Weihnachtsinterview mit Kardinal Schönborn
„Es gibt unendlich viel Gutes“
Wie geht es unserem Erzbischof? Wie blickt er auf das abgelaufene Jahr mit der Herausforderung der Corona-Pandemie? Und was wünscht er sich für die Zukunft der Erzdiözese Wien? Darauf gibt Kardinal Christoph Schönborn Antwort im großen SONNTAG-Weihnachtsinterview.
Wir führen das Gespräch mit Abstand. Schauplatz ist der Konsistorialsaal im Wiener Erzbischöflichen Palais. Kardinal Schönborn wirkt erholt. Der Lockdown brachte auch für ihn weniger Termine mit sich. Das tat ihm offensichtlich gut.
Herr Kardinal, wie geht es Ihnen?
KARDINAL CHRISTOPH SCHÖNBORN: Kurz und bündig: gut. Ich hatte gesundheitlich ein schwieriges Jahr, aber es gibt Kranke, die sehr viel schwierigere Situationen als ich zu durchleben haben. Ich bin dankbar, dass ich beides, Krebsoperation und Lungeninfarkt, gut überstanden habe und mich wieder wirklich gesund fühle.
Das Jahr war geprägt von der Corona-Pandemie. Wie blicken Sie darauf zurück?
Wir sind überhaupt nicht vorbereitet gewesen auf eine solche Situation. Erst die Globalisierung hat die Ausbreitung der Krankheit in dieser Dimension möglich gemacht. Die Pest war immer regional, die Grippewellen waren regional, auch wenn sie große Regionen betroffen haben. Aber dass sich eine Epidemie ausweitet zu einer so umfassenden Pandemie, ist nur möglich geworden durch die radikale Globalisierung, in der wir leben. Und damit ist einerseits die Gefahr der Globalisierung angesprochen, aber auch ihre Chance.
Welche Chance ist das?
Es wird weltweit geforscht, und das global vernetzt. Es gibt einen Austausch über die Maßnahmen gegen die Covid-Pandemie. Wir erleben sehr direkt, dass wir auf diesem Planeten alle zusammengehören. Die Enzyklika „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus kommt zur richtigen Zeit mit der Botschaft: Wir sind alle Geschwister. One family, eine Weltfamilie, in der es wohlhabendere Familienmitglieder gibt und weniger wohlhabende, mehr Bedrängte und weniger Bedrängte. Aber es ist eine Familie.
Was bedeutet das für die katholische Kirche?
Es ist die sehr nüchterne Erfahrung, dass die Kirche keine Sonderwelt ist. Jesus hat gesagt: Ihr seid nicht von der Welt, aber ihr seid in der Welt. Natürlich ist die Zugehörigkeit zum Reich Gottes eine zu einer über die Welt hinausgehenden Wirklichkeit. Aber diese ist in der Welt. Das heißt, die Kirche ist genauso ein Teil dieser Welt wie alle anderen Religionen. Deshalb kann ich jene unter uns nicht verstehen, die für die Kirche in der Pandemie irgendwie einen Sonderstatus beanspruchen. Nein, der Lockdown gilt für uns alle. Das ist nun einmal so. Das hat überhaupt nichts mit Religionsfeindlichkeit zu tun, sondern mit der nüchternen Solidarität. Wir müssen aufeinander schauen. Wir müssen das überall tun, zu Hause, in der Kirche und am Arbeitsplatz.
Es betrifft uns alle.
Wie sehen Sie die Einschränkungen im Glaubensleben?
Wir mussten im ersten Lockdown und jetzt wieder eine Zeitlang auf öffentliche Gottesdienste verzichten. Das Jammern darüber empört mich. Ich sage es wirklich, es empört mich, wenn ich daran denke, dass in den Flüchtlingslagern der Welt Millionen Menschen leben. Menschen, die Monate und Jahre hinaus von ihrer Religionsausübung abgehalten sind und keinen Trost eines gemeinsamen Gottesdienstes haben. Wir müssen ein paar Wochen verzichten auf öffentliche Gottesdienste. Es hat immer Gottesdienste gegeben, es hat immer offene Kirchen gegeben. Wir waren nicht daran gehindert, über Radio, Fernsehen, Live-Streams an Gottesdiensten teilzunehmen. Die Sakramentenspendung ist eine Zeitlang nur in beschränkter Weise möglich. Unzählige Menschen auf der Welt müssen oft jahrelang auf die Sakramente verzichten, aber sie können deswegen trotzdem ihre Beziehung zu Gott, ihre Nachfolge Christi leben. Deshalb halte ich das Jammern bei uns schon für den Ausdruck einer Wohlstandsgesellschaft, auch kirchlich, die nicht bedenkt, was es heißt, Christ zu sein unter weit schwereren Lebensbedingungen, als es die unseren sind.
Wie systemrelevant ist die Kirche in einem Lockdown?
