Problematischer Schönheitswahn
Zeigt stolz eure Lachfalten

Susanne Kummer ist Ethikerin und Geschäftsführerin von IMABE – dem Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik in Wien.  | Foto: RB/Kummer
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Viele Frauen und Mütter sehen sich großem Druck ausgesetzt, wenn es um ihren Körper geht. Die Ethikerin Susanne Kummer spricht über Schönheitsideale und die nötige Distanz und Entspannung damit umzugehen.

Rupertusblatt: Viele Frauen fühlen sich unzureichend; nicht genug schön, fit und sexy. Warum?
Susanne Kummer: Es ist grundsätzlich positiv auf Schönheit zu schauen. Gutes Aussehen und schöne Kleider erheben uns. Wer im Homeoffice mit Sakko und Krawatte oder Blazer an einer Videokonferenz teilnimmt, weiß das. Das Problem beginnt, wo man auf Schönheit, auf Äußerlichkeit – den schönen Schein – reduziert. Der Wert der Schönheit wird flüchtig, glatt und gefällig, beständige Werte wie Authentizität, Wahrhaftigkeit und Innerlichkeit werden unwichtig. Wir erleben dabei zwei Extreme in unserer Kultur. Wir geben viel Geld für Gewand aus, das alt und verschlissen wirken soll und haben gleichzeitig den banalen Konsum-Schönheitsbegriff einer Barbiepuppen-Ästhetik.

RB: Gibt es so etwas wie echte und gute Schönheit?
Kummer: Die Schönheit ist der Glanz des Wahren, haben die alten Denker gesagt. Das Schöne, Gute und Wahre hängen zusammen. Das haben wir aber leider aus dem Blick verloren. Mit den Folgen des Auseinanderfallens von Innerlichkeit und Äußerlichkeit müssen wir irgendwie zurande kommen. Das Pendel schlägt nun in die Reduktion aufs Äußerliche aus. Schönheit ist heute eine Ware. Diese äußerliche Schönheit ist aber vergänglich und flüchtig, so dass man mit dem Erhalt des Status quo grundsätzlich überfordert ist. Wahre Schönheit schenkt Sammlung und Freiheit, Konsum-Schönheit muss permanenten Reiz und Aufmerksamkeit generieren. Aber diesen Kampf gewinnt keiner.

RB: Eine Mama-Bloggerin schreibt: Mein Körper und ich sind nur selten Freunde. Wie gelingt ein guter Umgang?
Kummer: Eine Barbiepuppe kann keine Kinder bekommen. Kinder hinterlassen Spuren. Das Leben hinterlässt Spuren. Wir sind ja keine a-historischen Lebenshüllen. Ich verstehe natürlich diesen immensen Druck, der auf viele Frauen und Mütter projiziert wird. Die Frau soll heute alles sein: Mutter, erfolgreich in Beruf und Karriere, Geliebte, Gefährtin und natürlich wunderschön, im Sinne eines seelenlosen mit Photoshop manipulierten Schönheitsideals. Das alles geht sich nicht aus. Noch nie hat eine Frau so viele Rollen gleichzeitig zu erfüllen, so vielen Rollenansprüchen genügen müssen. Es zerreißt Frauen in diesem Anspruch. Und es gibt auch kein Patentrezept, wie damit umzugehen ist.

RB: Warum gibt es so einen Druck auf und von Müttern alles dem „Projekt Körper“ unterzuordnen?
Kummer: Frauen sollten sich von Hochglanz-Pseudobildern emanzipieren. Und jeder muss sein Weltbild hinterfragen. Die christliche Perspektive bringt hier Entspannung: Transzendenz bringt Entspannung. Wenn ich davon getrieben bin, dass alles, was ich sein kann, hier und jetzt in diesem kurzen Leben verwirklicht werden muss, entsteht ein Riesendruck. Dann müssen alle Optimierungsmöglichkeiten von Botox bis Bodybuilding ausgereizt werden. Der Christ weiß, dass die letzte Erfüllung von Gott her kommt, außerhalb von Raum und Zeit, nach dem Tod. In meinem Sein gibt es eine Lücke, die ich nicht selbst schließen kann. Wenn unser Menschenbild bedeutet, der Mensch ist ein Optimierungsprojekt, dann werden wir alle und die vulnerablen Gruppen zuerst, Knechte unseres eigenen Optimierungswahns. Und noch etwas Schlimmes tritt ein: Wenn Perfektion das Ziel ist, wird Unvollkommenes nicht verziehen. Dann sind wir endgültig und unwiederbringlich schuldig für unsere Situation. Wir kennen alle die Aussagen: „Du bist ja selber schuld, wenn du dir nichts machen lässt.“

RB: Was raten Sie Frauen in diesem Zusammenhang?
Kummer: Man muss seine eigenen Wünsche hinterfragen. Gerade, wenn sie immer lauter werden. Will ich das wirklich oder schleicht sich ein Wunsch ein, der für ein seelisches Bedürfnis steht? Es gilt Fragen zu stellen: Warum stellst du dein Aussehen infrage? Habe ich Angst nicht geliebt zu werden? Wie steht es um meine Selbst-annahme? Wie gehe ich mit Vergänglichkeit um? Es ist ja schon eigenartig: Wir wollen a-historisch im Gesicht sein und zahlen gleichzeitig Unsummen für Designerklamotten, die alt wirken sollen und Löcher in der Hose haben. Mein Plädoyer: Stopft die Löcher in der Hose und zeigt stolz die Falten im Gesicht. Das ist schön.

David Pernkopf

Zur Person
Susanne Kummer (1970 geboren) ist Ethikerin und Geschäftsführerin von IMABE – dem Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik in Wien. Sie studierte Philosophie und Deutsche Philologie an den Universitäten Wien und Graz. Kummer arbeitete viele Jahre als Journalistin und Korrespondentin für österreichische Zeitungen wie „Die Presse“ oder „Kleine Zeitung“. Kummer beschäftigt sich als Ethikerin mit aktuellen ethischen und gesellschaftspolitischen Fragen.

Autor:

Ingrid Burgstaller aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT

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