Karabach
Das christliche Erbe ist in Gefahr

Das Gebet und der Glaube als Hoffnungsquelle.�Fotos: RB/Dum-Tragut | Foto: RB/Dum-Tragut
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Nach 44 Tagen gingen vor knapp einem Monat die Kampfhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Kaukasusregion Karabach zu Ende. Unter russischer Vermittlung kam ein Friedensvertrag zustande. Für Armenien sind es tragische Monate. Die menschlichen und territorialen Verluste sind hoch. Jasmine Dum-Tragut ist Armenologin an der Universität Salzburg und seit Jahrzehnten mit dem Land verbunden. Sie erlebte an der Seite der Armenier vor Ort das große Leid, das der erbarmungslos geführte Krieg brachte. Sie stellte sich selbst die Frage: Was kann ich als Österreicherin tun?

In Karabach leben überwiegend christliche Armenier. Völkerrechtlich gehört die Region zum islamischen Aserbaidschan, von dem es sich aber 1991 lossagte. „Es schwebte immer ein Damoklesschwert über dem kleinen Flecken Erde. Es ist ja nie zu einem Friedensvertrag gekommen. Aserbaidschan erkannte die Unabhängigkeit nicht an, wollte das Gebiet zurück.“ Die Situation im September vergleicht Jasmine Dum-Tragut deshalb mit einem dahinköchelnden Topf, „irgendwann läuft er über“.

Armenien ging die Kraft aus

Am 27. September war es so weit, an diesem Tag begannen zwischen Armenien und Aserbaidschan heftige Kämpfe um die Region. Das war nicht das erste Mal. „Doch dieser Krieg war erbarmungslos. Hochmoderne Drohnen zogen wie Vogelschwärme mit ihren Sprengköpfen durch die Luft“, berichtet die Universitätsdozentin, die an der Katholischen Fakultät das Zentrum zur Erforschung des Christlichen Ostens leitet. „Armenien hatte keine Chance gegen die übermächtigen Waffen, die Aserbaidschan aus der Türkei und Israel bezogen hat.“ Es deutet zudem einiges darauf hin, dass die Türkei syrische und libysche Söldner rekrutiert hatte. „In den 44 Kriegstagen gab es praktisch keine Pausen. Sämtliche Waffenstillstände, um den Bewohnern eine Verschnaufpause zu gönnen, waren nach wenigen Minuten hinfällig. Gefallene Soldaten konnten nicht geborgen werden. Die Gerichtsmediziner müssen diese Toten jetzt identifizieren.“

Dum-Tragut, die gerade für ein Forschungsprojekt in Armenien war, erzählt, dass ihr ganzer Bekanntenkreis betroffen war. „In jeder Familie gab es jemanden an der Front: Ehemann, Sohn oder Bruder.“ Junge Männer bangten vor dem nächsten Telefonanruf, der ihnen den Einzug zum Militär verkünden konnte.

Corona verschärft die Lage

Auf der Verlustliste stehen letztlich tausende Opfer und Verletzte. Dazu kommt für Armenien der Rückzug aus jenen Gebieten in Karabach, die es seit den Neunzigerjahren als Sicherheitszone kontrollierte. Berg-Karabach selbst ist künftig wieder eine Enklave, die nur noch über einen Korridor mit Armenien verbunden ist, gesichert durch russische Soldaten. Bisher sind rund 100.000 Menschen aus dem Konfliktgebiet geflohen, das sind zwei Drittel der dortigen Bevölkerung. „Vereinzelt kehrten Menschen nach dem Waffenstillstand in die Städte im ,alten‘ Berg-Karabach, das ja autonom bleiben soll, zurück.“ Doch die meisten Armenier können sich ein Leben unter aserbaidschanischer Flagge nicht vorstellen. „Manche haben bei ihrem Weggang sogar ihre Häuser angezündet, um nichts zu hinterlassen.“

Armenien ist kein reiches Land, 30 Prozent der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Jetzt diese große Zahl an Heimatlosen zu versorgen ist eine extreme Herausforderung. Eine starke Covid-19-Welle verschärft die Lage weiter. „Das Gesundheitssystem ist total überlastet. Ein Arzt schilderte mir, er steht im Spital jeden Tag vor der Entscheidung, wen er retten soll: einen verwundeten Soldaten, einen Coronakranken oder einen Alltagspatienten, der Krebs hat.“

Dazu weckt die Beteiligung der Türkei dunkle Erinnerungen an den Armenier-Genozid von 1915. Es ist ein kollektives Trauma, das über Generationen weitergegeben wird. „Die Menschen sind sehr betroffen, dass die Türkei wieder eine entscheidende Rolle spielt“, formuliert Dum-Tragut jene Angst, die vielen Armeniern im Nacken sitzt.

Sorge um Kirchen und Klöster

Armenier siedelten schon seit der Antike in Karabach. Seit dem 4. Jahrhundert ist die Region christlich geprägt. Die Armenologin sieht nun das christliche Erbe massiv bedroht. Sie bangt um teils uralte Kirchen, Klöster und weitere christliche Stätten von unschätzbarem kulturellen wie spirituellen Wert. Ihre Befürchtungen kämen nicht von ungefähr. Die Expertin verweist auf die aserbaidschanische Region Nachitschewan, in der in den vergangenen Jahren 250 Kirchen und Klöster völlig zerstört wurden. Klerus und Bevölkerung in Karabach sorgen sich nun: Was ist wenn wir fortgehen und niemand mehr aufpasst? Russische Friedenssoldaten können nicht bei jeder Kirche stehen. Momentan bewachen sie etwa das Kloster Dadiwank oder auch die Kathedrale von Schuschi.