In Österreich in einer sehr positiven Weise. Alle Maßnahmen, die die Bundesregierung beschlossen hat, sind immer auch mit allen Kirchen und Religionsgemeinschaften besprochen worden. Es ist immer so gewesen, dass die Religionsfreiheit und die Selbstbestimmung der inneren Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften respektiert wurden. Wir haben in Absprache mit der Regierung unsere Maßnahmen so gesetzt, dass wir sagen können, wir gehen verantwortungsvoll mit den Herausforderungen um.
Stefan Hauser und Kardinal Christoph Schönborn wahren gesunde Distanz.
Am Allerseelentag hat das Attentat in Wien bestürzt. Wohin hat es gesellschaftlich geführt?
Großes Lob hier für den Einsatz unserer Exekutive. Es war auch ein Beweis großer Solidarität. Es gibt endlos viele Geschichten, wie in dieser Nacht Menschen geholfen haben. Und es zeigte auch, wie selbstverständlich die Religionen in dieser Situation zusammengestanden sind. Ich erinnere an den Abendgottesdienst am nächsten Tag im Stephansdom, wo sich alle Religionsgemeinschaften beteiligt und gemeinsam gebetet haben. Oder das Lichtermeer der Kerzen an den tragischen Schauplätzen in Wiens Innenstadt. Das sind ganz starke Zeichen. Niemand hat gesagt, so, jetzt müssen wir dort Kerzen aufstellen, das passierte spontan. Es gibt unendlich viel Gutes in unserer Gesellschaft. Viel mehr als Böses, und das ist für mich die schöne Botschaft dieses schrecklichen Ereignisses.
Sie haben aufgrund Ihres Alters Ihren Rücktritt eingereicht. Was pfeifen denn die Spatzen in Rom bezüglich Ihrer Nachfolge von den Dächern?
Ich weiß nicht, was Spatzen in Rom pfeifen. Ich weiß nur, dass ich sehr dankbar bin, nach 22 Jahren den Vorsitz der Bischofskonferenz abgegeben zu haben. Mit meinem 75. Geburtstag war es Zeit dafür. Corona-bedingt verschob es sich um ein paar Monate. Ich bin sehr dankbar, dass der Erzbischof von Salzburg, Franz Lackner, das jetzt sehr gut weiterführt. So wird es auch mit einem Nachfolger für das Bischofsamt in Wien sein. Ich höre nichts aus Rom. Ich frage auch nicht nach. Nun liegt es am Papst zu entscheiden.
Die Erzdiözese Wien ist in einem Reformprozess. Gibt es Dinge, die Sie noch gerne erledigt hätten?
Das gibt’s nicht im Leben, dass man sagen kann, ich habe jetzt alles abgeschlossen. Es gibt Baustellen, die Dauerbaustellen sind, wie unser eigenes Leben. Eine davon ist das Lernen. Ich konnte mit 50 noch nicht lernen, was es heißt 75 zu sein. Das muss man einfach lernen, wenn es da ist. Wir sind in einem Entwicklungsprozess in der Erzdiözese Wien, dessen erster Punkt „Mission First“ und Jüngerschaft Jesu ist. Und darauf folgend die entsprechenden Strukturreformen. Wir sind mit dem dritten Punkt sehr beschäftigt. Manchmal frage ich mich, ob uns die ersten beiden Punkte genügend präsent sind. Die große Baustelle ist die Mission. Nicht nur angesichts der vielen Kirchenaustritte, die zumindest ein Abschied von der institutionellen Zugehörigkeit zur Kirche sind, für viele aber nicht ein grundsätzlicher Abschied vom Glauben, von Religion. Aber wie steht es mit dem bewussten Gewinnen von Menschen für Christus? Das ist ja der eigentliche Sinn von Mission. Wieso ist das Paulus gelungen? Wie kann es uns gelingen? Das sind die großen Fragen, die sicher nicht abgeschlossen sind und auch nie abgeschlossen sein werden.
Sind Sie mit sich, was die Erzdiözese Wien anlangt, im Reinen?
Ich kann nur sagen, bei allen Schwächen, die ich menschlich habe, und sicher viele Defizite in meiner Amtsführung, bin ich schon unglaublich dankbar über das, was ich in diesen 25 Jahren als Erzbischof erleben und sehen durfte. Es war sehr viel Schwieriges dabei, aber die Dankbarkeit überwiegt bei weitem. Für mich die stärkste Erfahrung dieser ganzen Jahre ist: Er macht es, Er fügt, Er wirkt. Das ist unvergleichlich stärker als alles andere. Nachdem Er das auch in Zukunft machen wird, bin ich ganz zuversichtlich.
Welche Botschaft haben Sie für die Menschen zu Weihnachten?
Ich wünsche allen ein gesegnetes Weihnachtsfest in dieser doch sehr anderen Situation, in der wir heuer das Weihnachtsfest feiern, unter den Bedingungen der Pandemie. Es wird in vieler Hinsicht einfacher, stiller, wohl auch bescheidener sein. Es möge nicht weniger froh und glücklich sein. Und uns das zusagen, was in dieser Nacht die Engel den Hirten gesagt haben: Friede auf Erden, Friede unter uns, in uns selber, in unserem Land und unter allen Völkern.
Autor:Stefan Hauser aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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