Erzbischof Franz Lackner im Interview
Meine Mutter, eine gute Ratgeberin

Ein offenes Herz zu haben bedeutet für Erzbischof Franz Lackner, nach außen und auf den anderen hin offen zu bleiben.  | Foto: RB/chp
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Erzbischof Franz Lackner, neuer Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz, erzählt im Sommergespräch über seine morgendlichen Spaziergänge in Salzburg, über weise Ratschläge seiner Mutter und darüber, wie er die Zeiten des Corona-Lockdown erlebt hat.

RB: Herr Erzbischof, Sie sind seit 2013 in Salzburg und waren davor von 2002 an Weihbischof der Diözese Graz-Seckau. Haben Sie sich als gebürtiger Steirer in diesen sieben Jahren hier gut eingewöhnt?
Erzbischof Lackner: Ich habe in meinem Leben bereits viele Stationen hinter mir. St. Anna am Aigen, wo ich aufgewachsen bin, Zypern, Rom, Wien, Graz, Salzburg – es war und ist immer wieder ein Neu-Ankommen. Salzburg ist mittlerweile mein Zuhause. Die Atmosphäre abseits der belebten Tourismusstadt habe ich durch meine morgendlichen Spaziergänge kennen gelernt. Wenn ich – ziemlich bald in der Früh – durch die Salzburger Altstadt spaziere, um in den Kirchen zu beten, treffe ich immer wieder Menschen, die ich so vielleicht nicht treffen würde. Die Straßenkehrer sind die ersten, die auf den Beinen sind; aus den täglichen Begegnungen mit ihnen ist eine freundschaftliche Vertrautheit erwachsen, die ich sehr schätze – erst kürzlich, Anfang des Jahres, habe ich sie ins Bischofshaus zum Frühstück eingeladen. Es sind die Menschen, die eine Stadt liebenswert machen.

RB: Wie sieht Ihre morgendliche Runde durch die Mozartstadt aus? Warum so früh?
Erzbischof Lackner: Der Philosoph Soeren Kierkegaard hat einmal so schön gesagt: „Zu den schönsten Gedanken bin ich gegangen.“ Ich kenne keine Schwierigkeit meines Lebens, die ich nicht gehend bearbeitet und schließlich auch bewältigt habe. Den Tag mit diesem Gang durch die Stadt zu beginnen, betend die Kirchen zu besuchen, gehört mittlerweile einfach zu mir. Was mir daran besonders lieb geworden ist: Die Leere; etwa im Dom so ganz in der Früh. Leere kann oft auch bedrängend und unangenehm werden. Ich empfinde sie bei meinem Gang in der Früh allerdings keineswegs beklemmend, sondern vielmehr als eine Art mystische Öffnung, in der sich – vergleichbar mit dem leeren Grab am Ostermorgen – Auferstehung ereignen kann. Nach meiner Zeit im Dom bete ich in der Franziskanerkirche, meine franziskanische Berufung möge prägend sein für mein Priester- und schließlich auch für mein Bischofsamt. 

Ich gehe im Anschluss auch nach St. Peter, zu den Ursprüngen unserer Diözese, und schließlich zu den Benediktinerinnen auf den Nonnberg, wo ich vor der heiligen Erentrudis bete. Es sind dies für mich wichtige Stunden, um mich zu sammeln, zu sortieren und Gott – gleich am Beginn des Tages – zu suchen.

RB: Bei der Pressekonferenz 2013 in Salzburg haben Sie als neuer Erzbischof gesagt, dieser Moment sei ein „sehr tiefer“ und Sie erwähnten auch den weisen Rat Ihrer Mutter – „versperre dich nicht ganz“. Können Sie sich noch daran erinnern? Wie sehr hat Ihnen der Rat Ihrer Mutter geholfen?
Erzbischof Lackner: Meine Mutter war eine gute Ratgeberin. Sie war nicht gelehrt im Sinne einer universitären Ausbildung – aber sie hat mir durch ihre Worte viel über das Leben und den Glauben, ich möchte fast sagen nebenher, beigebracht. An den von Ihnen erwähnten Satz kann ich mich noch genau erinnern, ja. Es war der weiseste Ratschlag, den ich in dieser Situation bekommen habe. Sehen Sie, das Bischof-Werden war nie mein Ziel, es war kein Lebens-traum; ich wollte eigentlich nur Priester sein und als Professor in Rom arbeiten. Dass sich durch das Folgen dieses Rufes aber eine tiefe Wahrheit über Gott und seine Beziehung zu mir auftat, das hat meine Mutter damals vielleicht schon geahnt. Sie hat mich daran erinnert, mir im Denken Freiheiten zu bewahren; selbst, wenn es vermeintlich keine Alternativen gibt.

RB: Sie sind mit einem „offenen Herzen“ nach Salzburg gekommen. Was bedeutet es für Sie, ein offenes Herz zu haben?
Erzbischof Lackner: Ein suchendes, kein in sich verkrümmtes Herz zu haben – es bedeutet, nach außen und auf den anderen hin offen zu bleiben. Ein offenes Herz ist von Sehnsucht erfüllt; und diese Sehnsucht ist es schließlich auch, die Gott in unserem Leben die Türe öffnet. Sie stellt Fragen, macht sich immer wieder neu auf, Antworten zu suchen. Vom heiligen Augustinus sind die Worte überliefert: „Weil ich dich kenne, suche ich dich.“ Dieses Zugleich von erfülltem und offenem, suchendem Herzen müssen wir uns als Gläubige, denke ich, bewahren lernen.

