Konfessionelle Schulen in der NS-Zeit
Als der Gymnasial-Direktor den Mist ausführte

Dem Vergessen entreissen - Erwin und Christine Mann publizieren in der Reihe „Religion & Bildung“ seit Jahren Bücher zum traditionsreichen Schulwesen in der Erzdiözese Wien. | Foto: privat
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  • Dem Vergessen entreissen - Erwin und Christine Mann publizieren in der Reihe „Religion & Bildung“ seit Jahren Bücher zum traditionsreichen Schulwesen in der Erzdiözese Wien.
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Das Schicksal der katholischen, evangelischen und jüdischen Privatschulen in Wien während der NS-Herrschaft von 1938 bis 1945 war bislang kaum erforscht und dokumentiert.

Christine und Erwin Mann erläutern im SONNTAG-Interview den Inhalt ihres faszinierenden Buches, in dem sie diese Zeit anhand der Quellen beleuchten. Die konfessionellen Privatschulen waren den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge, daher wurden sie von den Machthabern mehr oder minder schnell geschlossen.

  • Wie sind Sie ausgerechnet auf dieses Thema gekommen?

Christine Mann: Ich habe 20 Jahre das Wiener Erzbischöfliche Schulamt geleitet, dreizehn Jahre geschäftsführend das gesamtösterreichische und ich war acht Jahre Präsidentin des europäischen katholischen Schulwesens. Dabei habe ich viele Schulgeschichten gelesen.

Die Jahre 1938 bis 1945, das ist mir aufgefallen, wurden dabei immer nur kurz und kursorisch behandelt – und praktisch nie in der Zusammenschau mit den anderen konfessionellen Schulen – den evangelischen und jüdischen, die ja eine Schicksalsgemeinschaft waren. Das hat mich in besonderer Weise gereizt.

Erwin Mann: Wir haben beide schon während unserer Tätigkeit als Universitätsassistenten sozusagen „Lunte gerochen“ an der Lehre und an der Forschung, vor allem über das 19. Jahrhundert, das uns interessiert hat. Und es hat uns auch danach nicht mehr losgelassen.

Jubiläen unserer diözesanen Schulen waren dann der Anlass, deren Geschichte in einer Reihe von Festschriften noch eingehender zu behandeln, und das hat sich dann immer weiter zu einem Großvorhaben „Kirche und Schule im Erzbistum Wien“ ausgewachsen.

  • Sie bieten in Ihrem umfangreichen Buch immer auch eine spannende, kompakte Vorgeschichte. Warum ist beispielsweise Joseph II. gleichsam eine Schlüsselfigur bei der Betrachtung der Vorgeschichte des katholischen, evangelischen und jüdischen Schulwesens?

Christine Mann: Die eigentliche Schlüsselfigur war seine Mutter Maria Theresia, die die große Schulreform in die Wege geleitet hat. Joseph II. hat sie dann praktisch vollendet und die entscheidenden Weichen mit den Toleranzpatenten für die Protestanten und für die Juden gestellt. Er gab ihnen damit die Möglichkeit, dass auch sie Schulen errichteten – das taten sie allerdings in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlicher Leidenschaft.

  • Wie ist das religionskritische Wirken von Otto Glöckel in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zu beurteilen, Stichwort: Schulkampf?

Erwin Mann: Der spätere Präsident des Wiener Stadtschulrats Otto Glöckel hatte gemeinsam mit Paul von Hock 1905 den Verein „Freie Schule“ gegründet, der kämpferisch gegen den kirchlichen Einfluss auf das Schulwesen aufgetreten ist. Es ging dabei um das Schulgebet, die sogenannten Religiösen Übungen und den Religionsunterricht, die aus der öffentlichen Schule verbannt werden sollten.

Von diesen kulturkämpferischen Aktionen abgesehen, bedeuteten die von ihm angestoßenen Schulreformen – Stichwort „Arbeitsschule“ und „Gesamtschule“ – einen starken Impuls hin zur aktiven Teilnahme der Schüler am Unterricht und zur Chancengleichheit aller.

  • Warum war die Schule de facto einer der wichtigsten Bereiche der angezielten politischen Veränderungen im Ständestaat?

Christine Mann: Das ist kein Spezifikum des Ständestaats. Denn jede Ideologie zielt darauf ab, in die Köpfe der Menschen ihre Grundeinstellungen einzupflanzen, und das geschieht ganz einfach institutionell und am wirksamsten über Erziehung und Unterricht in den Schulen.

  • Warum ging de facto in Österreich nach dem Anschluss 1938 alles schneller und konsequenter?

Christine Mann: Weil es kaum Widerstand gab. In Deutschland brauchte Hitler Jahre für die Auflösung des katholisch-konfessionellen Schulwesens, bei uns war alles von Juli bis Oktober 1938 erledigt. Die entsprechenden Gesetze waren schon ausgearbeitet und brauchten nur in den österreichischen Rechtsbestand übernommen zu werden.

  • Warum wollte das NS-Regime den totalen Zugriff auf Schule und Erziehung?

