Hagia Sophia
„Erdogan setzt auf Provokation“
Am 24. Juli wird in der Hagia Sophia in Istanbul erstmals wieder ein muslimisches Freitagsgebet stattfinden. Warum die Umwandlung des berühmten Gebäudes in eine Moschee so brisant ist, erklärt Kirchenhistoriker Dietmar Winkler im Rupertusblatt-Interview.
RB: Die Hagia Sophia wird zukünftig wieder als Moschee verwendet. Warum erhitzt diese Tatsache die Gemüter so sehr?
Winkler: Weil mit diesem Fall ein herausragendes Beispiel für Instrumentalisierung von Religion vonseiten der Politik vorliegt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan setzt mit der Umwandlung auf Konfrontation und Provokation.
RB: Warum ist die Hagia Sophia für seine Politik von Bedeutung?
Winkler: Mit der Nutzung als Moschee möchte er außenpolitisch ein Zeichen setzen, denn innenpolitisch hat er mit Problemen zu kämpfen. Die Wirtschaft leidet. Die Türkei lebt vor allem vom Tourismus und wir wissen, welche Auswirkungen das Coronavirus darauf hat. Die Streitigkeiten mit Griechenland um Gasfelder und der Flüchtlingsstrom bringen weitere Schwierigkeiten. Mit der Umwidmung der Hagia Sophia möchte er zeigen, dass er nach wie vor der einzige starke Mann im Land ist.RB: Das Gotteshaus war ursprünglich eine Kirche, nach der Eroberung Konstantinopels eine Moschee. Warum war es in den letzten 70 Jahren ein Museum?
Winkler: Mit Ende des Ersten Weltkriegs und damit auch des Osmanischen Reichs hatte Mustafa Kemal Atatürk die Aufgabe, die Türkei zu retten. Der Nahe Osten wurde zwischen den Siegermächten aufgeteilt, die Grenzen waren noch nicht festgelegt. Um die Position der Türkei zu stärken, musste Atatürk Zugeständnisse machen. In seinem Fall hieß das: den Weg zu einem modernen Staat ebnen, der nicht mehr religiös ist.
RB: Er hat ja auch das Kalifat abgeschafft.
Winkler: Das ist bis heute eine tiefe Wunde in der muslimischen Welt. Das Ende des Kalifats bedeutete das Ende einer zentralen Identifikationsfigur. Der Weg in einen laizistischen Staat ging dann mit der Umwandlung der Hagia Sophia in ein Museum einher.
RB: Im Inneren des Gotteshauses gibt es christliche Mosaike, sie gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe. Was passiert jetzt mit ihnen?
Winkler: Die Mosaike sollen während der Gebete verhüllt und ansonsten weiter ausgestellt werden. Die Hagia Sophia ist ein bedeutendes Wahrzeichen von Istanbul. Die Mosaike nicht mehr zu zeigen oder gar zu entfernen, wäre ein Schuss in das eigene Knie. Das weiß Erdogan auch. Die Touristen zu verlieren, wäre aus wirtschaftlicher Sicht fatal.
RB: Was würden Sie sich für die Hagia Sophia wünschen, wenn Sie über ihre Zukunft entscheiden könnten? Winkler: Ich bin der Meinung, dass Gotteshäuser als Orte des Gebets verwendet werden sollen. Sie wieder zu einer Kirche zu machen, wäre aber genauso falsch, wie die jetzige Vorgangsweise mit der Umwandlung in eine Moschee. Papst Franziskus hat vergangenes Jahr mit Großimam Ahmad Mohammad Al-Tayyeb ein Dokument veröffentlicht, in dem es um eine Vision der Geschwisterlichkeit zwischen den Religionen geht. Auf dieser Basis würde ich aus der Hagia Sophia ein interreligiöses Begegnungszentrum machen.
Zur Person: Dietmar Winkler wurde 1963 in Wolfsberg, Kärnten geboren. Er studierte Fachtheologie, Alte Geschichte und Religionspädagogik in Graz, Genf und Innsbruck. Nach seiner Promotion habilitierte er in den Fächern Patrologie, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie. Seit 2005 ist Winkler Professor für Patristik und Kirchengeschichte an der Universität Salzburg. Zudem ist er seit 2008 Konsultor an der Arbeit des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen.
Alexandra Hogan
Autor:Ingrid Burgstaller aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT |
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