Kirchen und Klöster
Von der Touristenattraktion hin zu einem „stillen Ort“
Es ist leer geworden. Haben sie vor der Corona-Pandemie unter zu vielen Besuchern gelitten, ist nun oft das Gegenteil der Fall – Österreichs kirchliche Besuchermagnete bieten jetzt die Gelegenheit, sie in „aller Ruhe“ aufzusuchen. Ein kleiner Lagebericht aus vier der bekanntesten Sehenswürdigkeiten.
„Wir sind von einem Extrem ins andere gefallen.“ Mit fast wehmütigem Klang in der Stimme erzählt Dietmar Koisser, seines Zeichens Sakristeidirektor im Dom zu Salzburg, über die aktuelle Lage. In einem Ort, an dem sich in normalen Zeiten Tausende Besucher buchstäblich auf die Zehen steigen, waren zuletzt vielleicht 50 Gäste zu sehen. Über den ganzen Tag verstreut. Overtourism, dieses gerade in Salzburg noch im Jahr vor Corona so viel diskutierte Phänomen, ist in der laufenden „Pandemie-Saison“ keines mehr. Im Gegenteil. Koisser: „Mittlerweile wird hier schon überlegt, wie man die Leute wieder in die Stadt bringt.“
Nicht nur in Salzburg zerbricht sich so mancher den Kopf darüber, wie es weitergeht. Es sind vor allem die vermutlich auch heuer ausbleibenden ausländischen Gästeströme, die dafür sorgen, dass selbst die großen kirchlichen Tourismusattraktionen in Österreich zu „stillen Orten“ werden. Für viele auch ein wirtschaftlicher Faktor, denn die Einnahmeausfälle durch fehlende zahlende Besucher sind teils massiv. Ausgestattet mit „Gottvertrauen“ und einigen neuen Anreizen hofft man heuer darauf, zumindest das heimische Publikum für einen Besuch gewinnen zu können.
Schaurig schöne Leere. „Der leere Dom ist für mich manchmal schaurig schön“, schildert Dietmar Koisser, „aber es kann auch trostlos wirken, wenn man den Dom als sonst so belebten Ort kennt“. Eine volle Kirche, die gibt es jedoch virtuell: Professionell und erfolgreich werden Gottesdienste und Andachten via Video-Stream ins Internet übertragen. „Das ist schön, wenn man weiß, dass bei den Liturgiefeiern im kleinen Kreis im leeren Dom so doch Tausende Besucher dabei sind“, sagt Koisser, der bei den Übertragungen selbst am Regiepult sitzt. Um möglichst viele Menschen damit zu erreichen, sind sogar Gebärdendolmetscher im Einsatz. Und zwei TV-Sender – ORF III und BibelTV – übertragen ebenfalls immer wieder Messen. Für Domführungen außerhalb der Gottesdienstzeiten (je nach aktueller Coronalage möglich) hat man mit „Audioguides“ für Besucher ebenfalls schon vorgesorgt.
Für die Sommersaison ist man in Salzburg vorsichtig optimistisch. Dom- und Mittagsorgel-Konzerte sowie die Veranstaltungen im Zusammenhang mit den Salzburger Festspielen sind in Planung. „Wir rechnen mit einem angenehm sanften Tourismus wie im vorigen Sommer, mit österreichischem Publikum – die, die schon da waren, haben es als traumhaft empfunden, weil man Salzburg so sonst nicht kennt.“
Dom-Foto ohne Besucher. Das wäre zu normalen Zeiten wohl unmöglich: Ein Foto aus dem Inneren des Wiener Stephansdoms ohne einen Besucher darauf. „Ja, das hat sich gewandelt, bei sechs Millionen Besuchern jährlich haben wir noch über Overtourism gejammert, jetzt liegen wir bei vielleicht 10 Prozent davon“, sagt Toni Faber, weithin bekannter Dompfarrer von St. Stephan. Die „gähnende, weite Leere im Dom war schrecklich, als ich nur mit ein paar Leuten am Hauptalter eine Messe zelebriert habe“. Auch wenn man weiß, dass ein paar Hundert Zuschauer via Livestream dabei sind.
