Zum 130. Geburtstag von J. R. R. Tolkien
Der Herr der Ringe: Gut und Böse in Mittelerde

Übermacht – neun Gefährten stellen sich einer Heerschar des Bösen. | Foto: www.aronjaart.com
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Es war einmal ein dunkler Herrscher, der schmiedete einen Ring der Macht, um sich die ganze Welt untertan zu machen. Mittelerde hieß diese Welt, erschaffen hat sie der britische Schriftsteller und Philologe J. R. R. Tolkien. Zu seinem 130. Geburtstag am 3. Jänner führt uns die Theologin Regina Polak in sein „Herr der Ringe“-Universum und zieht biblische Vergleiche.

Es ist eine zeitlos aktuelle Geschichte, die uns J. R. R. Tolkien in seinem bekanntesten Werk, „Der Herr der Ringe“, erzählt. Auch heute trifft sie einen „soziologischen Nerv“, wie es die Wiener Theologin Regina Polak formuliert. Monika Fischer hat sie zum Gespräch getroffen.

„Der Herr der Ringe“ ist für Sie ein durch und durch religiöses Buch, das die Frage nach Gut und Böse aus einer spirituellen Perspektive stellt. Inwiefern?
REGINA POLAK: In der Geschichte der einzelnen Protagonisten wird gezeigt, wie eine spirituelle Auseinandersetzung mit dem Bösen aussieht, welche Versuchungen es gibt, wie eine Phänomenologie des Bösen aussieht und wie man sich gegen das Böse wehren, ihm widerstehen und es auch besiegen kann. Das geschieht durch einen Weg, den jeder Einzelne, aber auch die Gruppe, die da unterwegs ist, durchleben und durchleiden muss.

Mut spielt in dieser Geschichte eine Rolle, darin sehen Sie ein religiöses Motiv.
Das Interessante ist, dass wir es hier mit einem Motiv zu tun haben, das sich auch in vielen biblischen Texten findet. Es gibt eine große imperiale Übermacht, in diesem Fall ist das der Herr der Ringe und seine Entourage, die alle mächtig sind und entsprechende Heerscharen aufgestellt haben. Auf der anderen Seite haben wir eine ziemlich kleine Gruppe mit durchaus ambivalenten Personen und Persönlichkeitsstrukturen, die dieser Übermacht auf den ersten Blick ohnmächtig gegenüberstehen und die immer wieder in Situationen kommen, wo man sich denkt: ‚Das kann man eigentlich gar nicht schaffen.‘ Bemerkenswert finde ich, dass, ähnlich wie in vielen biblischen Erzählungen, Tugenden und Verhaltensweisen zum Tragen kommen, die wir auch bei biblischen Akteuren finden, speziell im Alten Testament. Die Hauptpersonen sind zum Beispiel die Hobbits, Geschöpfe, die sich nicht durch besondere heroische oder intellektuelle Fähigkeiten auszeichnen. Aber sie haben einen unglaublichen Mut, und zwar im Sinne einer Beherztheit. Sie haben ein ganz starkes Herz und ein unglaubliches Vertrauen. Gegen jede Chance riskieren sie immer wieder den nächsten und oft einzig möglichen Schritt, um sich diesem Bösen zu stellen. Damit kommen Tugenden ins Spiel, die auch in unserer Tradition eine Rolle spielen, nämlich glauben, hoffen und lieben.

„Woran sollen wir noch glauben?“

Die Freundschaft spielt eine zentrale Rolle in dieser Geschichte. Die Hoffnung wird an jener Stelle deutlich, als Frodo ganz verzweifelt und auch schon im Bann der Macht dieses Ringes seinen treuen Begleiter Sam fragt: ‚Woran sollen wir noch glauben?‘ Sam antwortet: ‚Es gibt etwas Gutes in der Welt.‘ Er nimmt wahr, dass es sich auszahlt, hinzusehen auf das, was Einzelne an guten Taten setzen. Dabei entsteht Hoffnung. Ohne Hoffnung kann man so ein Großprojekt wie den Kampf gegen das Böse tatsächlich nicht angehen.

