Arbeit und Sinnsuche
"Das ist eigentlich eine verkehrte Welt"
Hans Bürger erklärt den Zusehern der „Zeit im Bild“ des ORF Hintergründe zur heimischen Innenpolitik. Trotz Ibiza-Skandal und Corona-Lockdown findet er privat Zeit, sich mit Sinnfindung bei knapper werdender Arbeit und Künstlicher Intelligenz zu beschäftigen.
Zu seinem neuen Buch und zu Persönlichem steht er dem SONNTAG Rede und Antwort.
Ich bin in Wien beinahe ein Unikat. Wer ist in der Bundeshauptstadt schon ein Fan vom Fußballverein FC Blau Weiß Linz? Aber zum Interview mit Hans Bürger im ORF-Zentrum am Küniglberg komme ich mit meinem blau-weißen Mund-Nasen-Schutz. Ist doch mein Gesprächspartner auch Fan dieser Zweitligamannschaft. „Ich bin so etwas wie der Außenminister der Blau-Weißen in Wien“, schildert Bürger augenzwinkernd. Seit wenigen Monaten ist er kooptiertes Mitglied im Kuratorium des Vereins. Hintergrund ist, dass seine Mutter als Übersetzerin und sein Vater als Bauzeichner seinerzeit in den Linzer Voeststahlwerken arbeiteten. Damals gab es den Werkssportklub, später nach einigen Fusionen und einer Neugründung fanden sich die meisten Fans bei den „Blau-Weißen“ wieder.
Hans Bürger gelingt es neben seinem Job im ORF und dem Interesse am Sport, Zeit fürs Bücher schreiben zu finden. Dazu sagt er: „Es gibt eine Vereinbarung zwischen meiner Frau und mir: Ich bekomme vier Tage im Monat dafür.“
Bürgers mittlerweile viertes Werk heißt: „Selbstverständlich ist nichts mehr“. Für die Menschen stellt die Arbeit einen mehr oder weniger großen Lebenssinn dar. Wie geht es ihnen, wenn die Arbeit weniger wird? Gleichzeitig stellen sich immer mehr die Frage nach Sinn und Glück im Leben. Das ist der Ausgangspunkt von Bürgers Überlegungen.
- In einem Kapitel schreiben Sie über das gute Leben? Was ist das?
HANS BÜRGER: Früher hat man herumgesucht nach dem guten Leben. Seit zwanzig Jahren gibt es relativ gute Forschungen darüber, was der Mensch als wirklich gut empfindet. Es gibt Sinn- wie Weisheitsforschung. Sieht man sich diese näher an, entdeckt man für sich selbst schon, was das gute Leben ist. Mich hat dazu der bekannte Psychotherapeut Viktor Frankl inspiriert.
- Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Das Schönste wäre, jemanden zu lieben. Eine sehr gute Beziehung zu seinen Eltern, zu seiner Frau und den Kindern. Viel mehr braucht man nicht.
- Frankl sagt aber, man braucht auch eine bestimmte Aufgabe, die einen erfüllt?
Wenn man mich fragt, ob der Journalismus mein Lebensziel war, nein, war es nicht. Der Beruf, den ich jetzt ausübe, ist nicht meine Berufung, denn das ist das Schreiben. Was ich aber kann und gerne mache ist, aus komplexen Zusammenhängen relativ einfach verständliche kürzere Erklärungen zu machen. Je komplexer das Thema ist, desto mehr freut es mich, wenn ich es übersetzen kann.
- Wir leben im Überfluss. Der durchschnittliche Europäer besitzt 10.000 Dinge. Brauchen wir so viele Sachen?
Der Ökonom Kurt Rothschild, mit dem ich das erste Buch geschrieben habe, sagte: „Sie kennen die Menschen nicht, die möchten immer etwas Neues. Niemand will das Bisherige. An der Wirtschaft liegt es, dieses Neue anzubieten.“ Das ist eigentlich eine verkehrte Welt. Denn eigentlich sollten wir das wollen, was wir brauchen. Und nicht das, was uns der Kapitalismus einredet zu brauchen. Aber das Match haben wir verloren.
- Warum?
