Palliativmediziner Prim. Rudolf Likar zur Sterbehilfe-Debatte
Niemand darf das Leben eines anderen bewerten

Foto: Kabeg

Herr Professor, wie beurteilen Sie als Palliativmediziner das deutsche Urteil, wonach Sterbehilfe - sogar kommerzielle Sterbehilfe - erlaubt ist?
Likar: Was mich verwundert, ist der Umstand, dass hier der Wunsch einer verschwindenden Minderheit zum Gesetz erhoben wird. Ich habe bisher etwa 5.000 Palliativpatienten begleitet und nur drei davon äußerten den Wunsch nach einem assistierten Suizid. In Deutschland waren es auch nur sechs Fälle, die dieses Urteil auslösten. Ich frage mich schon, warum man plötzlich dem Wunsch einer absoluten Minderheit nachgibt, wo es doch viele andere Wege gäbe.

Welche Alternativen schlagen Sie vor?
Likar: Man könnte für so wenige Betroffene natürlich Einzelfalllösungen zulassen. Das heißt, eine Ethikkommission schaut sich den konkreten Fall an und ein Gericht entscheidet dann. Eines muss auch gesagt werden: Wenn die Menschen wissen, welche Möglichkeiten sie schon heute haben, entscheiden sie oft anders. Es ist ja nicht mehr so, dass um jeden Preis ein Leben verlängert wird. Wenn es absolut keinen Therapieerfolg mehr gibt, werden Behandlungen nicht durchgeführt. Dann bemühen wir uns eben, palliativ den Schmerz zu reduzieren.

In Österreich ist die Debatte nun auch wieder entflammt. Wie beurteilen Sie die Situation bei uns?
Likar: Zunächst einmal gibt es in Österreich viele Möglichkeiten der Vorbeugung: die Patientenverfügung, die Vorsorgevollmacht oder die Erwachsenenvertretung. Da braucht es aber sicher mehr Aufklärung und Informationen, was alles geht. Dann darf kein Arzt eine Therapie gegen den Willen des Patienten durchführen – selbst wenn dies zum Tod führen sollte.

Es gibt aber Menschen, die sich vor einem qualvollen Tod fürchten, die Angst haben vor dem Verlust an Lebensqualität...
Likar: Zur Lebensqualität: Diese wird doch von der Gesellschaft festgelegt. Wenn wir demente, behinderte oder schwer kranke Menschen ausgrenzen, verliert ihr Leben sicher an Wert. Daher sage ich: Wir brauchen Integration statt Selektion. Denn wenn wir diese Menschen einbinden, ihnen wertschätzend begegnen, dann empfinden auch sie ihr Leben als wertvoll. Davon hängt die Lebensqualität ab – und niemand hat das Recht, das Leben eines anderen zu bewerten.
Infos unter: www.palliativ.at

Autor:

Gerald Heschl aus Kärnten | Sonntag

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