Erwin Mann: Alle autoritären Staaten wollen ein großes Programm der Umerziehung durchsetzen – und damit kommen sie immer mit dem Widerstandspotenzial, das Religion nun einmal ist und hat, in Konflikt. Für die NS-Ideologie war v.a. der Katholizismus mit seinen Ordensschulen der große und zugleich auch bewunderte Gegner: Die Nationalsozialisten nannten ihre Kaderschulen gerne selbst „Ordensschulen“. Das nationalsozialistische Regime ließ übrigens von Anfang an keinen Zweifel darüber aufkommen, dass auch der Religionsunterricht der Erziehung und Bildung der Jugend im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie diametral im Wege stand.

  • Warum waren die Orden, auch mit ihren Schulen, gleichsam die Speerspitze des Katholizismus?

Christine Mann: Sie hatten jenen langen Atem, den das 1000-jährige Reich nicht hatte und an den sie auch nicht glaubten. Die Spiritualität in ihrer klösterlichen Lebensgemeinschaft, die Erfahrungen mit schon früher erlebten Verfolgungen, die gelebte strenge Disziplin und die internationale Vernetzung gaben ihnen Kraft zum Durchhalten. Wegen der zölibatären Lebensform musste auch keine Rücksicht auf die Familie genommen werden. Man konnte widerständig sein. Die Jesuiten etwa durften als Staatsfeinde wegen ihres zersetzenden Einflusses damals nicht zum Militärdienst eingezogen. werden

  • Von wie viel Schulen spricht man österreichweit bei der Auslöschung der konfessionellen katholischen Schulen?

Christine Mann: Es gibt verschiedene Zählungen, nach Helmut Engelbrecht betraf es ca. 1400 Gebäude, die meist für andere Zwecke verwendet wurden. Die ehemaligen Lehrschwestern mussten nun als Schreibkräfte in Pfarrkanzleien, als Organistinnen, als Klavier- und Sprachlehrerinnen, als Krankenschwestern usw. zum Überleben ihrer Ordensgemeinschaft beitragen oder lebten, wie die Schulbrüder in Strebersdorf, von ihrer Landwirtschaft.

Da war etwa der einstige Gymnasialdirektor für den Pferdestall und den anfallenden Mist zuständig und führte ihn quer durch die Ortschaft. Andere wurden in ihre ausländischen Mutterhäuser versetzt oder errichteten dort (bis nach Übersee) neue Niederlassungen. Es ist das ohne Organisation von oben gewachsene perfekte Netz der Orden, das auf alles vorbereitet ist und beeindruckt: Schulorden neben Krankenpflegeorden, kontemplative Orden und Gemeinschaften, die sich für alles zuständig sahen, wo Not am Mann oder an der Frau war.

  • Wie hat die Evangelische Kirche 1938 auf die neuen Machthaber reagiert?

Erwin Mann: Die katholischen Privatschulen mussten ihre Pforten schließen, die evangelischen Schulverantwortlichen waren Deutschland als dem Mutterland der Reformation viel zugewandter und haben noch Ende des Schuljahres 1937/38 alle ihre Schulen den neuen Machthabern übergeben, die sie als öffentliche Schulen meist noch ein Jahr weitergeführt und dann ebenfalls geschlossen haben. Die Schulgebäude wurden teilweise zu Wohnungen umgebaut oder sie wurden anderen Verwendungen zugeführt (z.B. die Schulen am Karlsplatz).

  • Was waren die Ziele der NS-Machthaber im Hinblick auf das jüdische Schulwesen?

Christine Mann: Bei den jüdischen Schulen war die Situation eine völlig andere. Es stand nicht die neue Ideologie im Vordergrund, hier richtete sich der totalitäre Zugriff nicht nur auf die Aussonderung, sondern letztlich auf die Auslöschung der gesamten heranwachsenden Generation.

Sie wurde zuerst aus den öffentlichen Schulen ausgeschult, in eigenen Judenschulen gesammelt, zuerst nur zu niedrigen Bildungschancen zugelassen, schließlich ab 1942 mit Unterrichtsverbot belegt. Zuletzt wurde der ohnehin völlig ausgeraubten Kultusgemeinde auferlegt, dass sie den letzten erlaubten Unterricht an Judenschulen auch selbst finanzieren musste. Dass wir übrigens die erste zusammenfassende Darstellung des Wiener jüdischen Schulwesens mit diesem Buch bieten können, ist uns beiden eine besondere Genugtuung.

  • Was zeichnete generell das bunte jüdische Schulwesen in Österreich aus?

Christine Mann: Die Vielfalt. Denn liberale Teile der Kultusgemeinde schickten ihre Kinder um deren Integration willen lieber in öffentliche oder anderskonfessionelle, vor allem katholische Schulen. Die orthodoxen Gemeinden und Vereine hingegen setzten auf eine traditionell jüdische Erziehung in jüdischen Schulen.

Inmitten dieser Spannungen gab es ein sicheres Wissen, dass Armut und Chancenungleichheit nur durch Bildung für ein selbstbestimmtes Leben gelindert bzw. im Idealfall besiegt werden kann.

  • Ein Phänomen ist das „Josephinum“ der Pfarre Breitensee – bis heute. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?

