Palliativmedizin
Gute letzte Tage
Die Palliativstation St. Raphael im Göttlicher Heiland Krankenhaus im 17. Wiener Gemeindebezirk: Unheilbar kranke Menschen finden hier einen Platz. Der Tod ist ständiger Begleiter. Und trotzdem ist die Station bei weitem nicht nur ein Ort der Trauer.
Montag 7:00 Uhr Früh im Göttlicher Heiland Krankenhaus: Wie auf jeder anderen Station ist es auch auf der Palliativstation St. Raphael Zeit für die Dienstübergabe. Diejenigen, die in der Nacht Dienst hatten und deren Arbeitszeit jetzt endet, geben alle Informationen an jene weiter, deren Arbeitszeit gerade beginnt. Wie ist es den Patienten in der Nacht gegangen? Wer benötigt derzeit was? Worauf muss besonders geachtet werden? „Die Dienstübergaben laufen hier auf der Station genauso ab wie im restlichen Krankenhaus“, erzählt Athe Grafinger, leitende Ärztin in St. Raphael. „Aber sonst laufen die Uhren hier oft anders.“
Bei der Mittagsvisite sitzt das ganze Team zusammen und bespricht jeden Patienten und seinen derzeitigen Zustand einzeln durch. Der Alltag in St. Raphael unterscheidet sich auch sonst von dem anderer Stationen. „Gerade was den Tagesablauf betrifft, nehmen wir sehr viel Rücksicht auf unsere Patienten. Hier ist das Tempo rausgenommen, es herrscht mehr Ruhe, weniger betriebsame Geschäftigkeit. Wir lassen uns in anderer Art und Weise auf unsere Patienten ein; müssen das im Grunde auch. Ein Beispiel ist das Essen – bei uns kann man etwa auch spät frühstücken, wenn einem das lieber ist.“
Medizinisch komplex
Zehn Betten gibt es hier auf der Palliativstation. „Palliativ“ das kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „mit einem Mantel umhüllen“, „schützen“. „Wer hierher kommt, hat nicht mehr lange zu leben. Und weiß das auch“, sagt Athe Grafinger. „Zu uns kommen Menschen in medizinisch komplexen Situationen, deshalb sind Palliativstationen auch Teil von Akutspitälern. Flapsig formuliert: Das medizinische ,Drumherum‘ brauchen wir, um patientengerecht handeln zu können. Es sind Menschen aus onkologischen Abteilungen oder mit fortgeschrittenen Herz-Lungen- oder neurologischen Erkrankungen. Menschen mit unheilbaren Erkrankungen, die unter belastenden Beschwerden leiden, wie heftige Übelkeit oder extreme Atemnot, die aber auch auf der psychischen oder sozialen Ebene mit vielfältigen Problemen beladen sind. Daher benötigen sie neben spezialisierter medizinischer Behandlung noch einfühlsame Begleitung.“
Vom Hospiz zur Palliativstation
Vor 30 Jahren wurde die Palliativstation St. Raphael im Göttlicher Heiland Krankenhaus gegründet. Sie war damals die Erste ihrer Art in Österreich. Seither hat das multiprofessionelle Team rund 4.800 Patientinnen und Patienten behandelt und begleitet. Die Idee zur Gründung entstand aus dem Ordensauftrag der Kongregation der Schwestern vom Göttlichen Erlöser: „Die Not der Zeit lindern“. Der Orden griff damals die schwierige Situation von unheilbar kranken Menschen auf, die in unserem gut abgesicherten Sozialsystem keine Lobby hatten und gründete 1992 ein Hospiz. 2003 wandelte sich das Hospiz zur Palliativstation. Benannt ist die Station nach dem Erzengel Raphael, dem Patron der Kranken.
