Über Krisen sprechen
Wie sag ich's den Kindern?

Dass da jemand ist, der da bleibt – das hilft traumatisierten Kindern am meisten, sagt Katja Schweitzer.
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Corona, Terror, Leid und Tod. Wie gehen Kinder damit um? Katja Schweitzer von der kids-line, dem telefonischen Notdienst für Kinder ( (0800 234 123) der Telefonseelsorge der Erzdiözese Salzburg, erklärt, warum Kinder in Katastrophenfällen oft schlecht versorgt sind. Und: Was hilft in schwierigen Zeiten? Was können Eltern tun, um sie zu wappnen?

Rupertusblatt: Wenn ein schwerer Unfall oder eine andere Katastrophe wie der Terroranschlag in Wien passieren, haben Kinder in der Verarbeitung andere Bedürfnisse als Erwachsene?
Katja Schweitzer: Kinder und Erwachsene haben grundsätzlich dieselben Bedürfnisse nach Beziehung, Orientierung und Sicherheit. Allerdings sind Kinder erst dabei zu lernen, wie sie sich selbst regulieren können und brauchen dafür die Unterstützung von Erwachsenen, die emotional verfügbar sind und in solch schwierigen Situationen Halt geben können. Ähnlich wie Erwachsene haben auch Kinder das Bedürfnis, darüber zu reden, was passiert ist und das Geschehene in ihr Weltbild irgendwie einzuordnen.

RB: Welche Fragen oder Anliegen kommen in der kids-line an? In welche Katastrophen sind sie verwickelt?
Schweitzer:
Terror und aktuelle Krisen wie die Coronapandemie sind auch in der kids-line Thema. Die tragischsten Verwicklungen der Kinder und Jugendlichen sind aber die familiären. Junge Menschen, die sich bei der kids-line melden, fühlen sich oftmals wert- und haltlos, da ihre emotionalen Grundbedürfnisse nicht ausreichend erfüllt werden und/oder sie im familiären Umfeld Gewalt erfahren.

RB: Wie reagieren Kinder, wenn sie so etwas erleben? Welche Ereignisse gehen ihnen besonders nahe? Schweitzer: Besonders nahe gehen Kindern Beziehungsabbrüche und die Erfahrung des Alleingelassenseins: allein mit einer Erfahrung, die ihnen Angst macht. Kinder und Jugendliche reagieren darauf individuell unterschiedlich, erfahren sich aber oft als beeinträchtigt in ihrem Selbstwert und in ihrer Selbstwirksamkeit eingeschränkt.

RB: Was ist die erste Hilfe in solchen Momenten?
Schweitzer: Offenes Reden ist wichtig. Nicht über Belastendes zu sprechen ist hier gleichzusetzen mit Nicht-Schützen – obwohl genau das oft die Intention der Eltern ist, wenn sie versuchen, Krisenthemen aus der Familienkommunikation auszuklammern. Aber: Erst durch das Sprechen wird das, was vorher unsagbar war, einer psychischen Verarbeitung zugänglich. Dabei gibt es keine vorgefertigten Erklärungen, die für jedes Kind in einem bestimmten Alter gleichermaßen passen. Wichtig ist es vor allem, den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass alle Gefühle, die sie gerade empfinden, richtig sind und da sein dürfen. Eltern selbst dürfen auch zugeben, dass ihnen etwas Angst macht. Starke Gefühle dürfen da sein und können gemeinsam ausgehalten werden. Gleichzeitig gilt es den Kindern und Jugendlichen Sicherheit und Stabilität zu vermitteln, indem die Strukturen des Alltags so gut wie möglich beibehalten werden.

RB: Wer kann am besten helfen – Eltern? Oder braucht es das geschulte Personal?
Schweitzer: Grundsätzlich kann jeder helfen, der sich in einer solchen Situation als stabile Bezugsperson zur Verfügung stellt und positive Beziehungserfahrungen möglich macht. Schulung ist wichtig – nicht nur im Umgang mit den Kindern und Jugendlichen, sondern auch im Umgang mit den thematisierten Belastungen, damit man als BeraterIn nicht ausbrennt. Die Ängste und Sorgen der Kinder sind geprägt von ihren Vorerfahrungen. Die einen empfinden mehr Schuld, die anderen mehr Verlustangst.

RB: Worauf gilt es besonders zu achten?
Schweitzer: Wichtig ist, den Kindern nichts vormachen und auf ihre Fragen eingeht. Informationen, die sie von Erwachsenen nicht bekommen, werden sie sich über das Internet besorgen.Wenn daheim über ein Thema nicht gesprochen wird, das in den Medien und damit in der Schulpause präsent ist, geht das Kind davon aus, dass seine erwachsenen Bezugspersonen sich auch unsicher und verloren fühlen. Leid und Tod gehören zum Leben dazu und sollten nicht tabuisiert werden. Kinder beobachten Erwachsene ganz genau in ihrem Umgang mit belastenden Themen. Es ist o.k., wenn man als Erwachsener nicht immer eine Antwort hat. Man kann darüber sprechen, dass einem die Worte fehlen. Nach einem schlimmen Ereignis wird es vielleicht nicht mehr so wie vorher sein, aber es kann anders gut werden. Dieser Satz tröstet, ohne etwas weg-trösten zu müssen.

Hintergrund

Katja Schweitzer (1984 geboren) studierte Psychologie und ist ausgebildete Notfallpsychologin. Sie arbeitet als Koordinatorin der kids-line – der telefonischen Beratungsstelle für Kinder und Jugendliche in der Salzburger Telefonseelsorge. Neben dem Telefon gibt es auch die Möglichkeit zur Chatberatung: niederschwellig, anonym und vertraulich. Das Team steht täglich von 11.30 bis 21 Uhr zur Verfügung – auch an Wochenenden und Feiertagen.

kids-line kostenlos vom Festnetz und vom Handy: 0800 234 123

Autor:

Ingrid Burgstaller aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT

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