Geschwister in der Bibel
Von Konkurrenz und Versöhnung

Aaron, Mose und Miriam: Eine nicht immer spannungsfreie Geschwisterbeziehung. | Foto: Irene Unger
  • Aaron, Mose und Miriam: Eine nicht immer spannungsfreie Geschwisterbeziehung.
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Sie tragen bekannte Namen, die Geschwister in der Bibel: Kain und Abel, Esau und Jakob, Josef und seine Brüder im Alten Testament oder Marta, Maria und Lazarus im Neuen Testament. Elisabeth Birnbaum, die Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks, erläutert im SONNTAG-Interview das Verhältnis der Geschwister zueinander. Teil 2 der Hinführung zum „Bibel-Pfad“ am 30. September in Wien.

Konkurrenz, oft mit blutigem Ausgang, prägt viele Geschwisterbeziehungen im Alten Testament, wenngleich auch spätere Versöhnung bei vielen konfliktreichen Geschwisterpaaren möglich ist. Mit Elisabeth Birnbaum, der Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks, macht der SONNTAG einen Streifzug durch das Alte und Neue Testament.

Das wohl berühmteste Brüderpaar des Alten Testaments sind Kain und Abel (Genesis, Kapitel 4). Wie lässt sich deren Verhältnis zueinander beschreiben?
ELISABETH BIRNBAUM: Die beiden Brüder sind, so wie viele Brüder in der Bibel, von Konkurrenz zueinander gezeichnet. Schon bei Kain und Abel geht es darum, wer den Vorzug von Gott erhält: Wer kommt besser bei Gott an? Schon hier sehen wir, dass diese Konkurrenz sehr oft gewalttätige Folgen hat. Dies zieht sich dann leider wie ein roter Faden durch sehr viele Erzählungen über Brüder-Paare in der Genesis, aber auch in den Geschichtsbüchern. Es wird nicht ausdrücklich gesagt, warum Gott das Opfer des Kain nicht ansieht. Der Bibel geht es hier um dieses sehr oft zu beobachtende Phänomen, dass es dem einen irgendwie besser geht, dass der eine sich von Gott mehr wohlwollend angenommen sieht als der andere, und was dann daraus folgt. Und daraus folgt dann leider bei Kain und Abel eben Totschlag. Auch dies finden wir dann später in anderen Erzählungen wieder.

Ein weiteres berühmtes Brüderpaar sind die Zwillinge Esau und Jakob (Genesis, Kapitel 25–33) ...
Die sind ein sehr spannendes Paar. Zunächst geht es einmal darum, dass es einen älteren und einen jüngeren gibt, obwohl es sich um Zwillinge handelt. Wir finden auch hier dieses Motiv, dass, wie bei Kain und Abel, auch hier der jüngere, also Jakob, im Grunde den Vorzug erhält. Er kann den Bruder überlisten, er wird von der Mutter geliebt und kann den Erstgeburt-Segen erhalten. Dieser Konflikt, der dazu führt, dass Jakob das Land verlassen muss, wird dann später gelöst. Jakob kommt nach Jahren zurück, versöhnt sich mit Esau, und in weiterer Folge leben sie zwar nicht direkt nebeneinander, aber sie leben gleichsam jeder für sich, zumindest nicht mehr im Streit. Das ist der positive Ausgang gegenüber Kain und Abel, wie man mit einem Konflikt auch umgehen kann. Aber natürlich geht es auch hier um Konkurrenz. Es geht darum, dass beide um die Gunst des Vaters, um diesen Erstgeburt-Segen ringen, und dass Jakob, der jüngere, den Sieg davonträgt.

Zwei Schwestern fallen im Buch Genesis auf, Lea und Rahel (Genesis, Kapitel 29–35) ...
Auch bei diesen beiden Schwestern herrscht wieder eine Konkurrenzsituation. Jakob liebt auch hier wieder die jüngere, Rahel, und nicht die ältere, Lea. Er hat aber beide als Frauen. Die beiden treten in Konkurrenz, wer sozusagen mehr Kinder gebiert. Wobei man das nicht nur als einen Gebär-Wettstreit sehen darf, sondern im Grunde wird in diesen Geschichten Volksgeschichte erzählt. Es geht durchaus darum: Welche Frau kann sozusagen mehr Stämme „erzeugen“ und welche der beiden Frauen hat in weiterer Folge mehr Gewicht gegenüber der anderen. Auch hier gilt: Rahel, die jüngere, kann weniger Kinder, weniger Söhne dem Jakob schenken, wird aber von Jakob mehr geliebt. Auch die beiden Söhne von Rahel, Josef und Benjamin, werden in weiterer Folge von Jakob mehr geliebt als die anderen Söhne.

Ist nicht auch die Beziehung zwischen Josef und seinen Brüdern voller Dramatik (Genesis, Kapitel 37–50)?

Ja. Voll der Dramatik und voll der Konkurrenz. Auch hier wieder: Josef wird von seinen Brüdern gehasst, weil er vom Vater bevorzugt wird. Das ist ein durchgängiges Motiv, leider nicht nur in der Bibel. In dieser Erzählung kommt Josef fast um: Die Brüder lassen ihn in der Zisterne zurück und er wird dann nach Ägypten verkauft und macht dort große Karriere. Am Schluss gibt es auch hier eine Versöhnung: Alle Brüder kommen nach Ägypten mit dem Vater und leben dort. Josef rettet sie sozusagen vor der Hungersnot, die in ihrem eigenen Land Kanaan herrscht. Diese Konfliktsituation, die auch ein Stück weit das Verhältnis der zwölf Stämme Israels zueinander abbildet, wird Gott sei Dank auch hier gut und versöhnt gelöst.

