Exerzitien an ungewöhnlichen Orten
„Viele Wege führen zu Gott. Einer davon geht über die Berge“
Bernhard Kellner ist leidenschaftlicher Bergsteiger. Einmal im Jahr zieht sich der Journalist und Pressesprecher der Erzdiözese München-Freising zu geistlichen Übungen ins Gebirge zurück. Im Sommer 2020 verbrachte er seine Bergexerzitien im Steinernen Meer in den Berchtesgadener Alpen.
Mein Herz verwandelt sich in den Bergen. Als wir an einem verregneten Junitag 2020 von Salet am oberen Ende des Königssees den steilen und glitschigen Sagerecksteig emporklimmen, höre ich schon nach wenigen Metern die Stille. Wir – sieben Bergsteiger, zwei Begleiter – sind auf dem Weg in die Einsamkeit und zu uns selbst. Wir haben uns zu Bergexerzitien verabredet. Sechs Tage lang wollen wir steigen, meditieren und beten im Hochgebirge.
Der See bleibt zurück in der Tiefe. Der Anstieg führt in das Steinerne Meer, ein karstiges Ödland in den Berchtesgadener Bergen. Nach zwei Stunden die erste Pause. Ein Schluck Wasser, ein Riegel. Exerzitienleiter Hans Maier, Bergführer und Pastoralreferent aus Rosenheim, erzählt uns eine Geschichte aus der Bibel. Der Prophet Elija will Gott am Berg Horeb begegnen: Sturm, Erdbeben, Feuer toben sich aus. Doch Gott ist nicht im Lärm der Elemente. Elija verharrt stumm. Da vernimmt er eine Stimme, die er noch nie im Leben gehört hat: Die Stimme Gottes, „einer vorüberschwebenden Stille“, die ihm zuruft: „Elija, was willst du hier?“
Gedanken. Schweigend gehen wir weiter. An diesem Tag kommen wir auf 1700 Höhenmeter. Die Schriftworte aus dem ersten Buch der Könige hallen im Kopf nach: Was willst du wirklich? Schritt für Schritt stelle ich mir diese Frage, in diesem Moment und wohl ein Leben lang. Später singen wir bei einem Halt ein Lied, sprechen ein Gebet. Abends im Ingolstädter Haus, unserem Quartier auf 2120 Metern Meereshöhe, sitzen wir nach einem warmen Essen beisammen. Jeder kann berichten, welche Gedanken ihn bewegen, was er erfahren hat.
Exerzitien sind geistliche Übungen. In Verbindung mit dem Schauen der wundersamen Gebirgswelt und dem gleichmäßigen Steigen verbinden sie sich zu einem spirituellen Erlebnis – und zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswirklichkeit. Bald stellt sich dann die Frage nach Gott, nach Barmherzigkeit, Liebe und Heil.
Aus unserem Leben in den Tälern bringen wir unsere Verwundungen mit in die Berge. Wie kurieren wir sie? Wie tanken wir Energie, Hoffnung und Optimismus für das, was kommt? Psychische Resilienz heißt das Schlagwort, wenn wir heute beschreiben wollen, womit wir existenzbedrohende Krisen und Veränderungsdruck meistern wollen. Psalm 84,6 beschreibt eine Antwort der Bergexerzitien: „Selig die Menschen, die Kraft finden in Dir, die Pilgerwege im Herzen haben.“
Gemeinschaft. Die Tage im Steinernen Meer bestehen aus langen, körperlich fordernden Bergtouren. Kletterfähigkeiten bis zum II. Grad sind gefragt. Den Rahmen bilden unterwegs gemeinsame Gottesdienste, Atemübungen, Gebete sowie Gesprächsrunden und Geselligkeit auf der Hütte.
Ziel des Weges in die Abgeschiedenheit der Berge ist letztlich die Rückkehr in den Alltag. Sie führt die Gruppe schließlich wieder hinab zum Königssee. Nach ein paar erfrischenden Schwimmzügen betreten wir die Wallfahrtskirche Sankt Bartholomä. Wir singen dort tatsächlich „Großer Gott, wir loben Dich“, die ersten drei Strophen. Im Wirtshaus nebenan gibt es zum Abschied Kaffee und Apfelstrudel mit Eis.
Über die Autobahn fahre ich schließlich zurück in die Großstadt. In meinem Herzen ruht die Gewissheit, dass ich wiederkommen werde. Und die Überzeugung, die ich als Bergsteiger mit dem früheren Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher teile: „Viele Wege führen zu Gott. Einer davon geht über die Berge.“
Service-Hinweis: Bergexerzitien in verschiedenen alpinen Schwierigkeitsgraden veranstalten zum Beispiel die katholischen Diözesen Augsburg sowie München und Freising. Ihre Angebote finden sich unter www.bergexerzitien.de
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