Religionsunterricht in der Corona-Krise
Nähe trotz Distanz

Eine Herausforderung auch für Lehrerinnen und Lehrern, denen seit dem Shutdown eine ganz besondere Aufgabe zukommt, nämlich die Kinder und Jugendlichen nicht nur zu unterrichten, sondern vor allem sie zu begleiten. Gefragt also: Nicht nur fachliche Kompetenz, sondern auch Empathie, Verständnis und die Bereitschaft zuzuhören, Sorgen anzusprechen, Ängsten entgegen zu treten.  | Foto: Pixabay
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  • Eine Herausforderung auch für Lehrerinnen und Lehrern, denen seit dem Shutdown eine ganz besondere Aufgabe zukommt, nämlich die Kinder und Jugendlichen nicht nur zu unterrichten, sondern vor allem sie zu begleiten. Gefragt also: Nicht nur fachliche Kompetenz, sondern auch Empathie, Verständnis und die Bereitschaft zuzuhören, Sorgen anzusprechen, Ängsten entgegen zu treten.
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Religion und Glaube als lebensrelevant und als lebensdienlich erfahrbar zu machen, das ist die Herausforderung, der sich jede Religionslehrerin und jeder Religionslehrer täglich stellt. Erst recht in Zeiten wie diesen. Und egal ob im Homeschooling oder im – wieder eröffneten – Klassenzimmer.

Ein Gespräch mit Andrea Pinz, Leiterin des Erzbischöflichen Amtes für Schule und Bildung, über die Herausforderungen der vergangenen, aber auch der kommenden Wochen.

Ab dem 18. Mai ist es also soweit – gut zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler gehen dann wieder in die Schule. Klingt im ersten Moment nach Normalität. Aber nur im ersten Moment. Denn von Normalität sind Kinder, Jugendliche und Lehrer Lichtjahre entfernt: Ein Mund-Nasen-Schutz im Schulgebäude. Desinfektionsschleusen bei den Schultoren. Markierungen auf dem Boden oder den Wänden in den Eingangsbereichen, die den mittlerweile berühmt berüchtigten „Baby-Elefanten-Abstand“ – einen Meter – sichtbar machen.

In den Klassen sitzt jeder und jede an einem eigenen Tisch. Das ist nur möglich, weil die Klassen und die verbleibende Zeit bis zu den Sommerferien ab Juli geteilt wurden – Teil A hat andere Schultage als Teil B.

Eine Herausforderung für Schülerinnen und Schüler. Und eine Herausforderung für Lehrerinnen und Lehrern, denen seit dem Shutdown eine ganz besondere Aufgabe zukommt, nämlich die Kinder und Jugendlichen nicht nur zu unterrichten, sondern vor allem sie zu begleiten.

Gefragt also: Nicht nur fachliche Kompetenz, sondern auch Empathie, Verständnis und die Bereitschaft zuzuhören, Sorgen anzusprechen, Ängsten entgegen zu treten.

Auf der Homepage des Schulamtes geben Religionslehrerinnen und -lehrer seit einigen Wochen Einblicke in die Herausforderungen, die die Corona-Krise für sie gebracht hat. „Es ist wichtig, dass wir im Alltag der Kinder weiter Platz haben, nicht um ein Soll zu erfüllen, sondern um ermutigende Lebensbegleitung anzubieten“ schreibt eine Lehrerin da. „Man spürt, wie sehr die Kinder in dieser Zeit Anerkennung brauchen“, so ein Religionslehrer.

Auch von der Aufgabe der Religionslehrer, in diesen Zeiten „Seelsorger/in für die Kids“ zu sein, Hoffnung zu geben, Trost zu spenden, zu ermutigen, da zu sein. So wie wir es im Unterricht auch wären“, liest man da.

Dialog auf Distanz

„Die wichtigste Erfahrung der Religionslehrerinnen und –lehrer in den vergangenen Wochen war wohl, dass das Bereitstellen von Inhalten in unterschiedlichen methodischen Settings – vom ausgedruckten Arbeitspaket, das in der Schule abgeholt wird, über didaktisch ausgefeilte Religionsstunden als Videokonferenzen bis zu digitalen Schulbüchern – nicht ausreicht“, sagt Andrea Pinz, Leiterin des Erzbischöflichen Amtes für Schule und Bildung: „Bald ist klargeworden, dass soziale, pastorale und spirituelle Aspekte in der kontinuierlichen Betreuung der Schülerinnen und Schüler in den Vordergrund rücken müssen.“

Manche Religionslehrer unterrichten bis zu zehn Klassen. „Das heißt, sie stehen oft in Verbindung mit mehr als 200 jungen Menschen.“

In den vergangenen Wochen habe dieses „In-Verbindung-Stehen“ bedeutet: zu telefonieren, über soziale Medien Kontakt zu halten, digitale Lerntools einzusetzen oder auch handgeschriebene Briefe zu verschicken. „Das geht zeitlich und kräftemäßig schon an die Grenzen“, sagt Andrea Pinz: „Unsere Lehrerinnen und Lehrer haben Großartiges geleistet und bewiesen, dass es auch in der Zeit des physischen Abstands möglich ist, auf individuelle Bedürfnisse ganzheitlich einzugehen.

