Seelsorge auf der Palliativstation
„Die Kunst, Dinge offenzulassen“
Sr. Rita Kitzmüller leitet die Krankenhausseelsorge im Ordensklinikum Linz Elisabethinen. Sterbende Menschen haben ein Bedürfnis nach Zuwendung, auch in Zeiten von Corona, erzählt die Ordensfrau.
Auf der Palliativstation, wo Schmerzen unheilbar kranker Menschen gelindert werden, hat Seelsorge eine besondere Bedeutung. Wie gehen Sie das an, Schwester Rita?
Beim Aufnahmegespräch auf die Palliativstation werden bereits die unterschiedlichsten Bedürfnisse, Diagnosen, erfolgte Therapien sowie Krankheitsverlauf, Lebens- und Wohnsituation und auch spirituelle und seelsorgliche Bedürfnisse erhoben. Über das elektronische Zuweisungssystem wird die Seelsorge benachrichtigt. Komme ich auf die Station, dann erhalte ich notwendige Grundinformationen über den Patienten oder die Patientin vom Betreuungsteam. Danach begrüße ich den Neuankömmling und manchmal die anwesenden Angehörigen. Manche wünschen sich Begleitung, andere den Empfang von Sakramenten. Ich erlebe, dass viele Menschen wenig bis gar keinen Bezug zur Kirche haben, doch der Glaube an Gott ist ihnen wichtig. Es gehört zu unserem Seelsorgeverständnis, Menschen in den unterschiedlichen Konfessionen und Wertvorstellungen zu respektieren und bestmöglich auf die persönlichen Wünsche einzugehen.
Wie schaffen Sie das?
Die Palliativstation in unserem Haus wurde 2005 eröffnet. Meine Mitschwester Mathilde trägt dort von Anfang an die seelsorgerliche Hauptverantwortung. Die Seelsorge ist ein fixer Bestandteil auf der Palliativstation. Darüber hinaus gibt es in unserem Haus ein interdisziplinäres Palliativteam, das auf den anderen Fachabteilungen zum Einsatz kommt. So können die Patient/innen, die mit ihrer jeweiligen Station vertraut sind und auf dieser Station bleiben wollen, ebenfalls palliativ betreut werden. Zusätzlich ist in unserem Gebäude noch ein eigenes Hospiz untergebracht.
Wie kann man sich seelsorgliche Begleitung vorstellen?
Begleitung ist ein ganzheitlicher Prozess, der im Miteinander der verschiedenen Fachdisziplinen geschieht. Kürzlich habe ich eine knapp 50-jährige Patientin begleitet, mit der ich schon seit 2014 in Kontakt war. Sie wurde wegen ihrer Krebserkrankung bei uns im Haus behandelt. Auf ihren Wunsch hin habe ich sie auf der Palliativstation weiter betreut. Es gehören oft ganz praktische Hilfestellungen zu meinen Aufgaben. In einem der täglichen Gespräche machte ich die Frau aufmerksam, dass eine Zeit kommen wird, in der sie so müde ist, dass das Sprechen schwerfallen wird. Sie soll es also nicht hinausschieben, wenn sie mit jemandem ausführlicher reden will. Sie hat dann mit jedem ihrer Kinder einzeln gesprochen. Das waren sehr tiefe Begegnungen, in dem vieles ausgesprochen werden konnte. Es war viel Dankbarkeit auf beiden Seiten spürbar. Ich war sehr berührt, wie realistisch und im Einklang mit sich selbst diese Frau dem Sterben entgegenging.
Im Zuge der Gespräche, die ich mit den Patienten führe, wird häufig nach und nach das Thema klar, in welcher Ausrichtung ich die Rituale oder Verabschiedungen nach dem Versterben gestalten werde. Bei der angesprochenen Frau war es das Bibelwort: „Ich bin der gute Hirte“ aus Psalm 23. Die Frau war Bäuerin und auf ihrem Bauernhof gab es eine große Schafherde.
Die Verabschiedung ist ein wichtiges Element in der Begleitung …
Erwähnenswert ist der Sterbesegen, der sich in der Praxis sehr bewährt. Dabei wird nochmals der Dank für das Leben ausgesprochen. Auf der Palliativstation haben wir für diese Feiern einen eigenen Meditationsraum. Elemente bei der Verabschiedung können eine Lesung aus der Bibel, eine Geschichte, ein Gebet, ein Lied und ein Segensritual durch die Angehörigen sein. Da lasse ich mich von der eigenen Intuition leiten: Manchmal braucht es das Schweigen, dann wieder das Gespräch, damit die Stille nicht zu erdrückend wird. Oft sehe ich meine Aufgabe darin, ins Wort zu bringen, was ich wahrnehme. Ein anderes Mal bin ich den Betroffenen ein menschliches Gegenüber, das im bloßen Dasein stärkend und unterstützend ist.
In jedem Leben gibt es Spannungen, Brüche, Versagen und Schuld. Wie bekommt das Raum in der letzten Lebensphase?
Als Seelsorgerin bekomme ich natürlich mit, wie die Menschen zueinander stehen. Versöhnung ist in der Begleitung von Menschen ein wichtiges Thema. Wenn Menschen schwer loslassen können, frage ich: Könnte es sein, dass er oder sie noch auf jemanden wartet? Das ist kein Klischee, das ist Realität. Manchmal passiert Versöhnung, dann erleben das alle als sehr befreiend, manchmal lässt sich das nicht mehr realisieren. In solchen Situationen hat für mich ein positives, dialogisches Gottesbild eine große Bedeutung. Ich glaube an einen Gott, der mit unserer Unversöhntheit, den Lebensbrüchen umgehen kann und allem Erlösung schenkt. Selbst stehe ich als Seelsorgerin mit leeren Händen da. Zur Seelsorge gehört die Kunst, Dinge offenzulassen und sie Gott hinzuhalten in dem Wissen, dass er gut, treu und groß ist. Eine gute Hilfe zum Abschließen einer Begleitung sind für mich unsere monatlichen Gedenkgottesdienste. Diese feiern wir für alle Menschen, die in unserem Krankenhaus verstorben sind. Wegen der Corona-Pandemie konnten wir seit Februar 2020 keinen dieser Gottesdienste mehr halten. Viele Angehörige nahmen in den letzten Jahren das Angebot in unserer Klosterkirche wahr.
Ja, Corona hat alles verändert.
Corona hinterlässt im Gesundheitssystem, so auch auf der Palliativstation, seine Spuren. Dennoch bleiben die Bedürfnisse sterbender Menschen nach Dasein, Zuwendung, Nähe und Zuhören zentral. Es ist herausfordernder, aber wir bemühen uns, den sterbenden Menschen und ihren Angehörigen gut beizustehen. Wenn der Wunsch besteht, machen wir eine Verabschiedung ein zweites Mal, um je nach Raumgröße die Personenbeschränkungen einhalten zu können. Im Laufe des Jahres haben wir viel dazugelernt.
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