Schwester Melanie Wolfers SDS: Die Kunst des Vergebens
Vom Segen des versöhnten Lebens

Nicht die Unverwundbarkeit, sondern die Liebesfähigkeit ist die Signatur christlicher Menschlichkeit. | Foto: Pixabay
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Erfolg ist alles! Bring deine Stärken ins Spiel und zeig ja keine Blöße!“ Dieses Bewusstsein prägt nicht erst die gesellschaftliche Atmosphäre unserer Tage. Es ist vielmehr ein uralter Traum, unverwundbar zu sein. Zahlreiche Mythen und Märchen handeln von Siegertypen und unschlagbaren Helden.

Die Nibelungensage erzählt von Siegfried, dem Sohn eines mächtigen Königs, der schön, kraftvoll und mutig war. Ein Kampf mit einem bedrohlichen Drachen sollte ihn tödlich zu Fall bringen.

Doch Siegfried verwandelte das, was ihn vernichten sollte, in einen Sieg: Er erschlug den Lindwurm und badete in seinem Blut. Dadurch wurde seine Haut zu festem Horn, das von keiner Lanze mehr durchdrungen werden konnte.

Siegfried war – bis auf eine Stelle, die ihm später zum Verhängnis werden sollte – unverwundbar geworden und gewann alle Kämpfe. Ein Traum von einem Menschen!

Leben ohne Drachenhaut

Den Menschen Jesus schützt keine Drachenhaut, sondern er hat den Mut, seine Haut zu Markte zu tragen. Er ist berührbar und damit auch verwundbar. Er schlägt seine Gegner nicht zu Boden, sondern hebt die Logik von oben und unten, von Sieger und Besiegten auf. Nicht die Unverwundbarkeit, sondern seine Liebesfähigkeit ist die Signatur seiner Menschlichkeit. Ein Traum von einem Menschen!

Unbeirrbar bleibt Jesus sich selbst treu: Trotz größter Bemühungen muss er enttäuscht ­erleben, dass seine Zeitgenossen sich nicht zur Freundschaft mit Gott einladen lassen, sondern seine Botschaft ablehnen. Mit seinen Jüngern feiert er ein Abschiedsmahl und wenig später schon wird er vor Gericht gestellt und zum Tod verurteilt. Doch selbst in dieser Situation lässt er sich nicht in die Spirale des Hasses hineinziehen. Er bleibt der Achtung, die er gegenüber allen Menschen gepredigt hat, treu bis zuletzt.

Er leistet dem Hass Widerstand, ohne selbst zu einem hassenden Menschen zu werden. Er hält die Wucht des Schlages aus, ohne an einen ­Gegenschlag zu denken. Damit eröffnet er ­einen Weg, der aus der Endlosschleife von Gewalt und Gegengewalt herausführt.

Die Kraft der Verwundbarkeit

Im Johannesevangelium wird erzählt, dass sich die Jünger, geschockt vom gewaltsamen Tod Jesu, vor Angst eingeschlossen hatten. Der vom Tod Auferstandene aber findet trotz der verrammelten Türen einen Zugang in ihre Mitte und sagt: „Friede sei mit euch!“ Dann zeigt er ihnen seine Hände und seine Seite und wünscht ihnen erneut Frieden (vgl. Joh 20,19–21).

Das ist Auferstehung vom Tod: Jesus kann seine Wunden und Verletzungen zeigen und zugleich ein Wort der Versöhnung sagen. Er macht seinen Jüngern, die durch Feigheit und Verrat an seinem Todesschicksal nicht ganz unbeteiligt gewesen sind, keine Vorhaltungen.

Er sucht weder Mitleid noch will er als Opfer der Gewalt bedauert werden. All dies wären sinnlose Muster des Todes. ­Jesus ist auferstanden aus den todbringenden Kreisläufen von Schuldzuweisung und Rache, von verletzender Gewalt und Gegengewalt. Und seine Lebenshaltung von Vergebung und versöhnender Annahme kann und soll von ­allen, die an ihn glauben, übernommen werden (vgl. Joh 20,12).

Die Zentralverriegelung der Angst

Im Nibelungenheld Siegfried und in Jesus von Nazaret begegnen uns zwei gegensätzliche Bilder, Mensch zu sein. Es ist unserer Freiheit überlassen, zwischen den verschiedenen Vorstellungen menschlicher Größe zu wählen – gerade auch im Umgang mit einer tiefen Kränkung.

Zweifelsohne schulden wir es unserer Verletzbarkeit und Selbstachtung, dass wir uns schützen und für uns einstehen. Doch wer die „Zentralverriegelung Angst“ dauerhaft aktiviert, schiebt allen tieferen Beziehungen einen Riegel vor und wird unzugänglich für andere. Wer sich einen wehrhaften Panzer aus Stärke und Überlegenheit zulegt, der ist nicht mehr verletzbar. Er ist ­allerdings auch nicht mehr berührbar von der Liebe und Not einer andern Person.

Die Herausforderung, die eine Kränkung mit sich bringt, verweist auf eine grundlegende Aufgabe, die das Leben uns stellt.

Das Leben nötigt uns zu lernen, mit Niederlagen und Verwundungen umzugehen und die eigene Verwundbarkeit, Schuld und Schwäche anzunehmen. Dies gelingt in dem Maß, in dem wir uns angenommen wissen. Wo wir erfahren, dass zu uns Ja gesagt wird auch dort, wo wir selbst oder andere uns ablehnen. Eine solche Liebe erlöst von dem angstbesetzten Gefühl, nichts wert zu sein. Sie mindert jene Angst, die einen oft so leicht kränkbar macht und unversöhnlich stimmt. Diese Liebe befreit und erlöst. Zu Ostern feiern Christinnen und Christen das Geheimnis dieser heilenden, befreienden göttlichen Liebe.

Serie: Die Kunst des Vergebens

Nicht die Unverwundbarkeit, sondern die Liebesfähigkeit ist die Signatur christlicher Menschlichkeit. | Foto: Pixabay
Die Herausforderung, die eine Kränkung mit sich bringt, verweist auf eine grundlegende Aufgabe, die das Leben uns stellt. Das Leben nötigt uns zu lernen, mit Niederlagen und Verwundungen umzugehen und die eigene Verwundbarkeit, Schuld und Schwäche anzunehmen. | Foto: Pixabay
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Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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