Prominente Ordensleute im Gespräch
„Gott hat einfach die Stopp-Taste gedrückt“
Sie war viele Jahre leidenschaftliche Lehrerin und Schuldirektorin. Vor zwei Jahren erhielt Schwester Beatrix Mayrhofer die Diagnose Brustkrebs. Die Ordensfrau spricht über ihre Krebserkrankung, über ihr schon frühes intensives Naheverhältnis zur Kirche und über die Verantwortung von Frauen in der katholischen Welt.
Montagabend im Informations- und Begegnungszentrum der Ordensgemeinschaften „Quo Vadis?“ am Stephansplatz: Diesmal in der radio klassik Stephansdom-Reihe „Prominente Ordensleute im Gespräch“ zu Gast: Schwester Beatrix Mayrhofer. Und wie es kann bei einem Interview mit einer langjährigen Lehrerin und Schulleiterin anders sein, man kommt nicht um das Thema „Schule“ herum.
Sie waren viele Jahre lang Direktorin des Gymnasiums in der Friesgasse im 15. Wiener Bezirk. In Wien und Niederösterreich erleben wir gerade den Schulanfang. Was bewegt Sie dabei gerade in diesen Zeiten?
Es gibt einerseits die Freude der Kinder, dass es wieder losgeht. Endlich wieder Schule – was man sich ja noch vor wenigen Jahren gar nicht denken hätte können. Und gleichzeitig diese Sorge der Eltern und der Gesellschaft, wie sehr werden unsere Kinder als mögliche Virusträger für uns alle gefährlich, weil sie womöglich heute angesteckt nach Hause kommen, die Familie dadurch krank wird, weil ein Kind in die Schule geht. Es sind Gedanken in dieser Zeit der Pandemie, über die man wirklich auch nachdenken muss, was dies eigentlich bedeutet. Aber ganz konkret, was es für die Kolleginnen und Kollegen bedeutet, wenn in der Früh die Kinder in die Schule kommen. Das Testprogramm ist ein großer Dienst, den die Lehrerinnen und Lehrer in der elementaren Pädagogik und in den höheren Schulen für uns alle übernehmen, indem sie sich bemühen, den Kindern zu helfen, diese Anforderungen der Tests zu bewerkstelligen. Wir werden alle miteinander lernen, wie Kinder getestet werden können oder hoffentlich auch bald wie Kinder geschützt, das heißt geimpft werden können.
Wenn die Kinder nicht geimpft sind, ist es umso wichtiger, dass Erwachsene geimpft sind und auch das Lehrpersonal.
Ich hoffe zuversichtlich, dass unsere Kolleginnen und Kollegen geimpft sind, positiv der Impfung gegenüberstehen oder einfach gar nicht mehr drüber diskutieren. Das ist ein Dienst gerade für die, die in den pädagogischen Berufen tätig sind. Aber natürlich gibt es immer Einzelne, die auch ein Argument haben, warum sie das nicht wollen. Ich weiß von einer Kollegin, die es aus gesundheitlichen Gründen nicht kann und darf, die sehr darunter leidet. Es gibt schon die Gefahr, dass die Diskussion sehr verengt wird, dass wir uns hier konzentrieren auf „Selbstverständlich, alle werden geimpft und wer nicht geimpft ist, ist unfair in der Gesellschaft“.
Sie stammen aus Oberösterreich, genauer gesagt aus Wels, und kommen aus sehr bescheidenen Verhältnissen. Sie sind knapp nach Ende des Zweiten Weltkriegs geboren und Armut war für sie tagtäglich etwas, mit dem Sie und ihre Eltern und auch die Schwester konfrontiert waren.
Ich bin sehr arm aufgewachsen und sehr reich zugleich. Über beides habe ich erst viel später angefangen nachzudenken. Denn für uns Kinder war das ein Erlebnis. Ich bin aufgewachsen als Tochter eines Mesners. Wer kann denn das schon von sich sagen? Wer ist denn schon in der Kirche aufgewachsen? Für mich war es immer selbstverständlich, in die Messe zu gehen, Rosenkranz zu beten, die Muttergottes zu verehren, das war einfach unsere Lebenswelt. Ein großer Spaß war es, wenn wir zum Glockenläuten mitgehen durften. Wissen Sie, was es heißt, an einem Glockenseil zu hängen und elf Meter hinauf zu schwingen, wenn es die Mutter nicht weiß? Die Herz-Jesu-Kirche in Wels ist eine sehr große Kirche und meine Schwester und ich mussten regelmäßig Kirchenbänke abstauben und zwar ordentlich. Und es gab auch die Vereinbarung. Das Opfergeld, das hinuntergefallen ist, hat uns gehört. Das war unser Lohn fürs Abstauben. Darum haben wir auch sehr genau auf den Boden geschaut und zehn Groschen war ein Reichtum. Da konnte man beim Greißler ein „Stollwerk“ (Anm. Karamell-Zuckerl) kaufen.
Es gab in den vergangenen Jahren durchaus für Sie auch eine schwere Zeit. Ich meine jetzt nicht die Pandemie, sondern sie hatten eine schwere Erkrankung. Diese haben Sie Gott sei Dank bewältigt. Sie hatten Krebs. Wie können Sie heute auf diese Zeit blicken?