Gott lässt uns Menschen die Freiheit, uns für Gutes oder Böses zu entscheiden. Von dieser Freiheit erzählt auch J. R. R. Tolkien in „Der Herr der Ringe“.

In „Der Herr der Ringe“ wird davon ausgegangen, dass es eine Art Plan gibt, nach der diese Geschichte sich vollziehen soll. Derjenige, der davon weiß, ist der Zauberer Gandalf. Dieser Plan muss nicht zwangsläufig so ablaufen – das ist auch in unserer christlichen Tradition so. Es gibt eine Vorsehung im Sinn der Fürsorge. Gott wird Vor- und Fürsorge treffen, damit sein Ziel, nämlich die Rettung der Menschheit, an ein Ende kommt. Gott lässt sich immer wieder – und davon erzählen die heiligen Schriften – etwas Neues einfallen, um den Menschen aus der Patsche zu helfen. Die Menschen müssen sich in Freiheit dazu entscheiden, dieses Ziel aus eigener Kraft mitzuverfolgen. Das tun sie regelmäßig nicht. Eine ähnliche Struktur sehe ich im „Herrn der Ringe“. Gandalf weiß um den Plan, aber einzelne Menschen spielen nicht wirklich mit.

Sie vergleichen die Geschichte mit einem spirituellen Weg.
Dazu bin ich von der Ästhetik in der Verfilmung inspiriert worden, hier treten Urbilder in Erscheinung: Man muss in die höchsten Höhen aufsteigen und ist dort ständig vom Fall, vom Absturz bedroht. Dann muss man hinunter in die tiefsten Tiefen, quasi in die eigene Tiefe. Das ist lebensbedrohlich, aber notwendig, um sich mit sich selbst zu versöhnen. Es gibt auch das Böse im eigenen Inneren, mit dem man sich auseinandersetzen muss, wenn man diesen spirituellen Weg hin zu einem guten Menschen gehen und bestehen will.

Als der Ring der Macht zerstört wird, verschwinden auch der Herr der Ringe und alle seine üblen Verbündeten. Wie erklären Sie das?
Das Böse ist in gewisser Weise ein großer Popanz, ein Nichts. In dem Moment, in dem der Ring in die Feuersfluten fällt und schmilzt, fällt der gesamte Machtapparat des Herrn der Ringe einfach in sich zusammen und löst sich in nichts auf. Das hat mich an etwas erinnert, das ich aus der theologischen Tradition kenne: Das Böse ist ein Mangel an Gutem. Ein Nichts, das davon lebt, dass Menschen ihm Macht verleihen. Es ist wichtig zu erkennen, dass wir Menschen durch unsere Art zu denken, zu handeln, durch unsere Entscheidungen wesentlich dazu beitragen, dass böse Wirklichkeiten entstehen. Wenn wir dort die Energie abziehen, fällt das Böse in sich zusammen.

Der Ring verleiht größte Macht und stellt eine enorme Versuchung dar.
Als Theologin finde ich interessant, dass dieser Ring die absolute Macht über alle anderen verspricht und gleichzeitig das Versprechen zu ewigem Leben gibt. Die nahezu religiöse Verehrung von Macht ist lebensgefährlich.

"Die Welt ist im Wandel ..."

Die Ambivalenz der Macht kann man an der Figur des Aragorn erkennen. Er ist der Archetypus des guten Königs, weigert sich aber während der Hälfte der Erzählung, diese Königswürde zu übernehmen. Er hat an seinen Vorfahren gesehen, was diese Macht anstellen kann. Das will er nicht und davor hat er Angst. Er schafft es erst, diese Macht im Sinne einer Berufung anzunehmen, als ihn Arwen, seine Liebe, an seine Individualität und Freiheit erinnert, daran, dass er nicht gezwungen ist, die Geschichte gleich fortzusetzen. Er ist frei und kann selbst wählen, wie er mit dieser Macht umgeht. Erst dann ist er in der Lage, seiner Berufung zum guten König gerecht zu werden und seine Macht in den Dienst des Lebens zu stellen und erliegt nicht mehr der Versuchung der Macht. Er ist aber immer vorsichtig und weicht dem Ring aus. Das tun in der Geschichte übrigens viele der Hochbegabten, was ich auch interessant finde, aus einer spirituellen Perspektive. Es gibt ein Sprichwort aus der Zeit der Kirchenväter, das sinngemäß so lautet: ‚Wenn sich der Teufel einen Heiligen angeln will, dann hängt er einen Heiligen an die Angel‘. Die zentralste Versuchung zum Bösen erfahren mitunter die Hochbegabten, die spirituell schon sehr weit sind. Auch das sieht man in dieser Geschichte.