Die meisten sind ungefähr zwei Wochen hier, ganz selten sind es mehrere Wochen, manchmal sogar nur ein paar Stunden. „Das primäre Ziel unserer Station ist die Stabilisierung und Entlassung nach Hause oder in eine Pflegeeinrichtung. Bei etwa der Hälfte gelingt das auch. Die Hauptaufgaben hier liegen ganz klar im Bereich der Schmerz- und Symptomlinderung. Wenn es die Situation verlangt, begleiten wir auch im Sterben. Wir verlängern das Leben nicht aktiv, verkürzen es aber ganz klar auch nicht aktiv. Wir sagen ja zu der verbleibenden Lebensspanne und unterstützen, wo es nötig ist.“
Das Leben in all seinen Facetten
Der Mensch wird hier in seiner Gesamtheit wahrgenommen. „Wir sehen nicht nur das eine kranke Organ, oder die kranken Organe, sondern den gesamten Menschen“, sagt Athe Grafinger. Wir helfen nicht nur mit Medikamenten, sondern auch mit Ergo- oder Physiotherapie, Aromapflege und Wickeln – je nachdem, welche Beschwerden der Patient hat. Auch die psychische Dimension wird im Blick behalten.“ Und auch die Angehörigen sind Teil dieser Gesamtheit. „Die brauchen nämlich in den allermeisten Fällen genauso Unterstützung.“
Im Grunde gehe es in St. Raphael – auch wenn das für manche seltsam klingt – um das Leben in all seinen Facetten. „Darum, dass die letzten Tage oder Wochen lebenswert sind“, sagt Athe Grafinger. Lebensqualität – das sei natürlich etwas sehr Individuelles. „Jeder braucht etwas Anderes, um sich am Leben zu fühlen. Eine unserer Hauptaufgaben neben der Schmerz- und Symptomlinderung ist damit zuzuhören, aufmerksam zu sein, da zu sein, die Menschen in ihrer Situation ernst zu nehmen. Wie lindern wir ihre Schmerzen oder andere Symptome? Woran haben sie Freude? Was können wir tun, um sie zufrieden zu machen? Die meisten, die hierher kommen, möchten ihre Zeit ja noch mit möglichst viel Freude verbringen. Sie warten nicht einfach, dass sie sterben.“ Und gerade hier auf der Station werde auch viel gelacht. „Unsere Patienten können den Augenblick genießen und suchen auch nach Augenblicken, die sie genießen können. Und sie werden darin von uns auch ermutigt und unterstützt. Die Menschen, die zu uns kommen, haben trotz ihrer Einschränkungen noch viele schöne Momente. Und wir mit ihnen. Bei uns wurde schon geheiratet, wir haben Familien zusammengeführt. Hier geht es um Leben und um Hoffnung. Bis zuletzt.“
Das Sterben gehört zum Leben
Viele der Patienten hier auf der Station St. Raphael sind sehr alt. Viele aber auch sehr jung. „Schwere Krankheiten machen auch vor jungen Menschen nicht halt“, sagt Athe Grafinger. „Wir sind hier ein Ort, an dem man sieht, dass das Sterben zum Leben dazugehört. Ein Wissen, das aus unserer Gesellschaft ja geradezu konsequent hinausgedrängt wird. Wie ich finde, nicht zu unserem Vorteil.“
Fünf Ärzte und 20 Pflegekräfte kümmern sich um die Patienten. Außerdem gibt es noch 25 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen. „Wir sind hier ein starkes Team“, sagt Athe Grafinger. „Was uns gemeinsam trägt, ist die Liebe für den Menschen. Für uns alle ist es eine Freude, wenn wir jemandem ermöglichen, noch einmal nach Hause zu kommen. Oder wenn wir hier so begleitet haben, dass der Lebensweg gut zu Ende gehen konnte.“
Gerade in der Medizin halte sich der Zugang, dass der Tod ein Versagen ist, ein Fehler im System, noch hartnäckig. „Aber das ist er nicht. Er gehört dazu, ist normaler Teil des Lebens.“ Auch die moderne Medizin könne bei weitem nicht alles. „Was wir aber in jedem Fall können, ist, die Patienten und ihre Angehörigen am Ende des Lebens nicht alleine zu lassen.“
Palliativstation St Raphael:khgh.at/palliativstation-st.raphael
Autor:Andrea Harringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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