Papstenzyklika
Der Traum des Franziskus
Der Papst träumt: Es müsse eine Welt möglich sein, in der sich Menschen als Brüder und Schwestern anerkennen, Konflikte im Dialog lösen und auf dem Weg der Entwicklung niemanden zurücklassen, sondern allen Raum zur Mitgestaltung geben. Das sei „keine pure Utopie“.
Mit der Hoffnung seiner 83 Jahre hat Papst Franziskus seine Vision den katholischen Gläubigen und der gesamten Welt als Lehrschreiben vorgelegt. Einen „demütigen Beitrag zum Nachdenken“ nennt Franziskus seine Enzyklika „Fratelli tutti“. Doch was ihn dazu antreibt, wiegt schwer: die globale Ungleichverteilung von Ressourcen und Chancen, die Ausgrenzung ganzer Schichten und Nationen, eine ungebrochene Tendenz, Eigeninteressen den Vorzug vor Solidarität zu geben. Die Covid-Pandemie hat es für den Papst als trügerische Illusion entlarvt, „zu glauben, dass wir allmächtig sind, und zu vergessen, dass wir alle im gleichen Boot sitzen“.
Zu seinem Plädoyer für „Geschwisterlichkeit und soziale Freundschaft“, wie die 150-seitige Schrift im Untertitel heißt, ließ sich Franziskus von Ahmad Al-Tayyeb anregen, dem Großimam der Kairoer Al-Azhar-Universität, mit dem er 2019 in Abu Dhabi ein „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen“ unterzeichnete. Eher unüblich für die Vorstellung einer päpstlichen Enzyklika, saß am Sonntag im Vatikan der Scharia-Gelehrte Mohamed Abdel Salam auf dem Podium. Er bekannte sich als Muslim „im Einklang mit dem Papst“.Franziskus selbst nennt Nichtkatholiken wie den US-Bürgerrechtler Martin Luther King, den südafrikanischen Anglikaner Desmond Tutu und Mahatma Gandhi als Inspirationsquellen. Allein das dürfte ultrakonservativen Katholiken reichen, um den Papst abermals der Häresie zu bezichtigen. Dabei ist das, was er sagt, größtenteils nicht neu und steht in der Tradition seiner Vorgänger.
In dem 287 Artikel umfassenden Text wirbt Franziskus dafür, nach dem Vorbild des hl. Franz von Assisi (1181/82–1226) andere Menschen unabhängig von Herkunft oder sozialer Zugehörigkeit in freundschaftlicher Offenheit „anzuerkennen, wertzuschätzen und zu lieben“. Wer meine, die globalen Probleme nach der Corona-Krise mit den alten Systemen lösen zu können, sei „auf dem Holzweg“.Hatte er in seiner Umweltenzyklika „Laudato si“ 2015 den Blick auf die Erde als „gemeinsames Haus“ gelenkt, das es für künftige Generationen zu erhalten gelte, so skizziert er in „Fratelli tutti“ die Umgangsregeln für die Hausbewohner. Eine Kerneinsicht, die aus seiner Spiritualität als Jesuit schöpft: Was den Menschen ausmacht, bestimmt sich nach seinem Verhältnis zu den Mitmenschen.
Von dort aus dekliniert der Papst Selbstbezogenheit als Grundübel und ihr Heilmittel, liebende Öffnung, auf allen Ebenen durch. Wie in früheren Äußerungen wendet er sich gegen das Diktat von Profit- und Machtinteressen. Gegen die Armut und Ausgrenzung hilft ihm zufolge nur eine echte Beteiligung der betreffenden Personen und Gruppen an gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen. Eine Hilfe, die neue Abhängigkeiten schafft oder kulturelle Identitäten der Völker missachtet, lehnt er als verkappten Kolonialismus ab.
Zur Lösung von Konflikten setzt Franziskus auf Dialog und internationale Vermittlung. Nationale Interessen haben sich dem globalen Gemeinwohl unterzuordnen. Die Rolle der Vereinten Nationen will der Papst gestärkt sehen, Krieg und Rüstung als Mittel der Politik weist er rigoros zurück.
kap
Autor:Ingrid Burgstaller aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT |
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