Veit Heinichen
Was wir aus der Geschichte lernen

Der deutsche Autor Veit Heinichen am Hafen seiner Wahlheimat Triest, wo die meisten seiner Krimis handeln. | Foto: Foto: Massimo Goina
  • Der deutsche Autor Veit Heinichen am Hafen seiner Wahlheimat Triest, wo die meisten seiner Krimis handeln.
  • Foto: Foto: Massimo Goina
  • hochgeladen von Sonntag Redaktion

Im Interview mit dem „Sonntag“ spricht der Krimi-Autor Veit Heinichen über seinen jüngsten Roman „Entfernte Verwandte“, warum wir aus der Geschichte nichts lernen und warum Kommissar Proteo Laurenti nicht in Pension gehen kann.
von Gerald Heschl

In Ihrem neuesten Laurenti-Krimi geht es wieder um die Vergangenheit – genauer die Nazi-Gräuel rund um Triest. Ist das eine Art Fortsetzung der „Toten vom Karst“?
Heinichen: Ich würde schon sagen, dass es irgendwie mit den „Toten vom Karst“ verwandt ist. Aber auch in „Der Tod wirft lange Schatten“ geht es um diese Zeit und Nazi-Kollaborateure. Es ist ein Thema, um das man einfach nicht herumkommt – vor allem in unserer Region.

Sie schreiben, dass die Erschießungen und selbst das KZ bei Triest wenig bekannt sind. Wie kamen Sie auf das Thema?
Heinichen: Ich wurde 2014 eingeladen, die Rede zum 70. Jahrestag des Massakers von Opicina zu halten. Damals haben die Deutschen 72 Leute wahllos aus den Gefängnissen geholt und auf dem Karst erschossen. Es gab eine Unmenge solcher Massaker. Wenn man sie zusammenzählt, kommt man auf eine erschreckend hohe Summe Ermordeter.

Da verwundert es umso mehr, dass sich die Geschichtsschreibung so wenig damit befasst ...
Heinichen: Das KZ Risiera wird nach wie vor in Deutschland vielfach als Polizei-Durchgangslager bezeichnet. Allerdings haben hier jene SS-Leute ihr Unwesen getrieben, die Treblinka aufgebaut haben. Es wurden Krematorien gebaut, und es war ein echtes Vernichtungslager. Odilo Globocnik, einer der größten Verbrecher des NS-Regimes, war hier Anführer.

Eine zentrale Frage in dem Buch ist die nach der Schuld. Ermordet werden nicht die Täter – die sind längst tot – sondern deren Kinder. Gibt es so etwas wie eine Schuld der Nachgeborenen?
Heinichen: Nur, weil ich in Deutschland geboren bin, bin ich nicht schuldig. Ich habe lange gebraucht, um dies zu begreifen. Aber heute weiß ich: Ich bin 1957 geboren, kann also keine Schuld auf mich geladen haben. Ich unterscheide aber zwischen Schuld und Verantwortung. Ich kann keine persönliche Schuld für das haben, was meine Eltern oder Großeltern gemacht haben – Gott sei Dank! Aber verantwortlich sind wir dafür, dass Dinge aufgeklärt und publik werden. Nur so kann man eine Wiederholung verhindern. Ich bin der Meinung, je klarer uns die Taten bewusst werden, die von unseren Vorfahren und Vor-Vorfahren begangen wurden, umso klarer können wir darauf hinwirken, dass so etwas nicht mehr passiert.

Lernen wir aus der Geschichte?
Heinichen: Nein! Ich befürchte, dass sich die Geschichte immer wiederholt, als würde der Mensch unersättlich seine Dummheiten immer wieder neu begehen. Das ist offenbar uns Menschen vorgegeben. Unser Leben ist doch von der Wiederholung von Fehlern gezeichnet. Das finden Sie schon in der Bibel: Es beginnt mit dem Sündenfall von Adam und Eva, geht über den Brudermord und beinhaltet alles, wozu der Mensch fähig ist. Das geschieht nicht einmal, sondern immer wieder.

Sie rufen in Ihren Büchern historische, aber auch gegenwärtige Verbrechen ins Gedächtnis. Verbinden Sie damit nicht die Hoffnung, dass zumindest Ihre Leser aus der Geschichte lernen?
Heinichen: Ich habe absolut keine missionarischen Absichten. Die Aufgabe des Romanciers ist es, allen eine Stimme zu geben, den Guten wie den Bösen. Ich verfasse ja keine religiösen Schriften. Der Kriminalroman hat die Chance, sehr viele Inhalte zu transportieren, mit denen sich der Leser vielleicht sonst nicht befasst. Die Hoffnung, dass es Leserinnen und Leser gibt, die darüber diskutieren und dann bereit sind, über solche Dinge zu sprechen, besteht allerdings schon.

In „Entfernte Verwandte“ spielt der bekannte Commissario Laurenti wieder die Hauptrolle. Er ist ja nicht mehr der Jüngste. Wann schicken Sie ihn in die Pension?
Heinichen: Wenn das Genre des Romans eingleisig wäre, müsste ich ihn in Pension schicken. Aber ich kann mit ihm auch in der Zeit zurückreisen und vergangene Dinge erzählen. Solange es also einen Stoff gibt, wird er nicht in Pension gehen. Er könnte auch als Pensionist ohne Weiteres privat weiterarbeiten. Im Klartext: Diese Frage stellt sich erst, wenn es von ihm keinen Stoff mehr zu erzählen gibt. Das sehe ich in absehbarer Zeit nicht.

Buchtipp
Commissario Laurenti wird in das Dorf Prosecco gerufen. Vor dem Partisanen-Mahnmal auf dem Karst, wo der Opfer der Nazi-Besatzung und des Faschismus gedacht wird, liegt ein Toter. Es gibt Hinweise auf eine internationale Mordserie, die mit den NS-Gräueln vor den Toren Triests vor mehr als 75 Jahren zusammenhängt. Ein weiterer fesselnder Laurenti-Krimi mit viel Triestiner Lebenskultur. „Entfernte Verwandte“,
Verlag Piper, 320 Seiten, Preis: € 20,60

Autor:

Sonntag Redaktion aus Kärnten | Sonntag

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