Christine Mann: Nun, hier hat sich etwas vom Urgestein katholischer Schulen in Europa erhalten. In den Anfängen gab es neben den Ordensschulen, den Domschulen eben die Pfarrschulen. Sie bildeten ein Organisationsnetz, auf das später auch Joseph II. zurückgriff. Die Pfarre Breitensee hat sich diese Zuständigkeit gegen alle diözesanen Vereinheitlichungstendenzen erkämpft und lebte sie lange Zeit in Kooperation mit etlichen Ordensgemeinschaften, vor allem mit Frauenorden.

  • Im Hinblick auf die Aus- und Weiterbildung der Religionslehrkräfte gibt es die Kirchlich-Pädagogische Hochschule Wien//Krems (KPH). Was zeichnet sie aus, was macht sie weltweit so einmalig?

Christine Mann: Einmalig ist, dass sie von Anfang an interreligiös konzipiert war. Man wollte im Rahmen der abrahamitischen Religionen ein gemeinsames Ausbildungszentrum schaffen und das wurde im Laufe der Jahre, ab 2015, noch erweitert. Nicht nur christliche, jüdische und islamische Religionslehrer werden dort ausgebildet, sondern auch die Buddhistische Glaubensgemeinschaft und die Aleviten kamen noch dazu.

Damit ist eine einmalige Möglichkeit gegeben, dass die Lehrer sich schon in der Ausbildung kennenlernen, einander verstehen lernen und dann in den Schulen besser zusammenarbeiten können. Das Besondere ist, dass es dies einfach nirgendwo sonst gibt, und das ist eine Frucht des guten ökumenischen Zusammenlebens in Österreich, ganz besonders in der Erzdiözese Wien.

Die einmalige Chance, die die KPH Wien/Krems auch bietet, ist, dass die Kirchen und Religionsgesellschaften, die sich hier zusammengeschlossen haben, ihren Beitrag zur Entwicklung der allgemeinen Lehrerbildung und des allgemeinen Unterrichts beitragen können. Denn jede Kirche und Religionsgesellschaft hat eine spezifische pädagogische Tradition. Und diese kann jetzt eingebracht werden.

  • Warum fand das Wort des Linzer Bischofs Johannes Maria Gföllner: „Unmöglich ist es, guter Katholik und wirklicher Nationalsozialist zu sein“ so wenig Widerhall im katholischen Raum?

Erwin Mann: Es gab zu viele gegenteilige Stimmen – im Klerus die sogenannten „Brückenbauer“, die einen „katholischen Nationalsozialismus“ propagierten, aber auch bei den Katholiken und unter den Bischöfen – trotz der eindeutigen Haltung Pius XI. Das Verdienst des Linzer Bischofs und des St. Pöltner Bischofs Michael Memelauer, der gegen die Euthanasie mutig Stellung bezogen, bleibt für immer bestehen.

  • Warum war Kardinal Innitzer „immer judenfreundlich“ eingestellt, wie Sie schreiben?

Erwin Mann: Weil er ein guter Theologe war und er sich als Seelsorger – und das blieb er auch als Bischof – für die Ausgestoßenen und Entrechteten verantwortlich fühlte und auch seine Katholiken dazu aufrief. Unvergessen bleibt seine Initiative mit dem sogenannten Hilfswerk für nichtarische Christen. Er hat sich jedenfalls einen differenzierten Blick auf sein Wirken verdient.

  • „Denk an die Tage der Vergangenheit, lerne aus den Jahren der Geschichte“, heißt es im Buch Deuteronomium (32,7). Haben wir aus der Geschichte gelernt? Haben Sie selbst etwas gelernt?

Christine Mann: Ich habe sehr viel gelernt.

  • Erstens, dass Menschen, die einst Großes gewirkt haben, vor denen seinerzeit jeder voll Respekt den Hut zog, dass sie ganz einfach vergessen sind: Weihbischöfe, Domkapitulare, große Vordenker. Es war ein Glück für mich, dass wir einige aus diesem Sog des Vergessens erlösen und ihnen in vielen Fällen auch mittels Fotos sogar ein Gesicht geben konnten.
  • Zweitens habe ich immer geglaubt, dass ich das katholische Schulwesen perfekt kenne. Dabei habe ich jetzt unsagbar viel Neues und tief Beeindruckendes, weil Kraftvolles gefunden.
  • Drittens: Die Menschen sind, wie sie sind – es kann jederzeit ein ähnliches System mehr oder minder unentdeckt an Orten entstehen und kultiviert werden, an denen man es nicht vermutet. Achtsamkeit und Mut sind angesagt.

Erwin Mann: Und große Beharrlichkeit.

Dem Vergessen entreissen - Erwin und Christine Mann publizieren in der Reihe „Religion & Bildung“ seit Jahren Bücher zum traditionsreichen Schulwesen in der Erzdiözese Wien. | Foto: privat
Christine und Erwin Mann, Die Wiener konfessionellen Schulen und ihr Schicksal 1938–1945. 
Eine Bestandsaufnahme der katholischen, evangelischen und jüdischen Privatschulen | Foto: LIT-Verlag
Autor:

Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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