Trauerredner
„Jeder Mensch ist einzigartig“

Walter Müller erzählt in seinem Trauerreden-Buch „Lasst uns über die Liebe reden“ die Lebensgeschichten von 22 Menschen. | Foto: RB/ibu
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Trauerreden halten heißt Geschichten erzählen. Es soll nichts Beiläufiges, Austauschbares sein. Jeder Mensch ist ein eigener Kosmos, unverwechselbar. Walter Müller setzt seit 2007 Verstorbenen poesievolle Denkmäler. Aufhören wollte er schon öfters. Eine Bestärkung zum Weitermachen sind die Worte seiner Frau Brigitte Trnka. Sie meint: „Seid du dich mit dem Tod beschäftigst, bist du so lebendig.“

Eine Familie sagte zu Walter Müller über den verstorbenen Großvater einmal: „Er war so ein toller Opa.“ Als der Salzburger Schriftsteller den Enkel fragte, was das Besondere war, antwortete der Sechsjährige: „Er hat das Wasser so warm gemacht.“ Dem Buben war der See beim Baden oft zu kalt. Der Opa hat sich dann mit ihm an den Steg gesetzt und lange mit den Beinen gestrampelt und irgendwann erklärt: „Ich glaube, jetzt ist das Wasser warm genug.“

Genau diese Geschichten sind Müller wichtig. Eine blinde, picksüße Lobhudelei solle dabei keinesfalls herauskommen. Natürlich wolle er trösten in dieser Situation, in der die Menschen traurig und verzweifelt sind. „Aber die Stimmung bei einer Verabschiedung kann man schon beeinflussen.“ Wenn es passt, baue er Sachen zum Schmunzeln ein. Das Schwierige sei, dass zwischen der Beauftragung, dem Gespräch mit den Angehörigen und der Trauerzeremonie oder dem Begräbnis meist nur wenige Tage liegen. Er könne nicht wie ein Therapeut sagen, machen wir nächste Woche weiter.

In das Leben hineinhorchen

Bevor Walter Müller Familie oder Freunde trifft, schickt er ihnen per Mail einen ausführlichen Fragenkatalog zu. Mit diesem Hilfsmittel und den Fakten zu Geburtsort, Herkunftsfamilie, Kindheit, Ausbildung, Interessen und Beruf geht er dann ins Gespräch. „Das braucht immer Zeit und dauert manchmal zwei oder drei Stunden.“ Danach liest er im Kaffeehaus seine Notizen. Zu manchen Punkten wie dem Geburtsdatum lasse sich gut anknüpfen wie etwa bei Natalie H., einer der 22 Menschen, deren Abschiedsrede der Autor in seinem jüngsten Buch festhält. Die Frau war in Tokio geboren als das Tanabata-Fest stattfand. Alle Kinder, die an diesem Tag geboren werden, sind Glückskinder. Liebevoll zeichnet Müller in Natalies Rede nach, warum gerade sie eine Lehrmeisterin des Glücks war. Auf den 261 Seiten findet sich auch die turbulente Geschichte des Weltmeisters im Barfußwasserschilauf oder jene der Konzertgeigerin, die im gesegneten Alter von 97 Jahren starb.

Letztlich geht es um die Liebe. Lasst uns über die Liebe reden. Sie darf nie fehlen. „Das erste Kennenlernen, die erste Liebe ist stets etwas, das die Menschen in ganz hellem Licht beschreiben. Und wenn jemand meint, bei uns ist es ganz kompliziert, erwidere ich: Mein Vater hatte mit drei Frauen fünf Kinder. Ich hab den Vater nie getroffen, aber alle Kinder. Ich kenn mich ganz gut aus. Dann erzählen sie mir die Geschichten, weil sie wissen, da ist kein Blinder, der von den Farben redet.“

Jeder Mensch, jede Rede ist einzigartig

Es gibt die unterschiedlichsten Trauerredner. Manche kommen aus der Lebensberatung oder aus der Psychotherapie. Andere sind vom Theater, die als Nebenbeschäftigung Verabschiedungen halten, manchmal drei an einem Tag, nur mit ausgetauschten Biografien in ihren Ansprachen. „Das könnte ich nicht. Jede Rede muss eine ganz eigene sein.“

Als Konkurrenz zum Priester sieht sich Walter Müller keinesfalls. Es komme immer wieder zu einem Miteinander. „Der Pfarrer konzentriert sich auf das Liturgische und ich halte die Trauerrede.“ Und wenn er erfahre, jemand war o.B., also ohne Bekenntnis, frage er die Familie: „Sollen wir trotzdem am Schluss der Zeremonie ein Vater Unser beten? 70 Prozent sagen ja.“

Der Tod ist kein Schreckgespenst

Hat sich seine Einstellung zum Leben und zum Tod im Laufe seiner Trauerrednerjahre verändert? „Seit ich das mache, habe ich so viel Respekt und Demut vor jedem einzelnen Menschen.“ Angst vor dem Sterben habe er keine. „Ich fürchte mich nicht.“ Das habe wohl viel damit zu tun, dass er seit langem der Hospizbewegung verbunden ist. „Es macht mir auch nichts aus, Menschen, die das wollen, in den letzten Wochen oder Tagen zu besuchen. Die Begegnung mit dem Tod ist kein Schreckgespenst für mich.“

Neues Trauerreden-Buch von Walter Müller

Nachdenken über Liebe und Tod. Jeder Mensch ist ein eigener Kosmos, einzigartig, unverwechselbar, besonders. Walter Müller erzählt die Lebensgeschichten von 22 Menschen, für die er Abschiedsreden gehalten hat. Von jedem Menschenleben kann man so viel lernen. Letztlich geht es um die Liebe – die Liebe zu einem Menschen, die auch nach dem Tod bestehen bleibt, die Liebe zu einer Arbeit, zu einem Hobby. Ein Buch, das trösten und zum Nachdenken anregen soll, über den Tod und weit mehr noch: über das Leben.

Walter Müller, Lasst uns über die Liebe reden, Otto Müller Verlag, Salzburg 2021, gebunden, 264 S., 22 €, ISBN 978-3-7013-1291-7.

Autor:

Ingrid Burgstaller aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT

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