Ich antworte auf diese Frage mit großem Zögern. Mit großem Respekt vor allen, die auch von einer Krebskrankheit betroffen sind und die in einem großen Leid stehen. Für mich selber war rückblickend die Krebsdiagnose ein Geschenk. Gott hat in meinem Leben eine Stopp-Taste gedrückt und hat in dem intensiven betrieblichen Lauf, in dem ich drinnen gewesen bin, mir gesagt: „Halt, Beatrix, stopp!“ Dann bin ich krank gewesen, schwer krank. Aber eine wunderbare Ärztin hat es rechtzeitig erkannt, mich schnell operiert, nur wenige Chemotherapien sind mir geblieben, die ich durchstehen musste. Jede Einzelne ist ekelhaft genug, aber nichts im Vergleich zu denen, die viel längere Therapien machen müssen. Eines hat mir die Diagnose „Krebs“ gezeigt: Es ist nichts selbstverständlich in unserer Gesellschaft.
Was meinen Sie damit konkret?
Es ist nicht selbstverständlich, dass wir alles haben, was wir zum Leben brauchen. Es gibt so viel Not auf der Welt. Ich denke wirklich, unsere Gesellschaft ist krebskrank. Da fressen sich alle möglichen bösen Geschwüre durch die Systeme unserer Gesellschaft. Da verdirbt der Egoismus das Leben, da verdirbt die Gier, die jetzt wieder aufbricht. Nachdem wir glauben konnten, in der Pandemie hätten wir vielleicht doch gelernt, dass man mit weniger zufrieden sein kann. Plötzlich ist wieder dieses Bedürfnis da, alles zu erleben und einzukaufen. Und dann stellt man sich 20 Minuten vor einem Geschäft an, damit man, was weiß ich, einkaufen kann. Auf der anderen Seite gibt es verheerende Brände auf der Welt, verhungern Kinder. Die entsetzliche Entwicklung in Afghanistan ist nur die Feuerspitze einer großen Glut, die in unserer Gesellschaft auf vielfache Weise herrscht. Was heißt das für uns Christinnen und Christen? Wo steht das Wort Gottes in dieser Not? Trauen wir uns zu sagen: Gott macht es gut. Es geht mir gut, weil ich an einen guten Gott glauben darf. Weil mein Glaube hinschaut auf einen gütigen, heilenden Allmächtigen, dessen Macht in der Liebe besteht. Wie notwendig hat doch unsere Gesellschaft die Botschaft des Glaubens und wie notwendig hat diese Welt Menschen, die es zu sagen wagen, die nicht verstummen, auch dann, wenn sie großes Leid sehen, die Sprache suchen und das heilende Wort finden.
Es gibt immer mehr Stimmen innerhalb der Kirche, besonders Frauen, die aufstehen und sagen: Wir wollen mehr Verantwortung in der Kirche haben. Wo steht denn aus Ihrer Sicht die Frau in der Kirche gegenwärtig und wohin sollte die Reise gehen?
Die Reise muss dort hingehen, dass das neue Volk Gottes, Männer und Frauen, gemeinsam Jesus folgen und mit ihm das Evangelium weitertragen. Ich sage immer mit einer gewissen Gelassenheit: Außerhalb des Presbyteriums sind die Frauen immer in der Mehrheit in der Kirche und diese Mehrheit erhebt die Stimme. Wir Frauen reden mit, wir Frauen melden uns zu Wort und es ist ja nicht so, dass es keine Verantwortungsträgerinnen in der katholischen Kirche gibt. Ich sage immer: Ich setze mich nicht ein für die Weihe der Frauen. Ich will dort kämpfen, wo Möglichkeiten der Veränderung sind. Irgendwann wird sich eine Entwicklung ergeben, in der Frauen zu Diakoninnen zugelassen werden. Aber es stellt sich natürlich die Frage nach der Verantwortung der Frauen selber in der Kirche. Aber da ist mir wichtig: Wir Frauen sind nicht die Lückenbüßer. Das ist für mich ein wirklich zentraler Punkt. Nicht dann, wenn es nicht mehr weitergeht. Dann lassen wir die Frauen ... Sondern wir Frauen und Männer als Getaufte in dieser Kirche haben gemeinsam Verantwortung. Es gibt aus der Heiligen Schrift heraus kein Argument, dass Frauen nicht auch Priester sein könnten. Man kann nur den Zwölfer-Kreis argumentieren, die Männer, die Jesus gerufen hat, weil er das neue Israel darstellen wollte, die zwölf Stämme. Aber wenn man sich den Kreis Jesu anschaut, mit denen er unterwegs war, da waren nicht die einen und die anderen und die Frauen, die ihm folgten. Ja, wer ist denn bei ihm geblieben bis zum Schluss? Wer ist denn unter dem Kreuz geblieben? Wie viele Männer waren denn noch dort? Also in den entscheidenden Stunden der Kirche stehen die Frauen da. Das wird sich immer stärker auch in der Zulassung von Frauen zu verschiedenen Aufgaben und Diensten darstellen. Aber ich glaube, meine katholische Kirche braucht dazu noch ein bisschen Zeit.
Autor:Stefan Hauser aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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