Gedanken zur Fastenzeit von Pater Martin Werlen OSB - Teil 5
Warum wir auf das Warum keine Antwort erhalten

„Gott darf ich mich auch mit meinen unbeantworteten Fragen anvertrauen", betont Pater Martin Werlen OSB | Foto: P. Martin Werlen OSB
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Das Warum ist die Frage des Menschen. Eindrücklich erleben das Eltern, wenn ihr Kind auf jeden Hinweis immer wieder fragt: „Warum?“.

Die Frage eines Kindes nach dem Warum kann mit der Zeit ganz gehörig nerven. Zuvor beginnt das Kind jede Schublade zu öffnen und zu schauen, was da drin ist. Auch das nicht immer zur Freude der Eltern. In dieser Phase des Lebens begegnen wir eindrücklich der Tatsache, dass der Mensch zutiefst nicht an der Oberfläche stehen bleiben will. Er will dahinter schauen.
Die Vertechnisierung und Digitalisierung unseres Alltags bringen viel Positives und große Erleichterungen mit sich. Allerdings kann dabei auch etwas unter die Räder kommen: Unsere Frage nach dem Warum. Wenn früher eine Schreibmaschine nicht funktionierte, war das Problem von den meisten Menschen schnell entdeckt: Einer der Bügel war verklemmt oder das Farbband aus der Fassung geraten. Mit ein wenig Geschick konnte das Problem selbst behoben werden.

Alles ist komplizierter geworden

Das ist in der Zwischenzeit anders geworden. Wenn ein Computer nicht funktioniert, wissen nur wenige Fachleute das Warum. Und ans Flicken geht man besser nicht selber dran. Oder die Lüftung im Auto: Wie einfach funktionierte die noch vor wenigen Jahrzehnten. Das war nachvollziehbar.
Die Antwort auf das Warum des Kindes war möglich. Und heute? Wer kann heute einem Kind erklären, wie die Lüftung im Auto funktioniert? Diese Beispiele zeigen, wie wichtig es auch heute ist, dass Kinder nicht nur Computer zum Spielen erhalten, sondern Spielzeuge, die das Dahinterschauen zulassen und die Frage nach dem Warum hervorlocken.

Der Schrei zu Gott.

Im Idealfall gibt sich der Mensch nicht mit billigen Antworten zufrieden. Das gilt auch für das Glaubensleben. Wie eindrücklich wird in der Heiligen Schrift das Warum zu Gott geschrien! Merken wir auf, wenn wir diese Worte hören? „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bleibst fern meiner Rettung, den Worten meines Schreiens?“ (Ps 22,2) Diesen Schrei übernimmt Jesus am Kreuz: „Und in der neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: Eloï, Eloï, lema sabachtani?, das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34)
Auch an vielen anderen Stellen im Wort Gottes ertönt dieses Warum. „Warum verstößt du, HERR, meine Seele und verbirgst dein Antlitz vor mir?“ (Ps 88,15). Ob wir nicht allzu schnell darüber hinweggehen? Wie viele Warum an Gott bleiben doch unbeantwortet! Zumindest mir ergeht es so. Seien wir dankbar, wenn wir auch gegenüber Gott offene Fragen haben! Ein Gott, bei dem uns alles klar wäre, ist nicht der Gott Jesu Christi. Es wäre ein Götze, gemacht nach unserem Geschmack. Oft klemmt das religiöse Besserwissen die Warum-Fragen ab. In eindrücklicher Weise schreit aber ein Prophet das Warum zu Gott: „Wie lange, HERR, soll ich noch rufen und du hörst nicht? Ich schreie zu dir: Hilfe, Gewalt! Aber du hilfst nicht. Warum lässt du mich die Macht des Bösen sehen und siehst der Unterdrückung zu? Wohin ich blicke, sehe ich Gewalt und Misshandlung, erhebt sich Zwietracht und Streit.“ (Hab 1,2–3)

Die Antwort

Eindrücklich ist auch die Antwort, die der Prophet erhält: „Der HERR gab mir Antwort und sagte: Schreib nieder, was du siehst, schreib es deutlich auf die Tafeln, damit man es mühelos lesen kann! Denn erst zu der bestimmten Zeit trifft ein, was du siehst; aber es drängt zum Ende und ist keine Täuschung; wenn es sich verzögert, so warte darauf; denn es kommt, es kommt und bleibt nicht aus.“ (Hab 2,2–4)

Die Frage nach dem Warum

Mit anderen Worten könnten wir die Antwort Gottes so umschreiben: Schluck dein Warum nicht einfach hinunter, geh nicht einfach darüber hinweg! Schreib es nieder! Hör nicht auf, das Warum zu Gott zu schreien! Geh auf die Straße! Es soll nicht überhört oder vergessen werden.
Als ich nach einem schweren Sportunfall im Jahre 2012 viele Wochen in Kliniken war, fehlte mir die Sprache, um zu Gott zu schreien. Das ist eine große Not. Wie dankbar war ich, dass mir das Geschenk des Glaubens ganz neu gegeben wurde. Mit allem, was ich war, durfte ich einfach in Gottes Gegenwart da sein. Es ist die Haltung, die wir jeden Abend im Nachtgebet zum Ausdruck bringen: „Herr, auf dich vertraue ich, in deine Hände lege ich mein Leben.“ Diesem Gott darf ich mich auch mit meinen unbeantworteten Fragen anvertrauen. Ich darf vertrauen, dass er da ist. Ich darf vertrauen, dass er mich liebt – selbst in allen durchkreuzten Plänen.

Nächste Woche: „In Schuld verstrickt sein“

Autor:

Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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