Paul M. Zulehner über die Amazonas-Synode, Frauenpriestertum und eine neue Kirche
Franziskus will eine synodale Kirche

Foto: riesenhofer, kirchenzeitung

Herr Professor, viele Reformer hier in Europa waren vom nachsynodalen Schreiben des Papstes enttäuscht. Sie auch?
Zulehner: Natürlich habe auch ich erwartet, dass der Papst nicht nur mutige Vorschläge von den Bischöfen einfordert, sondern diese auch unterschreibt. Da muss es einen massiven Widerstand in Rom gegeben haben. Der Papst hat diese Situation genützt, um das Problem auf eine andere Ebene , nämlich die Ortskirchen selbst, zu verlagern. Vielleicht reformiert Franziskus damit die Kirche rascher, als manche meinen.

Ein besonderer Schachzug von ihm?
Zulehner: Er macht klar, dass das alte Papstbild aus dem Ersten Vatikanischen Konzil zu Ende geht. Damals war der Papst quasi ein Monarch. Aber Franziskus sagt: Wir sind eine synodale Kirche mit vielen Kulturen. Die Kirche muss daher viele Gesichter bekommen. Wir haben ja schon viele katholische Teilkirchen, die sehr unterschiedlich sind. Der Papst respektiert die Kulturen als Reichtum der Schöpfung. Die Entscheidungen müssen jene treffen, die diese Kulturen verstehen. Ganz klar sagt er, dass die Römische Kurie das nicht tut. Außerdem wiederholt er das Abschlusspapier und dessen Argumente.

Haben also alle das Papier falsch gelesen?
Zulehner: Ich verstehe den ständigen Dauerfrust der Reformer nicht. Man muss bei diesem Papst genau schauen. Etwa: Wo hat er das Dokument unterschrieben? Nicht im Vatikan, sondern im Lateran. Das bedeutet, dass er als Bischof von Rom gesprochen hat. Er stärkt die Ortskirchen, möchte von ihnen Vorschläge und wenn sie nicht dem Evangelium widersprechen, bestätigt er diese Linie.

Hat man sich zu sehr auf die Priesterweihe Verheirateter und die Diakonweihe von Frauen konzentriert?
Zulehner: Die Gegenüberstellung Ökologie und Pastoral ist grundlegend falsch. Es geht um die Kirche in Amazonien, die durch ihren Schutz des Regenwaldes und der indigenen Bevölkerung den Dienst des Evangeliums leistet. Das ist ein ganzheitlicher Dienst. Das gehört zum Engagement der Christen dazu, wie es schon in „Laudato Si“ steht.

Der Papst will also eine Kirche, die gesellschaftspolitisch hoch aktiv ist?
Zulehner: Ja. Das sehen Sie auch bei uns. Die Katholische Aktion fordert schon seit Langem ein ökosoziales Steuersystem. Es ist überhaupt keine Frage, dass sich die katholische Kirche auch bei uns für das Weltklima einsetzt. Gleichzeitig ist es nötig, dass es lebendige Gemeinschaften des Evangeliums gibt, die aus der Eucharistie leben. Wenn ein Bischof sagt, die Leute haben bei uns keinen eucharistischen Hunger, dann ist für mich Feuer am Dach. Denn natürlich müssen wir zuallererst diese lebendigen Gemeinden fördern, in denen eucharistiehungrig gefeiert wird. Dass die Menschen anders herausgehen, als sie in die Kirche hineingegangen sind.

Was heißt das?
Zulehner: Dass sie als Fußwascher hinausgehen, die dem Volk und dem Land dienen. Das ist die Folge der Eucharistie. Sie ist ja kein religiös verschönter Konditoreibesuch am Sonntag, sondern die Bereitschaft eines Menschen, sich wandeln zu lassen. Wenn derzeit etwa 700.000 Menschen in Österreich am Sonntag in die Kirche gehen, müsste am Montag das Land anders sein.

