Hungerkrise droht
Dreifache Last: arm, krank und hungrig
Corona trifft die Menschen im Nahen Osten mit voller Wucht – auch jene, die sich gar nicht mit dem Virus infizieren. Das Einkommen für die Ärmsten fiel mit einem Schlag weg, da Tagelöhner und Wanderarbeiter wegen der Ausgangssperren nicht mehr arbeiten konnten. „Die Angst vor dem Hunger ist größer, als die Angst vor dem Virus“, fasst Claudia Prantl, die Leiterin der Caritas-Auslandshilfe, zusammen. Die Salzburger Caritas steht besonders ihren Schwerpunktländern Ägypten, Syrien und Libanon zur Seite. Die Partner vor Ort schlagen Alarm.
„Das Leben war vorher schon nicht einfach“, sagt der siebenfache Vater Ahmed*. Der geringe Verdienst als Taxifahrer in der libanesischen Hauptstadt Beirut reichte gerade einmal fürs Notwendigste. Für die Miete ging es sich oft nicht mehr aus, deshalb standen sie dieses Jahr schon zweimal auf der Straße. Das droht der Familie jetzt wieder, da sich erneut Mietschulden angesammelt haben. Ahmed musste aufgrund des Coronashutdowns daheimbleiben und verdiente gar nichts mehr. Strom und Wasser hat der Vermieter schon abgestellt. Die Eltern gehen jetzt zur nächsten Autowaschstation und betteln um Wasser. Diese Geschichte der Familie aus dem Beiruter Vorort Dekwaneh ist kein Einzelschicksal. Die wirtschaftliche Lage im Libanon ist katastrophal und hat sich durch die Coronakrise weiter verschärft. Der Staat steht vor dem Bankrott. Die Leidtragenden sind die Menschen im Zedernstaat, die Hälfte der sechs Millionen Einwohner lebt unter der Armutsgrenze. Bei der Caritas Libanon sind in den ersten Wochen der Ausgangssperre mehr als 10.000 Anrufe eingegangen. Die Bitten drehten sich allesamt um Unterstützung für Essen und Miete.
Die Caritas versorgt die Familie von Ahmed mit Kindern im Alter von einem bis 15 Jahren dreimal pro Woche mit warmen Mahlzeiten. Eigentlich bräuchte es weit mehr: Milch, Windeln, Medikamente. Darüber hinaus haben die älteren Kinder seit langem keine Schule mehr von innen gesehen. Doch Lira für das Schulgeld und den Bus sind schon gar nicht drinnen. „Das wird sich auch bis Herbst nicht ändern“, befürchtet Ahmed.
Auf die Straße gesetzt
Dramatisch ist die Situation auch für eine Million Flüchtlinge in den Zeltlagern oder die 250.000 Arbeitsmigrantinnen und -migranten. Diese Männer und vor allem Frauen aus den ärmsten Ländern Afrikas und Asiens sind im Libanon gestrandet. In der Hoffnung auf einen guten Job als Hausangestellte oder Kindermädchen kamen sie einst über das so genannte Kafala-System ins Land. Sie haben keinerlei Arbeitsrechte. Oft müssen sie Gewalt, Ausbeutung und Misshandlung ertragen. Nun haben Corona und die Wirtschaftskrise mit einer Arbeitslosenrate von 40 Prozent den teilweisen Zusammenbruch dieser „modernen Sklaverei“ beschleunigt. Die Arbeitgeber haben ihre „maids“, ihre Haushaltshilfen, von einem Tag auf den anderen vor die Tür gesetzt – ohne Bezahlung, ohne Papiere, ohne Schutz. Die Caritas Libanon nimmt diese Frauen in ihren Schutzhäusern auf und verhilft ihnen zu einer anwaltschaftlichen Begleitung.
Krieg, Vertreibung, Armut
Der Schauplatzwechsel nach Ägypten zeigt ebenfalls wie Corona die Armut wachsen lässt.Wer vom Tourismus abhängig ist, hat kein Einkommen. Dazu kommt, die mehr als 100 Millionen Menschen leben vor allem in dicht besiedelten Städten und Elendsvierteln. Unter diesen Umständen Covid-19-Verdachtsfälle zu isolieren ist kaum möglich. Existenzbedrohend ist die Lage in Syrien. Die Weltgesundheitsorganisation warnt vor einer Hungerkatastrophe, die Menschen wie den 55-jährigen Abbas* treffen wird. Er hat nur mehr ein Bein, auf seinem linken Auge sieht er nicht mehr. Noch schwerer aber wiegen andere Verluste. Während des Krieges verstarb seine erste Frau. Er musste von Stadt zu Stadt fliehen, um den anhaltenden Kämpfen zu entkommen. Mittlerweile ist Abbas wieder verheiratet und hat einen zweijährigen Sohn Najim*. Gemeinsam kehrten sie in die Heimatregion Mleha zurück. Seine Frau Nashma* erwartet ihr zweites Kind.