Manchmal treffe er nun auf Besucher aus den Bundesländern: „Die freuen sich, wenn sie mich sehen, und bestürmen mich mit Fragen – ich antworte gerne, aber eigentlich haben wir ja unsere Domführer.“ Der andauernde „Totalausfall“ an ausländischen Touristen mache sich natürlich wirtschaftlich bemerkbar: „Unser Domshop trägt etwa normal einen großen Teil des Geschäfts, mit seinen Angeboten in verschiedensten Sprachen, den sehr gefragten Devotionalien – da werden wir uns wohl neu aufstellen müssen.“
Dem durch Corona verlangsamten Alltag ohne „Riesenbetrieb“ kann Faber auch Positives abgewinnen: Man könne mehr Gedankenschmalz für laufende Projekte aufbringen. Und diese Projekte haben bei Toni Faber oft mit zeitgenössischer Kunst zu tun: „Seit fast 23 Jahren versuche ich KünstlerInnen in den Dialog mit der Kirche zu bringen.“ So verhüllte in der Fastenzeit ein überdimensionaler violetter Pullover des bekannten Künstlers Erwin Wurm den gesamten Hochaltar. Und ab Ostern können Besucher eine mit goldenem Neonlicht beleuchtete „Jakobs-Himmelsleiter“ bestaunen. Die Installation der Künstlerin Billi Thanner strebt von der Taufkapelle durch das Innere des Domes hinauf, verschwindet im Turm, um dann ab der Höhe von 90 Metern außen weithin sichtbar bis zur Turmspitze in 132 Meter Höhe zu reichen.
Das Staunen, das solche Kunstwerke hervorrufen („manch einer beschimpft uns auch“), gemeinsam mit dem architektonisch so beeindruckenden Dombau, bringe Besucher immer wieder dazu, sich mit dem eigenen Glauben auseinanderzusetzen und vielleicht einen nächsten Glaubensschritt zu setzen. Ein Angebot, das es gerade jetzt in der Corona-Zeit zu nutzen gelte.
Mönche unter sich. „Es war ein komisches Gefühl, als wir letztes Jahr erstmals am helllichten Tag die Pforte schließen mussten“, erinnert sich Pater Ludwig Wenzl. An einem so lebendigen Ort wie dem Stift Melk sei es sehr eigenartig gewesen, wenn „plötzlich nur noch wir Mönche aus dem Konvent durch die Gänge marschieren“. Mittlerweile ist das Haus nach dem dritten Lockdown wieder einigermaßen „hochgefahren“. Stifts- und Museumsbesichtigungen sind unter den üblichen Sicherheitsvorgaben (FFP2-Masken, Abstand) möglich.
„Der Besucherrückgang im letzten Jahr war groß“, so Pater Ludwig, Leiter des Archivs und seit Jahresbeginn auch für den Bereich Kultur und Tourismus bei den Benediktinern in Melk verantwortlich. Statt 560.000 (2019) waren es gerade noch 90.000 Eintritt zahlende Menschen. Etwa zwei Drittel der Melk-Besucher kommen üblicherweise aus dem Ausland. Deshalb setzt man auch einige Anreize, um potenzielle Melk-Besucher aus Österreich anzulocken. Neben ausgedehnteren Öffnungszeiten und Sonderausstellungen ist zum Beispiel geplant, das sonst nur selten zu sehende berühmte „Melker Kreuz“ und die „Kolomani-Monstranz“ öfters dem Publikum zu präsentieren. Der Zugang zur bekannten Mineraliensammlung soll ohne Aufpreis über das Museumsticket ermöglicht werden. Und für die internationalen Barocktage im Stift Melk laufen alle Vorbereitungen. Pater Wenzl: „Es ist uns sehr wichtig, wieder täglich offen für alle Menschen zu sein, wir wollen ein lebendiger Ort sein.“
Brigitte Kobler Pimiskern Ein Ort der Begegnung, so sicher wie möglich. Das möchte man heuer auch im nachbarlichen Benediktinerstift Göttweig sein. „Wir sorgen dafür, dass sich unsere Gäste wohlfühlen“, erklärt Eveline Gruber-Jansen, Leiterin Tourismus & Kultur. Ruhig geworden ist es auch in diesem Weltkulturerbe: Verzeichnete das Museum im Kaisertrakt im Jahr 2019 rund 120.000 Besucher, fiel diese Zahl ein Jahr später auf 16.000. „Dafür, dass wir nicht immer öffnen konnten, ist das nicht nix“, relativiert Gruber-Jansen.
2021 hat man dafür die Winterpause in Göttweig früher als üblich, nämlich schon im Februar, beendet. Eine Tour durch das Museum ist möglich – mit Audioguides, ausnahmslos getragenen FFP2-Masken und viel Abstand. Stiftsrestaurant wie Gästehaus waren bis Ostern noch in der Zwangspause. Dafür hat die Digitalisierung in Göttweig – so wie andernorts – einen ordentlichen Schub erhalten: Göttweigs Graphische Sammlung, die größte österreichische Privatsammlung historischer Druckgraphiken, lässt sich nunmehr online entdecken.
„An große Besuchergruppen aus dem Ausland dürfen wir vorerst wohl nicht denken“, blickt Gruber-Jansen in Richtung Sommer. Dem österreichischen, kulturaffinen Individualgast bietet Göttweig dafür aber nun eine „exklusive ruhige Atmosphäre“.
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