Expertise von Franz Fischler
Ist eine Welt ohne Hunger möglich?

Franz Fischler: „Die Enzyklika Laudato si´ ist ein wichtiger Aufruf von Papst Franziskus ...“
 | Foto: Gilbert Novy/KURIER/picturedesk.com
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Der Anstieg des weltweiten Hungers hat vor allem mit Krieg und Terror zu tun. Im Gespräch mit dem SONNTAG erläutert der langjährige EU-Kommissar für Landwirtschaft, Franz Fischler, die Wurzeln des Hungers. Und warum das kirchlich forcierte Brunnen-Graben in den Ländern des Südens so wichtig ist.

Er ist so etwas wie der „Mister Agrarpolitik“ in Österreich und in Europa: der langjährige österreichische Landwirtschaftsminister und spätere EU-Kommissar für Landwirtschaft, Franz Fischler. Im Gespräch mit dem SONNTAG erläutert Fischler die Ursachen des Hungers in der Welt und welch Großartiges die Pfarren und kirchlichen Initiativen in den Ländern des Südens leisten. Fischler spricht am 23. März zum Thema „Eine Welt frei von Hunger?“ bei den „Theologischen Kursen“ in Wien.

In den nachhaltigen UNO-Entwicklungszielen (SDGs) wird die Ausrottung des Hungers bis zum Jahr 2030 als eines der zentralen Ziele genannt. Ist das realistisch?
FRANZ FISCHLER: Das ist überhaupt nicht realistisch, nachdem die Zahl der Hungernden weltweit jetzt schon seit mehreren Jahren wieder ansteigt. Und man darf nicht vergessen: Wir schreiben das Jahr 2022, wir haben nur noch acht Jahre Zeit. Man kann den Hunger nur dann endgültig ausrotten, wenn man die wichtigsten Ursachen des Hungers ausrotten kann.

Was sind denn die wichtigsten Ursachen für den Hunger?
Bei zwei Drittel der zur Zeit Hungernden ist der Hunger auf militärische Konflikte und Terrorismus zurückzuführen. Bei einem Viertel der Fälle sind es ökonomische Schocks. Also da zählen jetzt natürlich auch Corona bzw. die wirtschaftlichen Folgen von Corona dazu und für ungefähr nur 10 Prozent der Hungernden sind Witterungsbedingungen verantwortlich, also Wetterkatastrophen und Unregelmäßigkeiten, die zu einem guten Teil durch den Klimawandel bedingt sind.

Wie lässt sich der weltweite Nahrungs- und Wassermangel bekämpfen? Kann man ihn überhaupt bekämpfen?
Der Lebensmittelmangel ist nicht eine Frage der Produktion, sondern eine Frage des Zugangs zu Lebensmitteln. Und der Zugang zu Lebensmitteln wird unterbrochen, wenn es zu kriegerischen Auseinandersetzungen oder wenn es zu terroristischen Akten kommt. Die zweite Frage ist die Lebensmittelverteilung, das heißt, dass innerhalb eines Landes zum Beispiel die Armen keine Chance haben, an ausreichend Lebensmittel heranzukommen. Aber die Produktion trägt nur in einem sehr geringen Ausmaß dazu bei.

„Der meiste Hunger ist auf bestimmte Staaten in Asien und Afrika konzentriert ...“

Wie kann man dann der armen Bevölkerung Zugang zu gesunden Lebensmitteln und zu reinem Trinkwasser verschaffen?
Hinter dieser Frage verbirgt sich die ganze weltweite Agrarpolitik. Man muss unterscheiden: Wo der Zugang zu Lebensmitteln fehlt, ist nach den Ursachen zu fragen. Darüber haben wir gerade gesprochen, Kriege, Wetterkatastrophen. Nach wie vor ist es aber so, dass der Hunger sehr stark auf gewisse Staaten in Afrika und Asien konzentriert ist. Die meisten der dort hungernden Menschen sind tragischerweise Bauern. Das würde man zunächst einmal gar nicht meinen. Aber das ist so. Und zwar deswegen, weil wir mehrere hundert Millionen sogenannte Subsistenz-Bauern auf der Welt haben. Das heißt: Bauern, die überhaupt nicht für den Markt produzieren, sondern nur für die Versorgung des eigenen Haushaltes. Und diese Art von Versorgung ist natürlich am stärksten störungsanfällig. Es ist ja auch nicht so, dass man, wie manche glauben, den Hunger dadurch bekämpfen kann, dass wir weniger Lebensmittel wegwerfen. In der Hungerbekämpfung ist ein großer Unterschied zwischen den Entwicklungsländern, den Schwellenländern und den Industriestaaten zu machen.