Ein eigenes Zuhause haben die drei nicht, sie sind bei Verwandten untergekommen. Abbas war früher Bauer. In seinem jetzigen körperlichen Zustand kann er diese schwere Arbeit nicht ausüben. Er kann nicht mehr aus eigener Kraft für seine Familie sorgen. Deshalb ist er sehr dankbar über die Unterstützung der Caritas. „Aber alles ist wahnsinnig teuer“, klagt er. Die Wirtschaft leidet massiv unter dem Kursverlust der syrischen Lira. Das neue US-Sanktionspaket gegen Syrien werde erneut in erster Linie die Bevölkerung treffen und die Preise weiter steigen lassen.
Doch trotz aller Herausforderungen und Entbehrungen halten Abbas und Nashma immer noch an jedem Strohhalm auf ein besseres Morgen fest. „Wir sehen ein Licht am Ende des Tunnels, dass die Zukunft unserer Kinder heller sein wird als unsere Gegenwart.“
Helfen wir wieder zusammen
„Wir müssen uns mit zwei Pandemien auseinander setzen: mit Covid-19 und mit dem Hunger“, bringt die Direktorin der Caritas Libanon, Rita Rhayem, die Situation in ihrer Region auf den Punkt. Die Menschen seien verzweifelt. „Wenn dein Kühlschrank leer ist und deine Kinder hungrig sind, verstummst du, weil keine Worte beschreiben können, was du durchmachst. Die Libanesinnen und Libanesen haben große Gastfreundschaft gegenüber Flüchtlingen gezeigt. Sie sind stark, aber jetzt auch müde. Dieses Mal stehen sie vor dem Zusammenbruch.“ Dazu kommt, dass die Gesundheitssysteme in der Region der Coronapandemie nicht gewachsen sind. Im Libanon etwa steht für sechs Millionen Einwohner nur ein einziges öffentliches Krankenhaus mit Quarantänemöglichkeit bereit. Prävention ist illusorisch, weil Masken oder Desinfektionsmittel fehlen. Teils ist einfach kein (sauberes) Wasser vorhanden, geschweige denn Seife. Das sind Luxusgüter.
Die Caritas Salzburg steht in diesen herausfordernden Zeiten an der Seite der Schwächsten in der Welt – allen voran in den Schwerpunktländern. Caritasdirektor Johannes Dines unterstreicht: „In Österreich haben wir alle zusammengeholfen um das Virus einzudämmen. Aber diese Pandemie ist eine weltweite Krise – helfen wir wieder zusammen und geben wir den Menschen, den Kindern und Familien in den ärmsten Ländern der Erde ein Stück Hoffnung, Zukunft und Perspektive zurück.“
* Name von der Redaktion geändert
◆ Weltweit hat die Coronakrise Armut und Hunger verschärft. Die Vereinten Nationen befürchten sogar eine Verdoppelung des akuten Hungers – von derzeit 135 Millionen auf 265 Millionen Hunger leidende Menschen.
◆ Weltweit unterstützt die Caritas mehr als 70 Projekte gegen den Hunger. Die Caritas in der Erzdiözese hilft vor allem in ihren Schwerpunktländern Ägypten, Syrien und Libanon.
◆ Mit 100 Euro kann eine Familie einen Monat lang versorgt werden. Mit 20 Euro wird ein Kind einen Monat lang satt.
◆ Spenden Sie auf das Konto beim Raiffeisenverband Salzburg, IBAN AT11 3500 0000 0004 1533, BIC RVSAAT2S, Verwendungszweck: Meine Spende gegen den Hunger.
◆ Am 31. Juli um 15 Uhr macht wieder das „Glockenläuten gegen den Hunger“ auf die Not aufmerksam.
Fotos: Den Menschen im Nahen Osten – wie Abbas und seiner kleinen Sohn Najim – droht eine Hungerkrise.
Fotos: RB/Caritas
Autor:Ingrid Burgstaller aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT |
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