Caritasdirektor Ernst Sandriesser:
Kindern weltweit Zukunft geben
Im Februar ist Ernst Sandriesser seit einem Jahr Caritasdirektor. Mit Gerald Heschl sprach er über seine Bilanz und die aktuelle Kinderkampagne der Caritas.
Vor ziemlich genau einem Jahr wurden Sie von Bischof Josef Marketz zum Caritasdirektor bestellt. Gleich darauf brach die Corona-Pandemie aus. Wie war dieses Jahr?
Sandriesser: Sehr herausfordernd, aber auch interessant mit vielen schönen Erfahrungen konkreter Hilfe. Am Anfang der Pandemie haben wir gesagt: Wir müssen die Risikogruppen schützen. Dann die Armut bekämpfen, damit aus der Gesundheitskrise keine soziale Krise wird. So haben wir damals eine Solidaritätsmilliarde gefordert. Der dritte Punkt war Bildungsgerechtigkeit. Wir forderten eine besondere Unterstützung für sozial schwache Familien, damit die Kinder nicht durch die Bildungsschere noch mehr benachteiligt werden.
Und heute?
Sandriesser: Ich muss sagen, all das ist eingetreten. Heute sehen wir, wie notwendig diese Forderungen waren. Die In-frastruktur zu Hause entscheidet, ob ein Kind in der Schule mitkommt oder nicht. Deshalb haben wir unsere Lerncafes in sogenannte „Ferncafes“ umgewandelt. Dort konnten wir genau diese Gruppe von Kindern erreichen, die zu Hause keine Möglichkeit haben, via PC dem Unterricht zu folgen.
Die Kärntner Caritas betreibt selbst Schulen. Wie sieht es dort aus?
Sandriesser: Wir spüren jetzt schon, wie es den Jugendlichen geht. Mir hat vorige Woche eine Direktorin gesagt: Die Kinder lachen nicht mehr. Wir merken, dass auch bei uns Kinder und Jugendliche leiden. Das sind nicht immer materielle Probleme, sondern auch seelische. Wir merken aber durch den Digitalisierungsschub, dass es viele Familien gibt, die nicht entsprechend ausgerüsetet sind. Man braucht einen Computer mit Kamera, ausreichendes Internet etc. Noch vor ganz kurzer Zeit waren das Luxusprobleme. Heute geht es aber darum, dass Kinder nicht abgehängt werden und den Anschluss in puncto Bildung etc. halten können.
Die Kinderkampagne unterstützt Kinder aus Osteuropa. Welche Probleme gibt es dort?
Sandriesser: Man kann die Lage durchaus vergleichen. Die Menschen, die wir in Osteuropa unterstützen, gehören zu den sozial Schwächeren. Das heißt, dass sie schon zu kämpfen haben, um die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens zu decken: Lebensmittel, Wohnung, Heizen. Da ist es uns wichtig zu schauen, dass die Kinder Möglichkeiten einer guten Ausbildung erhalten. Wie bei uns geht es auch hier um Bildungsgerechtigkeit. Die Caritas Österreich unterstützt weltweit 90.000 Kinder. Unser Ziel ist es, Kindern weltweit Zukunft zu geben.
Wie spürt man die Corona-Krise in Osteuropa oder Syrien, wo die Caritas auch hilft?
Sandriesser: Schlimm ist es, wenn Kinder einfach wegbleiben. Wir beobachten, dass sie gar nicht mehr in die Schule zurückkommen. Vor allem Mädchen sind betroffen, die mit 12 oder 13 Jahren verheiratet werden. Gerade da ist es wichtig, dass die Eltern durch unsere Unterstützung eine Form von Überbrückung erhalten. Sie können es sich dann leisten, auch ihre Tochter weiter zur Schule zu schicken und ihr eine Ausbildung zu ermöglichen.
Wie funktioniert die Hilfe in Zeiten von Corona?
Sandriesser: Dort, wo es einen Lockdown gibt, sind die Schulen geschlossen. Für viele Kinder war dies aber der einzige Ort, wo es eine warme Mahlzeit gab. Diese fällt nun aus. Dasselbe gilt für die Nachmittagsbetreuung. Dort wurden gemeinsam Hausübungen gemacht, und die Kinder konnten in einer sicheren Umgebung mit Freunden spielen. Auch das fehlt ihnen. Unsere Partner in diesen Ländern schauen, wie die Kinder jetzt zu einem warmen Essen kommen, wie sie lernen können und – was man nicht unterschätzen soll – wie man sie von der Straße weg in eine sichere Betreuung bekommt. Ich bin selbst sehr überrascht, mit wie viel Kreativität dies in Zeiten der Pandemie gelingt.
Kommt die Spende also auch jetzt an?
Sandriesser: Auf jeden Fall! Wir brauchen jetzt sogar etwas mehr, weil die alternativen Betreuungsformen, die wir wegen Corona anbieten, mehr Geld kosten. Dazu kommt die wirtschaftliche Problematik. Die Arbeitslosigkeit steigt, sodass selbst das wenige Geld, das manche Familien vor Corona hatten, nicht mehr vorhanden ist. Man kann sagen, dass jede Spende jetzt doppelt und dreifach wirkt.
Wir haben zu Beginn von den Problemen von Kindern und Jugendlichen in Kärnten gesprochen. Sie sammeln jetzt für Kinder im Ausland. Was tut die Caritas für Kinder in Kärnten?
Sandriesser: Wir setzen uns direkt und indirekt massiv für Kinder und Jugendliche ein. Man kann sogar sagen, dass der Großteil unserer Nothilfe in Kärnten Kindern zugute kommt. Sie müssen folgendes bedenken: Von den 6.500 Kärntnerinnen und Kärntnern, die in unserer Sozialberatung Hilfe erhalten, haben sehr viele Kinder. Dass Familien mit drei oder mehr Kindern in Österreich zu den besonders armutsgefährdeten Gruppen zählen, war ja schon vor Corona so. Man kann sagen, dass wir in Kärnten über diese Hilfe 2.000 Kinder und Jugendliche unterstützen. Dann helfen wir direkt Eltern bei der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder in unseren Beratungsstellen. Das geschieht natürlich abseits der Scheinwerfer der Öffentlichkeit. Das ist gut und wichtig so. Man übersieht aber gerne, wie viel hier geleistet wird.
Hat Corona dies verschärft?
Sandriesser: Ja! Diese Unterstützung hat seit Ausbruch der Pandemie massiv zugenommen. Auch in der Telefonseelsorge rufen derzeit viele Menschen an, die sich Sorgen um ihre Kinder machen.
Autor:Gerald Heschl aus Kärnten | Sonntag |
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