Verborgene Plätze, besondere Schätze
Faszination Archäologie
Bei Bauarbeiten im Wiener Elisabethinen-Kloster wurde ein längst vergessener Friedhof aus dem Barock entdeckt. Auf dem Gelände des ehemaligen Spitalsfriedhofs wurden rund 400 Skelette ausschließlich von Frauen gefunden. Wer waren die Frauen, wie lebten sie und woran starben sie? Anthropologin Michaela Binder erzählte dem SONNTAG, welche Erkenntnisse die Forschung aus den Funden gewinnen kann, um ein noch unbekanntes Kapitel Wiener Stadtgeschichte ans Licht zu bringen.
Die hohe Barockfassade des St. Elisabeth-Spitals mit integrierter Kirche und Kirchturm muss die Bewohner der damaligen Wiener Vorstadt beeindruckt haben. Das heute noch bestehende Krankenhaus am Beginn der Landstraßer Hauptstraße ist eines der ältesten Spitäler Wiens und ging 1715 in Betrieb.
„Das war damals etwas Besonderes: dass sich ein Spital ausschließlich den Frauen gewidmet hat“, erzählt Michaela Binder, Anthropologin und Historikerin im Gespräch mit dem SONNTAG. Gleichzeitig mit dem Spital wurde in einem der Hinterhöfe ein Friedhof angelegt. Auf diesen längst vergessenen Ort der letzten Ruhe stieß man 2018 im Zuge von Bauarbeiten für ein neues Zentrum für Menschen im Alter im Innenhof des Spitals.
Ort der spirituellen Seelsorge
„Man darf sich das damalige Spital nicht so vorstellen wie ein heutiges Krankenhaus mit wirklich guter medizinischer Versorgung. Diese frühen Spitäler waren mehr Orte der Fürsorge und spirituellen Seelsorge für die Kranken, eine medizinische Versorgung mit Ärzten wie wir sie heute kennen, war nur in Ansätzen vorhanden“, schildert Michaela Binder.
Der Friedhof des Elisabeth-Spitals wurde knapp sieben Jahrzehnte verwendet. 1783 wurden unter Joseph II. sämtliche innerstädtische Friedhöfe aus sanitären Gründen geschlossen. „Der Friedhof ist bald in Vergessenheit geraten und man legte einen Park darüber an, der bis vor kurzem bestanden hat. Im Vorfeld der Bauarbeiten wurden archäologische Ausgrabungen durchgeführt, weil man dort mit Funden gerechnet hat“, erzählt die Anthropologin.
Was haben Michaela Binder und ihr Team bei den archäologischen Grabungen entdeckt? „Wir haben einerseits Funde, die noch zur spätmittelalterlichen Vorstadt gehören und andererseits haben wir Teile von diesem Patientinnen-Friedhof ausgraben. Wir konnten insgesamt fast 400 Skelette freilegen. Die Frauen wurden nicht in Einzelgräbern bestattet, sondern in engen Grabschächten im Boden übereinander beerdigt.“
Faszination Archäologie
Was fasziniert Michaela Binder an der Forschung an in der Erde freigelegten Skeletten? „Die Erforschung der Vergangenheit, der Lebensgeschichten ist faszinierend, aber auch die Grabungsarbeit selber: diese Suche nach der Vergangenheit ist immer ein bisschen ein Abenteuer. Etwas Altes freizulegen hat eine ganz eigene Faszination. Das ist mit jedem neuen Projekt immer da“, erklärt Binder, die schon mehrfach auch für die Erzdiözese Wien archäologisch im Einsatz war.
Schlechte hygienische Bedingungen
Die hygienischen Bedingungen im barocken Wien waren katastrophal. „Als das Elisabethinen-Spital 1715 eröffnet wurde, stand Wien noch unter dem Eindruck der letzten großen Pestepidemie des Jahres 1713. Danach waren es im 18. Jahrhundert insbesondere Tuberkulose, Typhus und andere Krankheiten, die den Menschen zu schaffen machten. Das spiegelt sich auch in den Sterbebüchern des Elisabethinen-Spitals wider“, sagt Michaela Binder: „Wir wissen aus den Sterbebüchern, dass innerhalb von einem Monat etwa zehn bis 15 Patientinnen im Spital verstorben sind. Man legte Grabschächte an und beerdigte in diesen bis zu zehn Verstorbene übereinander. Während dieser Zeit standen die Gräber offen“, schildert die Archäologin.
Vermählung nach dem Tod
Trotz dieser einfachen Bestattungsweise hat man sämtliche Toten mit einem Holzsarg ausgestattet. „Wir haben auch sehr viele religiöse Medaillen, Wallfahrtsmedaillen, Rosenkränze und einfache Kreuze gefunden, die man den toten Frauen mitgegeben hat. Dies zeigt, dass, obwohl es sich um ein Spital handelt, in dem niedrige soziale Schichten behandelt wurden, hier doch mit Würde bestattet wurde und die Verstorbenen mit einem bestimmten Bestattungsritus in die Gräber gekommen sind“, führt Michaela Binder aus.
Die Grabbeigaben sind für die geschichtliche Forschung besonders interessant: „Wir haben viele Wallfahrtsmedaillen, die auf ein sehr ausgedehntes Netzwerk von Wallfahrt schon im 18. Jahrhundert hinweisen. Wir haben Wallfahrtsmedaillen aus Italien, aus Tschechien und Polen gefunden, die einerseits mit der Wallfahrt zusammenhängen, andererseits aber auch darauf hindeuten, dass im 18. Jahrhundert Menschen aus allen Teilen des Reiches nach Wien gekommen sind, um hier Arbeit zu finden“, erklärt die Historikerin. Wien ist im 18. Jahrhundert rasant gewachsen, vor allem durch eine starke Arbeitsmigration aus allen Teilen des Reiches. „Man hat sich hier Arbeit und ein besseres Leben erhofft. Das spiegelt sich ganz klar in den Bestattungen wider.“
Die Ausstattung der Toten entspricht dem allgemeinen Bestattungsritus im Barock, aufwendige Bekleidung und Schmuck waren nicht üblich. „Typisch für die Zeit sind drei Totenkronen unter den Funden aus dünnem Metalldraht, eine davon mit Blumen aus Buntmetalldraht verziert“, schildert die Archäologin. Dieser Brauch, Kindern und unverheirateten Frauen solche Kronen mit ins Grab zu geben, war vom 16. bis ins 19. Jahrhundert im gesamten christlichen Europa verbreitet und sollte eine Vermählung nach dem Tode symbolisieren. „Die Skelette sind uns nun für einen gewissen Zeitraum zur Forschung geliehen. Sie werden nach Abschluss der Forschungen wieder bestattet. Hier sind wir im Gespräch mit der Pfarre St. Rochus“, sagt Binder.
Das Leben der Frauen im Barock
Das Leben der einfachen Frauen im 18. Jahrhundert ist aus historischen Quellen kaum bekannt, weder was die Lebensbedingungen betrifft noch die medizinische Versorgung. „Gemeinsam mit dem Wien Museum, dem Institut für österreichische Geschichtsforschung und dem Orden der Elisabethinen versuchen wir ein Forschungsprojekt zu starten, um diese Lebensbedingungen der Frauen im Barock, die ein wichtiger Teil der Bevölkerung waren, zu erforschen und diese Geschichten erzählen zu können“, kündigt Binder an. Die Geschichten sollen im neuen Wien Museum in einer Dauerausstellung präsentiert werden, um so ein bunteres und komplexeres Bild des Lebens im Barock in Wien zeigen zu können.
Autor:Agathe Lauber-Gansterer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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