USA
„Angriff hat Selbstbild zerstört“

Bei den Ausschreitungen rund um die Demonstration vor dem Kapitol in Washington, D.C. kamen sechs Menschen ums Leben.� | Foto: RB/shutterstock.com/Alex Gakos
  • Bei den Ausschreitungen rund um die Demonstration vor dem Kapitol in Washington, D.C. kamen sechs Menschen ums Leben.
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In Washington, D.C. kam es kürzlich zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, Anhänger des scheidenden US-Präsidenten Donald Trump haben das Kapitol gestürmt. Warum dieses Ereignis ein Novum in der amerikanischen Geschichte ist und welche Folgen es haben wird, erklärt Theologe, Religionswissenschafter und Amerika-Spezialist Andreas G. Weiß.

RB: Wie kam es zu dem Sturm auf das Kapitol? Am Anfang der Ereignisse stand lediglich eine „normale“ Demonstration.
Andreas G. Weiß: Die Demo war lange vorher angekündigt. Man konnte ahnen, dass sie zeitlich mit der Kongress-Sitzung zusammenfallen würde. Bei dieser sollte das Ergebnis der Präsidenschaftswahl ratifiziert werden. Der Aufmarsch sollte Unzufriedenheit und Zweifel an Wahlergebnissen mit dem Gewinner Joe Biden ausdrücken. Zur Eskalation der Lage hat Präsident Trump selbst beigetragen. Er ist persönlich aufgetreten und hat die Menschen vor Ort aufgerufen, den Senatoren ihre Meinung zu sagen.

RB: Was sollte die Demonstration bezwecken? Rechtlich wurde im Vorhinein jede Grundlage für Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl ausgeräumt.
Weiß: Der Gedanke dahinter war: Wenn wir keine rechtlichen Möglichkeiten mehr haben, dann gehen wir auf die aktionistische Ebene. Die Demonstranten wollten ein sichtbares Zeichen ihres Ärgers und ihrer Zweifel setzen. Sie wollten entschieden auftreten und im allgemeinen Gedächtnis bleiben.

RB: Woher kommt der Wunsch, im allgemeinen Gedächtnis zu bleiben?
Weiß: Seit der Sender FOX News, der Trump früher hofierte, einen Ausrichtungswechsel vollzogen hat, fehlen Trump und seinen Anhängern nicht nur rechtliche, sondern auch mediale Mittel. Ihnen wurde die Bühne für Aufmerksamkeit genommen. Mit der Demonstration war den Demonstranten mediale Aufmerksamkeit sicher.RB: Hat es einen Vorfall wie den Sturm auf das Kapitol schon einmal in der US-Geschichte gegeben?
Weiß: Nein, das ist ein vollkommenes Novum. Im Jahr 1814 gab es zwar auch einen Sturm auf das Kapitol, aber damals waren die Angreifer Briten, also Leute „von außen“. Dieses Mal waren es die eigenen Leute, angestachelt vom eigenen Präsidenten, die das Epizentrum der US-Politik attackiert haben.

RB: Trumps Reaktion auf den Sturm war zweideutig. Einerseits rief er zum Abzug und zu Ordnung auf, aber dann schrieb er den Demonstranten auf Twitter: „Wir lieben euch, ihr seid besonders.“
Weiß: Das macht deutlich, in welcher paradoxen Situation Trump ist. Er hat in den letzten Monaten gestichelt, dass eine widerstandsfreie Amtsübergabe nicht möglich sein würde. Jetzt hat er gesehen, dass seine Worte Folgen haben. Ich denke, dass er mit so einer gewaltigen Reaktion nicht gerechnet hat. Er wollte ein möglichst aggressives Stimmungsbild und hat dabei seine eigenen Anhänger unterschätzt.

RB: Damit hat er auch die Spaltung in der eigenen Partei vertieft.
Weiß: Das stimmt. Er hat Schaden in den eigenen Reihen angerichtet. Die republikanische Partei wird vermutlich Jahre brauchen, um sich wieder auf eine gemeinsame Linie zu einigen.

RB: Welche Folgen wird der Sturm auf das Kapitol Ihrer Meinung nach haben?
Weiß: Ich glaube, dass der Angriff in Bezug auf das Selbstbild der USA viel zerstört hat. Amerikaner, die sich gegen Amerikaner richten – das erinnert an den Bürgerkrieg. Der Bürgerkrieg war aus Sicht vieler Menschen vor Ort das schlimmste Ereignis in der Geschichte Amerikas. Wir haben jetzt gesehen, dass sich die Geschichte wiederholen kann. Das ist für viele von ihnen ein Wachrütteln.

RB: ... und entspricht nicht dem amerikanischen Traum von „Höher, schneller, weiter“.
Weiß: Genau, denn das US-Selbstbewusstsein baut auf die Hoffnung, dass es einen linearen Prozess der Weiterentwicklung gibt. Die aktuellen Geschehnisse zeigen allerdings, dass es nicht immer so ist; sie sind ein Dämpfer. Man kann nur hoffen, dass sie auch zu einem Lernprozess führen.

RB: Trump wird nicht an der Inauguration von Joe Biden am 20. Jänner teilnehmen. Auch das ist eine Neuheit.
Weiß: Bis jetzt haben alle scheidenden Präsidenten an der Amtseinführung ihres Nachfolgers teilgenommen. Bush Senior hat beispielsweise die Wahl für eine zweite Amtszeit verloren. Trotzdem hat er das Ergebnis sofort anerkannt und seinem Nachfolger Bill Clinton gratuliert. Dennoch, das Fernbleiben von Trump ist nur konsequent – es entspricht seiner Persönlichkeit. Mit der Teilnahme würde er seine Niederlage eingestehen. Das passt nicht in sein Selbstbild als Gewinner.

RB: Wie bewerten Sie sein Fernbleiben?
Weiß: Ich sehe das positiv. Auch wenn damit eine Tradition gebrochen wird, so ist die Mehrzahl der Menschen wohl froh darüber. Sein Fernbleiben wird hoffentlich zu einer entspannteren Atmosphäre führen.

Autor:

Ingrid Burgstaller aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT

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