Vorhin haben wir vom “Plan” gesprochen, von einer Art Vorsehung. Oft sind es dann aber die unerwarteten Wendungen, die eine Geschichte zum Guten wenden. In diesem Zusammenhang ist die Figur des Gollum interessant, er besaß den Ring der Macht lange Zeit und lebt nur noch für ihn.
Gollum ist für mich insofern faszinierend, als man bei ihm die Langzeitauswirkungen einer zu großen Nähe zu dieser Macht und dem Bösen beobachten kann¬ - wie er korrumpiert und deformiert wird, bis hin zu seiner optischen Gestalt. Er ist nur mehr Haut und Knochen, verkrümmt und kann nicht mehr aufrecht gehen. Aber gleichzeitig sieht man bei ihm, dass das Gute in ihm doch nicht ganz zu zerstören ist. Das ist im Film grandios gelöst. Das ist für mich eine paradoxe Logik, die ich auch aus spirituellen Traditionen kenne, dass selbst Irrwege und Verfehlungen auf interessanten Umwegen am Ende etwas Gutes erreichen können.

Der treueste Begleiter des Ringträgers Frodo ist Sam (auch ein Hobbit). Er erinnert Sie in mancher Hinsicht an einen von Jesu Jüngern, nämlich Petrus. Welche Ähnlichkeiten finden Sie?

Interessant ist, dass der dunkle Herrscher Sauron, also der Herr der Ringe, nicht von einem Helden alleine besiegt wird, sondern von einer Gruppe. Das Duo Frodo-Sam spielt da eine Schlüsselrolle. Es kann schon sein, dass Sam manchmal etwas unterschätzt wird, weil er ein bisschen naiv, nicht ganz so klug und tollpatschig erscheint. Aber er unterstützt Frodo mit einer unglaublichen Treue und Freundschaft. Und Sam hat – anders als Frodo – eine instinktive Abneidung gegen diesen Ring. Das Interessante ist, dass dieser Sam notwendig ist, in seiner Freundschaft und mit seiner Psyche und Charakterstruktur, damit Frodo seine Aufgabe überhaupt erledigen kann. Am Schluss trägt Sam sogar Frodo. Da fällt mir als Vergleichsperson schon manchmal Petrus ein, von dem die Evangelien immer Erzählungen wie zum Beispiel die Fußwaschung überliefern, wo er ganz konsterniert ist, dass Jesus den Jüngern die Füße waschen soll und sagt: „Nein, das kann überhaupt nicht sein.“ Oder als Petrus über das Wasser gehen soll und untergeht. Das hat auch alles immer so eine authentische, direkte, immer von Liebe und Treue zu Jesus getragene Ausstrahlung. Für mich gibt es da eine gewisse Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Typen.

In “Der Herr der Ringe” wird die Gier nach der Macht beschrieben, die sich in der Gier nach dem Ring ausdrückt. Hier finden Sie auch Parallelen zur Bibel.
In diesem Bestreben und auch in dieser Gier, die man immer wieder sieht, diesen Ring besitzen zu wollen, wird auch spirituelle Grunderfahrung beschrieben oder diskutiert, nämlich das Thema des Besitzes. Das Besitzen ist weniger das Problem ist, sondern das Sich-definieren über diesen Besitz. Und die Meinung, man könne mittels dieses Besitzes Macht über andere ausüben. Nicht das Besitzen als solches, sondern das, was das Besitzen - in dem Fall – mit den Ring-Trägern machen kann und auch macht. Je mehr man besitzt, umso schwieriger wird es. Das Besitzen verändert die Seele, den Geist und damit auch das Verhalten des Menschen, das macht es so gefährlich. Das kann man in den verschiedenen Ausformungen und Reaktionen der Personen, die mit diesem Ring zu tun bekommen, sehr deutlich sehen.

