung ist das Wetter im kommenden Winter. In Städten wie Charkiw ist kaum noch ein intaktes Fens-ter vorhanden. Und sie lassen sich aufgrund der fortlaufenden Angriffe auch nicht reparieren. Auf diese kommende, schwierige Zeit gilt es sich vorzubereiten. Zudem müssen wir versuchen, die Situation der Ukraine wirklich zu verstehen und uns vor einfachen Antworten hüten, wie etwa einer Forderung nach einer Kapitulation. Nur weil die Waffen vielleicht schweigen, bedeutet das ja noch keinen Frieden. Die Staatengemeinschaft wird noch massiv gefordert sein, eine dauerhafte Lösung zu finden.
RB: Sie sagten, diese Reise ist ein Zeichen der Solidarität. Wie wichtig ist es, dass Kirchenvertreter mit Besuchen ihre Solidarität zeigen?
Erzbischof Lackner: Ich war wirklich höchst erstaunt, mit welcher Freude und welcher Dankbarkeit wir empfangen wurden. Ich denke, es ist wichtig, hinzufahren und Menschen zu begegnen, zu sehen, mit welch wenigen Mitteln sie Großes leisten. Das Haus der Barmherzigkeit etwa ist ein wirkliches Vorbild. Es ist nur wenig mehr als eine Fabrikhalle, aber man kümmert sich wirklich aufopfernd, auch psychologisch, um die Kinder. An diesem Ort gehen Religion und praktische Hilfe zusammen.
RB: Haben Sie Hoffnung, bald in eine Ukraine reisen zu können, in der Friede herrscht? Was kann die Kirche in Österreich für den Frieden tun?
Erzbischof Lackner: Es besteht seitens der ukrainischen Bischöfe und der Politiker wenig Hoffnung auf einen baldigen Frieden. Vielmehr wird befürchtet, dass der Vormarsch sich auf die gesamte Ukraine erstrecken könnte. In den Gebieten, die bereits unter russischer Kontrolle sind, bleibt den Menschen ja nichts mehr außer dem „bösen Blick“ gegen die Besatzer und ihnen zu vermitteln: Ihr seid nicht willkommen.
Unsere Aufgabe als Kirche in Österreich sehe ich natürlich im Gebet sowie in der Unterstützung und der konkreten Hilfe für die Opfer. Uns wurde zum Beispiel berichtet, dass es in der Pfarre Sankt Johannes Paul II. am Stadtrand von Lemberg einen Spielplatz für die geflohenen Kinder braucht. Es sind hier zahlreiche Flüchtlingsfamilien – fast ausschließlich Mütter mit ihren Kindern – untergekommen. Und wir haben erfahren, dass es Pläne und Angebote gibt, Verletzte in Österreich zu behandeln. Dieses Vorhaben ist bisher an bürokratischen Hürden gescheitert. Wir wollen das weiter verfolgen und uns für die medizinische Versorgung und Rehabilitation einsetzen.
Hilfe aus Österreich
In einem Benediktinerinnenkloster in der Pfarre Sankt Johannes Paul II. leben dutzende Kriegsvertriebene: Mütter mit ihren Kindern sowie alte, alleinstehende Menschen. Die österreichischen Bischöfe Wilhelm Krautwaschl und Franz Lackner überzeugten sich bei ihrem Besuch in Lwiw (Lemberg), wie den Alten und Jungen mit den geringen vorhandenen Mitteln bestmöglich geholfen wird. Eine willkommene Ablenkung, um Erlebtes für kurze Momente zu vergessen, wäre ein Spielplatz für die Mädchen und Jungen. Erzbischof Lackner lotet gerade Möglichkeiten aus, um diesen Wunsch zu erfüllen. Und er appelliert noch einmal, sich mit der Not auch in Zukunft nicht abzufinden: „Die gro-ßen Probleme, die nun mit der zunehmenden Ressourcenknappheit auf die Menschen in Österreich zukommen, dürften nicht gegen das Leid der ukrainischen Menschen ausgespielt werden.“ Beides gelte es gleichermaßen im Blick zu haben.
Autor:Ingrid Burgstaller aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT |
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