Dietmar W. Winkler zur Weltgebetswoche
Jede Kirche ist ein Mosaikstein

Univ.-Prof. Dietmar W. Winkler ist Professor für Patristik und Kirchengeschichte in Salzburg | Foto: ED Salzburg
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Der gebürtige Kärntner Dietmar W. Winkler lehrt in Salzburg Patristik und Kirchengeschichte. Als ausgewiesener Ostkirchenexperte ist er Konsultor des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen. Im Interview spricht er über die Unterschiede von Ost- und Westkirchen und wie sie einander ergänzen.
von Georg Haab

In Kärnten ist eine gute Ökumene zwischen evangelischen und katholischen Christen gewachsen. Welche weiteren christlichen Kirchen sind in Österreich vertreten?
Winkler: Die ökumenische Situation in Österreich hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Seit den Jugoslawien-Kriegen und durch die Nahost-Konflikte sind viele Zuwanderer aus Ostkirchen zu uns gekommen. In Summe sind diese nunmehr nach den Katholiken die zweitgrößte christliche Konfession, mehr als Protestanten und mehr als Muslime. Die Kenntnis der Ostkirchen ist auch für unsere Religionslehrerinnen und -lehrer wichtig, weil orthodoxe Kinder in vielen Schulen zur Normalität geworden sind.

Welches Grundwissen über die Ostkirchen sollten wir haben, bzw. mit welcher Grundhaltung sollten wir ihnen begegnen?
Winkler: Eine ganz offene Grundhaltung. Der wesentliche Unterschied liegt in einer anderen kulturellen und liturgischen Tradition. Natürlich gibt es auch einige theologische Unterschiede, die aber im praktischen Leben so wenig relevant sind wie jene im Zusammenleben mit evangelischen Christen. Auch hier können wir ökumenische Begegnungen in Offenheit unternehmen. Die westlichen Kirchen – Evangelische und Katholiken – haben eine gemeinsame Art der eher rationalen theologischen Herangehensweise, die Ostkirchen schöpfen aus dem spirituellen Schatz der Kirchenväter und der Liturgie. Man sagt: Was die Ostkirche betet, lebt sie auch.

Sie meinen: Glaube und Leben sind sehr eng miteinander verbunden?
Winkler: Die orthodoxe Kirche hat selbstverständlich auch ihre Dogmatik, aber Theologie soll nicht abstrakt sein, sondern sich konkret auf das menschliche Leben beziehen und pastorale Zugänge aufzeigen. Aus der Tradition heraus kennt sie etwa verheiratete Priester, Bischöfe leben zölibatär. Von ihrem Umgang mit zerbrochenen Ehen können auch wir lernen: Ja, es ist Realität, dass Beziehungen scheitern, aber wir können dann die Menschen nicht allein lassen. Deshalb gibt es die Möglichkeit einer Scheidung und Wiederverheiratung, die keine Konterkarierung der Unauflöslichkeit der Ehe ist, sondern ein Eingehen auf die pastoralen Nöte.

Die Kirchen können voneinander lernen und so einander bereichern?
Winkler: In der Ökumene hat nicht der eine den anderen zu belehren, sondern Ökumenischer Dialog ist ein wechselseitiger Lernprozess. Jede Kirche hat Charismen in das Gesamtkonzert der Kirche einzubringen, die andere nicht haben; keine Kirche ist vollkommen. Jeder Kirche, auch uns, fehlt etwas.
Von den Orientalen lerne ich etwa eine andere Herangehensweise zur Theologie, einen poetischen Zugang im Sinne einer narrativen Theologie. Das hat Jesus auch so gemacht: Hat man ihn gefragt, wie das mit dem Reich Gottes ist, hat er ein Gleichnis, eine Geschichte erzählt und nicht mit abstrakten theologischen Begriffen herumgeworfen. In diesem Sinn sind die verschiedenen Kirchen Mosaikteilchen der einen großen Kirche, und jede braucht die andere.

Was immer wieder schmerzlich in den Fokus rückt: die Christen im Nahen Osten. Dort ist Jesus Mensch geworden, und dort herrscht endloser Krieg. Wo sehen Sie die Konfliktlinien, wo Hoffnung?
Winkler: Das ist von Land zu Land unterschiedlich. In Ägypten und Jordanien ist etwa die Situation für die Kirchen derzeit nicht außergewöhnlich. Anders in Syrien oder im Irak. Die Konfliktlinien sind nicht religiöse, sondern politische. Da gibt es viele externe Akteure: Saudi-Arabien, Iran, Türkei, Russland, Europas ... und dabei geht es um handfeste Politik, um Ressourcen, Wasser und Öl. Wenn dabei Religion eine Rolle spielt, dann, weil sie politisch instrumentalisiert wird. Zwischen diese Mühlsteine kommen die Menschen, Christen und Muslime. Viele sehen aufgrund der Lebensumstände dort keine Zukunft.
Für die Kirchen weltweit ist dies allerdings bedrängend: Wird nämlich die Wiege des Christentums leer, so verlieren wir alle unsere Wurzeln. Die Situation muss politisch gelöst werden, und es ist unser aller Verantwortung, uns um Frieden in der Region zu bemühen. Es ist für alle von Interesse, die Christen in der Region zu halten: Das Grundgebot der Gottes- und Nächstenliebe prägt und kann ein wesentlicher Faktor in der Region sein, der zur Entspannung führt.

Autor:

Gerald Heschl aus Kärnten | Sonntag

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