Dass unsere Religionslehrerinnen und -lehrer in dieser Zeit dieses hohe Maß an Eigenverantwortung und Kreativität bewiesen haben, macht mich sehr stolz.“ Eine Mutter habe ihr geschrieben: „Mein dreizehnjähriger Sohn bekommt jeden Montag seinen gesamten Wochenplan. Den Religionsteil macht er immer als erstes, denn die Aufgabenstellungen berühren und stärken ihn, vermitteln ihm das Gefühl: ,Das ist mir gut gelungen.‘ So ist eine wichtige Grundlage für alles andere geschaffen.“

Der Religionsunterricht lädt in der Coronakrise ein, „in der Distanz Nähe zu erfahren und so in einen Dialog über den Glauben zu treten“ ist Andrea Pinz überzeugt: „Und die Lehrerinnen und Lehrer vermitteln dieses Bewusstsein des biblischen ,Ich-bin-da für dich.‘.“

Wie kann es gelingen, dass das, was miteinander erarbeitet, besprochen, bedacht und gefeiert wird, für das Leben der jungen Menschen bedeutsam und für ihren persönlichen Weg förderlich wird, das sei ja immer die große Frage im Religionsunterricht. Natürlich auch jetzt während der Corona-Krise, wo das Gemeinschaftsleben heruntergefahren wurde. „Wir sind immer aufgefangen, beschützt und geliebt, vor jeder Leistung, vor jeder Beurteilung – das ist es, was Religionsunterricht da vermitteln kann“, sagt Andrea Pinz: „Und Religionsunterricht ermutigt gerade jetzt die SchülerInnen, sich etwas zuzutrauen, keine Angst zu haben und auch in schwierigen Situationen unentdeckte Perspektiven zu erkennen.“

Schule: Begegnungs- und Beziehungsraum

Das Schulamt selbst sei während der vergangenen Wochen einmal mehr „Drehscheibe zwischen Behörden, Bildungsinstitutionen, den Diözesen und unseren PädagogInnen gewesen. Gleich in den ersten Tagen der Krise hat sich gezeigt, dass die internen und externen Netzwerke und Beziehungen, in denen wir als kirchliches Amt stehen, den wichtigsten Faktor darstellen, um die neue Situation zu bewältigen. Das gilt für den Religionsunterricht, die katholischen Privatschulen und die Kirchlichen Pädagogischen Hochschulen“, sagt Andrea Pinz.

Jeden Freitag gäbe es ein E-Mail an alle 1600 Religionslehrerinnen und -lehrer. „Damit werden individuell nach Schulart Materialien zum Distance Learning, spirituelle Elemente für die Kommunikation mit den SchülerInnen und geistliche Impulse, die beitragen persönlich gut mit den Herausforderungen zurecht zu kommen, verschickt“, sagt Andrea Pinz: „So und durch zahlreiche Telefonate konnten wir mit allen Lehrerinnen und Lehrer in Kontakt bleiben.

Mit meinem Team im Schulamt stehe ich in fast täglichem Austausch und die Videokonferenzen mit unseren Ansprechpartnern in den Bildungsdirektionen und Ministerien eröffnen eine neue Qualität der Kooperation. Am liebsten ist mir aber eindeutig die persönliche und unmittelbare Begegnung und die vermisse ich sehr.“
Den Pädagogen gehe es da offensichtlich nicht anders, denn die Stimmung sei „geradezu euphorisch“ gewesen, als Minister Heinz Faßmann den Stufenplan für die Rückkehr in die Schulen bekanntgegeben hat.

In den kommenden Wochen werde der Religionsunterricht stundenplanmäßig wie alle anderen Gegenstände stattfinden oder, wo er am Nachmittag gewesen wäre, weiter im Distance Learning angeboten.

Der unmittelbare „Begegnungs- und Beziehungsraum Schule“ öffne sich damit nun wieder, so Andrea Pinz: „Die Klassengemeinschaft ist ja wesentlich mehr als das gemeinsame Lernen. Da geht es um das Teilen der täglichen Freuden, das Streiten und Versöhnen, gemeinsames Wachsen, das einander Erzählen und das gegenseitige Mittragen von großem und kleinem Leid. Und um geordnete Abläufe, Stabilität und Sicherheit, die das Gefüge von Schule vermittelt.

Die große Herausforderung der kommenden Wochen wird deshalb sein, die große Sehnsucht nach dem Zusammenkommen verantwortungsbewusst mit den erforderlichen hygienischen Maßnahmen zu verbinden.“

Autor:

Andrea Harringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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