Worin besteht dieser Unterschied?
Bei uns werden Lebensmittel weggeworfen, weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist oder weil schon von vornherein bei der Verarbeitung der Lebensmittel viel ausgesondert und weggeworfen wird. In den Entwicklungsländern ist es in erster Linie das Problem, dass bei der Ernte große Verluste entstehen, indem die Erntemethoden so schlecht sind, dass das, was auf den Feldern gewachsen ist, nicht zur Gänze abgeerntet werden kann. Oder es sind Lagerverluste, weil die Lebensmittel in den Lagern verrotten. Das sind die zwei größten Faktoren. Es sind also meist nicht-agrarische Faktoren, die schuld sind, dass es so großen Hunger auf der Welt gibt.

Warum werden bei uns ca. 30 Prozent der Nahrungsmittel Jahr für Jahr vernichtet?
Im Wesentlichen sind die Hauptursachen unsere Vorschriften, nämlich das sogenannte Mindesthaltbarkeitsdatum. Das ist, glaube ich, das Kernproblem, weil es auch von der Bevölkerung oft falsch verstanden wird. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist eigentlich ein Haftungsdatum. Bis zu diesem Datum haftet der Hersteller bzw. der, der das Lebensmittel in Verkehr bringt, dafür, dass dieses Lebensmittel genussfähig ist. Nach diesem Datum haftet er nicht mehr. Aber das heißt ja überhaupt nicht, dass deswegen am nächsten Tag die Lebensmittel schon schlecht sind. Die verschiedenen Initiativen, die für die arme Bevölkerung Lebensmittel anbieten, die entweder nahe am Ablaufdatum sind oder knapp abgelaufen sind, sind der beste Beweis dafür, dass Lebensmittel nach dem Ablaufdatum nicht unbedingt schon schlecht sein müssen. Das müsste auch gesetzgeberisch geändert werden. Unabhängig davon gibt es natürlich das Problem, dass zum Beispiel bei Obst oder Gemüse alles, was nicht der Standardgröße entspricht, weggeworfen wird. Und dadurch entstehen auch riesige „Abfall“-Mengen.

„Wichtig sind die Beiträge Österreichs im Hinblick auf die Wasserversorgung“

Welchen Beitrag leisten die österreichischen Pfarren und Orden mit ihren Projekten, die sie in den Ländern des Südens unterstützen?
Wichtig sind die Beiträge, die österreichische Pfarren oder Initiativen in Bezug auf die Wasserversorgung leisten, weil Wasser ein zentrales Lebensmittel ist. Das heißt, das Trinkwasser muss vor Ort gewährleistet sein. Und daher sind diese Initiativen wie in der Sahelzone, wo man viele Brunnen gräbt und schon gegraben hat, so wichtig. Man darf auch das Vieh nicht vergessen. Für das Vieh brauche ich viel mehr Trinkwasser als für die Menschen und daher ist die Wasserfrage ganz essentiell. Hinsichtlich der Lebensmittel gilt das alte Sprichwort: Wenn du einem Hungrigen helfen willst, dann gib ihm keine Fische, sondern kaufe ihm eine Angel. Also mit anderen Worten: die Bauern so befähigen, dass ihre Produktion sicherer wird, dass sie weniger störanfällig werden.

Welche Rolle spielt die Enzyklika Laudato si´ von Papst Franziskus, der die weltweite Verschwendung der Nahrungsmittel beklagt? Wie beurteilen Sie Laudato si´?
Die Enzyklika ist ein Aufruf. Wenn der Papst als moralische Autorität in der Welt einen solchen Aufruf macht, dann erzeugt das natürlich ein entsprechendes Echo. Die Enzyklika als solche ist meines Erachtens auch deshalb sehr wichtig, weil es nicht so häufig vorkommt, dass sich der Papst zu naturwissenschaftlichen Fragen oder zu Umweltfragen oder zu Ernährungsfragen und dergleichen äußert.

Autor:

Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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