RB: Sie erwähnten einmal, die größten Feinde des Glaubens seien nicht die Sünde, Fehler und Schwächen, sondern die Oberflächlichkeiten, die alles gleichgültig erscheinen lassen. Wie gelingt es, nicht in die Oberflächlichkeit zu verfallen?
Erzbischof Lackner: Soziologen wie etwa Hartmut Rosa konstatieren, unsere Gesellschaft werde immer schneller und oberflächlicher. Die Oberflächlichkeit ist, so könnte man sagen, die Versuchung unserer Zeit. Dem entgegenzuwirken verlangt zuallererst die Entscheidung, diesen Oberflächlichkeiten zu widerstehen. Der heilige Ignatius von Loyola berichtet über sein Bekehrungserlebnis, er habe beim Lesen von Heiligenbiografien im Krankenbett – er wurde im Krieg als Soldat verwundet – ein tiefes Glück erfahren. Das Leben mit Gott hat sich ihm in den Texten als sinnvoll und erfüllend dargestellt. Dennoch ist es ihm immer wieder passiert, dass er von oberflächlichen Gedanken, von den Köstlichkeiten der Welt, abgelenkt wurde; wahrscheinlich vergleichbar mit der heutigen Zerstreuung im Internet oder dem Drang, ständig etwas zu kaufen. Was er aber nach einer Zeit erkannte: Wenn er die Bücher etwa über den heiligen Franziskus zur Seite legte, fühlte er sich doch nachhaltig glücklicher und erfüllter. Gedanken an die weltlichen Oberflächlichkeiten hingegen hinterließen ein Gefühl der Leere und Einsamkeit. Diese Erkenntnis führte bei ihm zu einer Entscheidung für ein Leben mit Gott und das Gebet.

Mensch-Sein, der Glaube und ein gelingendes Leben bedingen Tiefe. Um diese Tiefe in Gedanken, Worten und Werken müssen wir uns immer wieder aufs Neue mühen und lernen, lebensbejahende und hindernde Gedanken und Tätigkeiten voneinander zu unterscheiden. Das verlangt Zeit, Ruhe und eine neue Aufmerksamkeit.

RB: Welchen Themen werden Sie sich als neuer Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz widmen? Welche Bedeutung hat dieses Amt für Sie?
Erzbischof Lackner: Der Vorsitzende der Bischofskonferenz ist nicht, wie viele annehmen, das Amt eines „Oberbischofs“, der inhaltlich die Richtung vorgibt. Er ist viel eher eine Art Moderator, der versucht, zusammenzuhalten und zusammenzuführen. Nach außen bin ich Sprecher und Repräsentant. Durch meine Erfahrungen der letzten Jahre bin ich natürlich in manchen Bereichen erprobt, vielleicht bei dem einen oder anderen Thema voreingenommen. Ich möchte mich durch dieses Amt neu prägen lassen, neu hinhören auf die drängendsten Fragen in der Welt.

RB: Was sind für Sie die größten Herausforderungen der katholischen Kirche?
Erzbischof Lackner: Die größte und vordergründigste: Wir müssen wieder von Gott reden lernen. Von dem, was uns erfüllt und uns motiviert, ihm nachzufolgen. Dieses Zeugnis abzugeben, dass wir nicht irgendwelchen oberflächlichen Logiken des In-der-Welt-Seins folgen, sondern einer Liebe, die uns nachhaltig weiterforschen lässt, die uns erfüllt, uns natürlich auch manchmal mit Fragen zurückwirft – dieses Sprechen von Gott neu zu lernen halte ich für die große Herausforderung für uns als Kirche. Außerdem die Sorgen der Menschen in der Welt: Themen wie die Flüchtlingskrise, Einsamkeit, Armut und große Ungerechtigkeiten unter den Völkern; eine Sorge ist weiters, dass Kirche – so nehme ich es wahr – nicht mehr als der Ort erlebt wird, wo sich Menschen mit ihren verschiedenen Gaben und Aufgaben beheimatet fühlen. Das beunruhigt.

RB: Wie geht es Ihnen im Hinblick auf die Coronakrise? Wie haben Sie die Zeit des Lockdown erlebt?
Erzbischof Lackner: Aufgrund der Terminfülle im März war unmittelbar nach dem Lockdown ein kurzes Aufatmen, da ich mehr Zeit zu Hause verbringen konnte und nicht wie sonst ständig am Sprung war. Es zeigte sich dann aber ziemlich rasch, welche Auswirkungen damit tatsächlich verbunden waren. Es wird sich wohl erst nach und nach offenbaren, welche Folgen diese Zeit auf uns als Menschen hatte. Nicht nur wirtschaftlich gesehen – sondern, was diese Unsicherheit, die Beschränkungen, die fehlende körperliche Nähe mit der Seele gemacht haben.

Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen; wir sehnen uns nach Zeichen der Zugewandtheit; und sei es nur ein Händedruck.

Interview: Susanne Huber

Autor:

Ingrid Burgstaller aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT

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