Wenn man Kinder hat und sieht, welchen Irrsinn die zum Teil spielen wollen, und zum Teil leider auch spielen. Aber nicht, weil sie das aus sich heraus wollen, sondern meist ist das Argument: „Das machen die anderen in der Klasse auch“. Was die da aufführen in dieser virtuellen Welt. Da bin ich extrem skeptisch, dass wir aus dieser Sucht herauskommen.
- Wie verändert aus Ihrer Sicht das Coronavirus unsere Gesellschaft?
Ich reihe mich nicht in die Jammerer ein. Wenn man noch Eltern hat, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, meine Eltern sind 84 Jahre alt, muss man die Kirche im Dorf lassen. Wenn ich mir ansehe, wie sie aufgewachsen sind, mitten im Krieg, dann sehe ich das als mittelfristig bewältigbares Problem und das versuche ich mir immer zu vergegenwärtigen. Für meine Kinder ist die aktuelle Situation aber bedrückend, sie leiden immer mehr darunter.
- Immer wieder wird das Bedingungslose Grundeinkommen diskutiert. Für die einen eine Chance, für die anderen ein Jobkiller. Wie sehen Sie das?
Es ist der Weisheit einziger Schluss.
Was mich verwundert ist, dass etwas, das von ganz links kommt, plötzlich von den Linken total verteufelt wird und als neoliberal gilt. Das ist für mich ein Rätsel. Faktum ist, und das ist auch der Sinn des Buches: Irgendetwas müssen jene Menschen erhalten, die keine Arbeit haben. Sollen sie betteln oder auf Spenden angewiesen sein? Prognosen sagen, dass bis zu 50 Prozent der Arbeitsleistung von Menschen zukünftig von Robotern gemacht wird.
Wenn ein Staat der Meinung ist, er hat eine soziale Verantwortung, muss er den Menschen so viel geben, dass sie eine Wohnung haben und sich ernähren können.
- Leben wir, um zu arbeiten, oder arbeiten wir, um zu leben?
Bei sehr vielen in der Branche habe ich den Eindruck, sie leben um zu arbeiten. Die sind in einem Ausmaß vom Journalismus, von News beherrscht, dass ich mir denke, wie geht sich das aus? Die haben zum Teil drei Geräte immer vor sich. Auf einem ist Twitter, auf dem anderen Facebook und Instagram, SMS, E-Mail, der Fernseher läuft, telefoniert wird, überall und immer. Die Branche fasse ich jetzt sehr weit, ich meine auch die gesamte Beraterbranche von Politikern, Pressesprecher und Manager. Treffe ich meine Freunde aus Oberösterreich, oder jene, die in ganz anderen Berufen tätig sind, erkenne ich, die arbeiten um zu leben.
- Wenn die Arbeit weniger wird, muss sie dann aufgeteilt werden mittels Arbeitszeitverkürzung?
Unbedingt. Das Argument derer, die viel arbeiten, lautet: „Das kann sonst keiner. Ich bin unersetzbar.“ Jeder ist ersetzbar.
- Sollen jüngere Arbeitnehmer mehr verdienen und die Einkommen bei Älteren weniger stark steigen?
Es ist eine Utopie, aber warum soll das nicht gehen? Ich habe jetzt alles. Da spreche ich von materiellen Gütern. Ich habe keine teuren Hobbys außer Schifahren. Aber es gibt so viele junge Leute, die das Geld brauchen, aber nicht haben. Ich kann mir vorstellen, dass man, je älter man wird, immer ein bisschen weniger verdient und dafür als Junger höher einsteigt.
Irgendwann bleibt das Einkommen gleich und später wird es weniger. Dann arbeitet man halt auch weniger. Viele Ältere hätten gerne Teilzeitarbeit am Ende ihrer beruflichen Tätigkeit. Wir müssen uns davon verabschieden, dass man immer mehr Geld verdient.
Buchtipp
Hans Bürger:
Selbstverständlich ist nichts mehr – Sinnfindung in Zeiten von Arbeitsverknappung, künstlicher Intelligenz und Pandemien
Braumüller Verlag, 268 Seiten.
ISBN: 978-3-99100-311-3
Radiotipp
In den Lebenswegen auf radio klassik Stephansdom spricht Hans Bürger neben den Themen aus seinem neuesten Buch auch über seinen Lieblingsmusiker, den Ostbahn-Kurti.
AnhörenAutor:Stefan Hauser aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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