Bei Gollum, der, sobald er diesen Ring sieht, mit einer entstellten Fratze auf ihn hin giert und ihn mit einer unglaublichen Aggression an sich reißen will. Das unglaubliche Erschrecken beim Zauberer Gandalf und bei der Elbenkönigin Galadriel, als ihnen der Ring angeboten wird und sie mit sich selber und ihrer eigenen inneren Versuchung konfrontiert sind, mittels dieses Ringes die eigenen Fähigkeiten noch einmal zu vergrößern. Das ist etwas, das wir auch im Neuen Testament thematisiert finden, dass es für Reiche eben schwieriger ist, ins Himmelreich zu kommen. Und zwar nicht, weil sie reich sind, sondern weil der Reichtum so sehr des Menschen Seele besitzen kann, dass er vergisst, dass er ein von Gott abhängiges Geschöpf ist, und meint, er könne alles aus eigener Macht und Kraft bewerkstelligen.

“Der Herr der Ringe” spielt in einer Welt im Wandel. Damit trifft die Geschichte einen Nerv unserer Zeit, wie Sie sagen.
Das korrespondiert mit dem Gefühl, das heute viele haben: dass mit unserer Welt etwas nicht in Ordnung ist und sich an unglaublich vielen Ecken und Enden Katastrophen zusammenbrauen. Den Klimawandel muss ich wahrscheinlich nicht eigens anführen. Es geht auch um das Wissen, dass die Covid-Pandemie wahrscheinlich nicht die letzte Pandemie gewesen sein wird, um das Risiko eines Blackout, um Finanzkrisen. Das sind interessanterweise alles Phänomene, die mit einer Zusammenrottung von Macht zu tun haben. Es ist ein Wandel, der vielen Menschen aus guten Gründen Angst macht. In diesem Zusammenhang sehe ich die Erzählung vom Herrn der Ringe als eine Art Märchen für Erwachsene, das uns erzählt: Es lohnt sich, sich zusammenzutun – auch wenn es vielleicht unmöglich erscheint – und gemeinsam zu schauen, wie man die Welt ein Stück weit besser machen kann. Märchen leben von religiösen Motiven und erzählen uns, dass es Wege und Möglichkeiten gibt, dass uns das Böse nicht besiegt, sondern dass am Ende – wann auch immer das sein wird – alles irgendwie gut wird.

Zur Sendung im Podcast auf radio klassik Stephansdom:Gut und Böse in Mittelerde

Worum geht es in Der Herr der Ringe?

Um die bösen Mächte in Mittelerde zu besiegen, muss der Ring der Macht in den Feuern des Schicksalsberges, im Zentrum des Bösen, zerstört werden. Frodo, einem friedliebenden Hobbit, fällt diese schier unmögliche Aufgabe zu. Gemeinsam mit acht weiteren Gefährten – Hobbits, Zwergen, Elben, Menschen und einem Zauberer – macht er sich auf den Weg.

Wer ist J. R. R. Tolkien?
John Ronald Reuel Tolkien (1892–1973) lehrte an der Universität Oxford. Sein Werk ist geprägt von seinem katholischen Glauben. Sein Roman „Der Herr der Ringe“ gilt als Grundlage für die moderne Fantasy-Literatur und ist eines der erfolgreichsten Bücher des 20. Jahrhunderts, das auch als dreiteiliges Filmepos weltweit eine Fangemeinde hat.

Übermacht – neun Gefährten stellen sich einer Heerschar des Bösen. | Foto: www.aronjaart.com
Regina Polak ist katholische Pastoraltheologin und Professorin am Institut für Praktische Theologie an der Universität Wien. | Foto: www.kathbild.at
Autor:

Monika Fischer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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