Und zwar wie?
Zulehner: Auf jeden Fall solidarischer. Die Politik müsste ökologischer sein. Sie müsste dafür sorgen, dass niemand unter die Räder kommt, Kinderarmut überwunden wird, pflegende Familien Unterstützung bekommen oder die Bildung besser wird. Wir hätten so viele Fragen, die weit über die Flüchtlings- oder Islamfrage hinausgehen. Die Kirchen hätten also in diesem Land unglaublich viel politische Arbeit zu leisten. Ich bin sehr dankbar, dass die Katholische Aktion diesbezüglich eine starke gesellschaftliche Stimme darstellt.

Der Papst spricht auch ausdrücklich von neuen Formen der Gemeindeleitung. Was bedeutet das für Österreich?
Zulehner: Zunächst einmal sichert uns die Strukturreform alleine nicht die Zukunft. Es ist so, als wenn ich ein Auto mit einem kaputten Motor habe und ich gebe dem Lenkrad eine Lederumhüllung. Zur Zeit sorgen wir uns primär darum, wie wir die Arbeit der Kirche strukturell so auf die Reihe kriegen, dass es gerade noch geht. Das heißt, wir haben eine Kirchengestalt, die am Sterben ist und so nicht bleiben wird.

Das klingt sehr düster ...
Zulehner: Nein, überhaupt nicht. Ich war in Obervellach und Bad Kleinkirchheim, wo ich viele unglaublich starke Pfarrgemeinderäte getroffen habe. Viele von ihnen übernehmen jetzt schon die Gemeindeleitung, wenn der Pfarrer krank ist. Von denen könnte man sofort einige Leute ausbilden und in ein Priesterteam aufnehmen. Denn die Fragen, die sich für Amazonien stellen, gibt es bei uns auch. Wir müssen jetzt schon anfangen, inmitten der herkömmlichen Gestalt der Kirche eine junge Form aufzubauen – anstatt dem Untergang tatenlos zuzusehen und ihn zu verwalten. Leider war kein einziger Pfarrer aus dem Mölltal dabei. Ich frage mich schon: Interessiert manche Pfarrer die Zukunft der Kirche nicht mehr?

Besonders enttäuscht sind viele darüber, wie Papst Franziskus mit der Frauenfrage umging. Interpretieren Sie auch das positiver?
Zulehner: Vor allem: Ein ganz zen-traler Auftrag des Papstes ist es, die jeweilige Kultur ernster zu nehmen. Ich wünsche mir, dass wir diesen Auftrag in den Mittelpunkt stellen. Für Österreich bedeutet das: In unserer Kultur haben wir einen anderen Zugang zur Würde und zur Rolle der Frau in der Gesellschaft. Wir haben eine emanzipatorische Entwicklung hinter uns. Die jungen Frauen sagen: Wir sind diese Kultur in der Gesellschaft gewohnt – die Kirche hat aber eine völlig veraltete Kultur den Frauen gegenüber. Wenn man den Papst ernst nimmt, so brauchen wir gerade in der Frauenfrage eine Inkulturation des Evangeliums. Paulus sagt ja im Brief an die Galater: Im auferstandenen Christus gibt es keine Unterscheidung mehr zwischen Männern und Frauen.

Was bedeutet das dann Ihrer Meinung nach für eine eventuelle Weihe von Frauen?
Zulehner: Wenn das Amt den Auferstandenen repräsentiert, dann kann es wohl nicht sein, dass man die Weihe vom Y-Chromosom abhängig macht. Das ist eigentlich nicht mehr zulässig. Daher wird sich diesbezüglich auch die katholische Kirche bewegen.

Viele befürchten dann eine Spaltung der Kirche. Sehen Sie das nicht so dramatisch?
Zulehner: Nein, denn man nimmt damit Christus selbst ernst. Er hat seine Auferstehung ja zuerst einer Frau – der Maria von Magdala – anvertraut. Die Jünger sind damals ziemlich belämmert dagestanden und hielten das alles für ein Geschwätz. Hätten wir uns also auf die Männer verlassen und nicht auf die Frau, dann hätten wir heute keine Kirche.

Autor:

Gerald Heschl aus Kärnten | Sonntag

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