Salzburger Hilfe für Flüchtlinge

Was kann ich tun? Die Antwort von Jasmine Dum-Tragut sind Taten. Sie stellt mit Unterstützung von Universität und Pro Oriente Salzburg eine Hilfsaktion auf die Beine. Konkret geht es um eine Zusammenarbeit mit der Diözese Tavusch im Grenzgebiet. Zahlreiche Flüchtlinge sind hier gestrandet, darunter junge Familien, deren Väter im Krieg gefallen sind. Es fehlt ihnen an allem: Kleidung, Nahrung und Heizmaterial für den Winter, der vor der Tür steht. „Den Kleinen möchten wir mit Weihnachtspackerln eine Freude machen.“ Die Spenden aus Österreich sollen außerdem in die Zukunft investiert werden: in die Bildung der Kinder und die Existenzsicherung der Erwachsenen. Vor allem in der Landwirtschaft gebe es Möglichkeiten sich etwas aufzubauen.

Friedensgebet im Dom

Hoffnung schöpfen die Armenier aus dem Zusammenhalt, dem Glauben und dem Blick nach vorne. „Die Menschen sprechen sich gegenseitig Mut zu: Wir überstehen das.“ Kraft soll auch das ökumenische Friedensgebet mit Erzbischof Franz Lackner und dem armenisch-apostolischen Bischof Tiran Petrosyan geben. „Wie viele Menschen am 17. Dezember im Salzburger Dom dabei sein können, hängt von den Coronaregeln ab. Eine Teilnahme ist aber auf jeden Fall im Livestream möglich“, versichert Jasmine Dum-Tragut.

Hilfsprojekt #GibHoffnung: Die Salzburger Armenologin Jasmine Dum-Tragut hat mit der armenisch-apos-tolischen Diözese von Tavusch eine Hilfsaktion für Kriegsopfer und Kriegsflüchtlinge aus Karabach ins Leben gerufen. Spendenkonto #GibHoffnung, IBAN: AT76 3429 0000 0624 0758

Friedensgebet im Salzburger Dom, Donnerstag, 17. Dez., 18 Uhr. Teilnahme nach dem aktuellen Stand der Coronamaßnahmen. Livestream: www.salzburger-dom.at

Hintergrund: Alter Konflikt um 4.400 Quadratkilometer

Das zentrale Gebiet von Berg-Karabach ist mit 4.400 Quadratkilometer nur etwas größer als das Burgenland. Bis zum September leben rund 150.000 Menschen in Karabach und der Umgebung, überwiegend christliche Armenier. Völkerrechtlich gehören sie zum islamisch geprägten Aserbaidschan. „Doch Religion spielt keine primäre Rolle. Es ist ein ethnischer Konflikt, der weit zurückgeht“, betont Armenologin Jasmine Dum-Tragut.

Wechselvolle Geschichte

In der wechselvollen Karabacher Geschichte kam es zu vielen Fremdherrschaften und demographischen Wechseln. Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert war es unter iranischer Herrschaft, aber selbst verwaltet und sehr eigenständig. Die Kultur konnte sich gut entwickeln. Karabach war innerhalb der armenischen Kirche nicht nur eine Diözese, sondern ein eigenes Katholikosat. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gestalteten die Russen die Provinzen um. Der echte Knackpunkt kam laut Dum-Tragut jedoch mit Beginn der Sowjetunion. Gebietsstreitigkeiten begannen. Schließlich wurde Karabach, in dem 95 Prozent Armenier lebten, Aserbaidschan zugesprochen. Konflikte waren vorprogrammiert. Nach dem Zerfall der Sowjetunion kulminierten die Auseinandersetzungen im ersten Karabachkrieg zwischen 1991 bis 1994. Armenien ging als Sieger hervor und besetzte neben Berg-Karabach sieben weitere Zonen rundherum. Die Republik Arzach wurde ausgerufen. Doch der de-facto-Staat in Karabach war nach wie vor ein Teil Aserbaidschans.

In der Welt lenkten bald andere Krisen von der kleinen Kaukasusregion ab. Doch an der Grenze ist es nie ganz ruhig, immer wieder gibt es Übergriffe. 2020 kommt es zur Eskalation. Aserbaidschan hat starke Rückendeckung durch die Türkei. Dazu tritt Russland als Player auf und andere Regionalmächte wie Israel und Iran mischen mit. Am 10. November ist der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um Karabach, der am 27. September ausgebrochen war, beendet. Armenien verliert die Kontrolle über ein großes Territorium. Es muss 120 Ortschaften abgeben, sie gelten teilweise als vermint. Russische Friedenstruppen sollen die Umsetzung der Vereinbarung absichern. Ihre Mission ist vorerst auf fünf Jahre beschränkt. Und danach? Fällt der Rest von Karabach auch an Aserbaidschan?

Autor:

Ingrid Burgstaller aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT

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