Ein weiteres, allerdings wenig beachtetes Zwillingspaar in der Bibel sind Perez und Serach, die Söhne Judas (Genesis, Kapitel 38). Perez wird sogar zum Stammvater Davids und findet sich mit seiner Mutter im Stammbaum Jesu. Wie ist das zu beurteilen?
In den Stammbaum Jesu ist Perez vor allem wegen der Mutter, wegen Tamar, gekommen, die als Nicht-Israelitin galt. Wie sie Mutter dieser Zwillinge geworden ist, das ist eine sehr spannende Erzählung, denn sie hat auf die sogenannte Levirat-Ehe gepocht. Sie hatte demnach ein Anrecht, dass der Bruder ihres verstorbenen Mannes mit ihr Kinder zeugt. Das hat aber der Vater Juda verhindert. Er wollte nicht, dass alle seine Söhne sterben. Er hat sich davor gefürchtet und Tamar hat es dann durch eine List geschafft, dass ihr eigener Schwiegervater selbst zum Vater dieser Zwillinge geworden ist. Einer von diesem spannenden Zwillingspaar, Perez, hat es dann in den Stammbaum Jesu (Matthäusevangelium, Kapitel 1) geschafft, gemeinsam mit seiner Mutter Tamar. Was der Evangelist Matthäus damit genau sagen wollte, darüber können wir streiten. Aber dass auch solche eher ungewöhnlichen Beziehungsformen im Stammbaum Jesu abgebildet sind, das ist doch sehr auffällig.

Nicht ganz spannungsfrei ist auch die Beziehung zwischen Mose, Aaron und Miriam (Bücher Exodus bis Numeri) ...
Am Anfang ist Aaron mit seinem Bruder Mose sehr eng verbunden. Die beiden führen gemeinsam die Verhandlungen mit dem Pharao in Ägypten. Mose kann nicht so gut sprechen, Aaron ist gewissermaßen sein Sprachrohr und beide arbeiten eng zusammen. Beim Exodus darf auch ihre Schwester Miriam genauso wie Mose ein prophetisches Lied singen. Danach wird die Beziehung aber schlechter, weil sich Miriam und Aaron in der Wüste zu den Aufständischen gesellen, und die beiden fallen schnell in Ungnade. Am Anfang sind alle drei ein Herz und eine Seele, im Lauf dieser Wüstenwanderung gibt es dann immer mehr Konflikte.

Ein bemerkenswertes Brüderpaar sind auch Abschalom und Amnon. Beide sind Söhne Davids, der viele Söhne mit vielen Frauen hatte (Zweites Buch Samuel) ...
In dieser Erzählung geht es um nicht weniger als um die Thronfolge. Und gerade die ältesten Brüder schließen sich gegenseitig aus dieser Thronfolge aus. Amnon, indem er seine eigene Halb-Schwester vergewaltigt. Und Abschalom, der diese Tat rächt und Amnon umbringt, zettelt wiederum gegen seinen eigenen Vater einen Aufruhr an und wird dann ermordet. Letztlich gibt es auch bei Salomo einen zweiten Bruder, Adonija, gegen den er sich erst einmal durchsetzen muss, um die Thronfolge zu erringen. Da zieht sich diese Konkurrenz-situation weiter.

Machen wir einen Blick ins Neue Testament. Dort finden wir drei berühmte Geschwister: Marta, Maria und Lazarus ...
Marta und Maria (Lukasevangelium, Kapitel 10) sind auch wieder mit ein bisschen Konkurrenzkampf verbunden. In dieser Erzählung ist Jesus bei ihnen zu Gast. Marta sorgt sich um das leibliche Wohl von Jesus, während Maria zu seinen Füßen sitzt und ihm zuhört. Marta beschwert sich, dass Maria zu den Füßen Jesu sitzen darf und sie, Marta, allein die ganze Aufgabe der Versorgung habe. Da gibt es ein bisschen Konkurrenz, noch dazu, wenn Jesus sagt, dass Maria „den guten Teil“ erwählt habe. Als Lazarus stirbt, die Erzählung findet sich im Johannesevangelium, Kapitel 11, da sieht man wieder den engen Zusammenhalt der Geschwister. Die Schwestern trauern beide um ihren toten Bruder. Jesus kommt und macht Lazarus wieder lebendig. Da finden wir sehr viel an Zusammenhalt.

Auch im Gleichnis Jesu vom barmherzigen Vater (Lukasevangelium, Kapitel 15) kommen zwei Söhne vor. Wie verhalten sich diese beiden Söhne?
Dem jüngeren der Brüder wird sein Fehlverhalten nachgesehen. Im Grunde geht es da in erster Linie nicht um eine Vater-Sohn-Beziehung, sondern noch viel mehr um die Beziehung dieser zwei Geschwister zueinander. Wo genau diese Grundfrage gestellt wird: Was geschieht, wenn Gott oder ein Vater seine beiden Söhne gleich liebt und auch gleich behandelt, obwohl der eine sich immer gut verhalten hat und der andere nicht. Und ob dann der, der sich immer gut verhalten hat, sich mitfreuen kann, dass der Vater so barmherzig ist, oder ob er verärgert ist, weil er im Grunde nie etwas falsch gemacht hat. Das ist eigentlich das Hauptthema aller dieser Geschwister-Beziehungen in der Bibel – diese Konkurrenz: Schaffe ich es auszuhalten, dass mich der Vater nicht mehr liebt als andere, obwohl ich braver und frömmer und besser bin

Autor:

Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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