Paul M. Zulehner im Gespräch mit Georg Haab
Ein historischer Sprung nach vorn
Überlegungen des Wiener Pastoraltheologen zu den Schritten, die die Synode gesetzt hat, und der noch ausstehenden Arbeit an klar benannten Fragen
Wie schätzen Sie die Synode ein, die nun zu Ende gegangen ist?
ZULEHNER: Es war eine wichtige Etappe auf dem Synodalen Weg der Weltkirche, zu dem Papst Franziskus aufgerufen hat. Es war auch nicht eine der gewohnten Bischofssyno-den, sondern eine Bischofssynode extended, erweitert zu einer Kirchenversammlung eigener Art: eine Volk-Gottes-Synode, in der nicht nur Bischöfe, sondern Getaufte, Frauen und Männer Sitz und Stimme hatten. Das allein kann jene Ortskirchen ermutigen, die wie die Kirche in Deutschland eine Art dauerhaftes „Kirchenparlament“ wünschen und damit Synodalität institutionalisieren.
Zwischen Erwartung und Erfüllung: Was hat sich tatsächlich bewegt?
ZULEHNER: In den vier Wochen dieser Weltsynode ist ein wichtiger Teil der katholischen Weltkirche aus Erfahrung synodaler geworden. Manche bei uns mögen es belächeln: Aber es war ein historischer Sprung nach vorn, dass in der Synodenaula viele Tische für Kleingruppen standen, an denen Frauen und Männer mit Bischöfen und Kardinälen saßen und auf Augenhöhe miteinander berieten. Manche Bischöfe, so Kardinal Mario Grech bei der Pressekonferenz nach dem Abschluss der Sitzungen, kamen wie Eis an den Tisch und schmolzen durch die Erfahrungen nach und nach. Es war für manche Bischöfe, so sagte ein deutscher Bischof, ein richtiges Zuhörtraining. Es könnte sein, dass manche Bischöfe damit verändert in ihre ortskirchliche Amtsführung heimkehren. Auch das wäre ein schöner Erfolg.
Im Vorfeld wurde oft betont, es gehe nicht um eine „Demokratisierung“ der Kirche.
ZULEHNER: Erfreulich ist, dass der Bericht die schroffe Gegenüberstellung von Synode und Parlament verlassen hat. Das macht Sinn, weil ja nicht nur in der Synode der Geist am Werk ist, sondern eben auch in Parlamenten, die um das Gemeinwohl ringen. Das Wirken des Geistes und die demokratischen Spielregeln haben sich gut vertragen. Satz für Satz wurde der Bericht abgestimmt. So wie er vorliegt, haben alle Absätze eine Zweidrittelmehrheit bekommen.
Angekündigt war ja eine Synode zur Synodalität – es ging also um Themen, aber auch um die Methode an sich?
ZULEHNER: Die Synodenarbeit lebte vom Hören auf den Geist und vom Versuch, die Geister zu unterscheiden. Dieses „Gespräch im Geist“ hat wertvolle Erfahrungen gebracht: Man lernte Zuhören, Respekt für die Meinungsvielfalt, konnte den Dissens aushalten. Man musste freilich auch keine Überzeugungsarbeit leisten. Damit ist diese Methode des „Gesprächs im Geist“ allerdings an Grenzen gestoßen. Die Spiritualisierung verursachte eine Art unproduktiver Konfliktvermeidung, es wurden mehr Fragen gestellt als Antworten gefunden. Schon lange anstehende Reformthemen wurden nicht vorangebracht, zugleich aber offiziell als wichtige Fragen anerkannt. Es rächte sich zudem, dass im Vergleich zum Zweiten Vatikanischen Konzil theologische Expertinnen und Experten nicht an den Tischen der Synodenaula saßen. Dem Bericht ist dies am Ende auch klar. Deshalb wird gerade für die „Vertiefung“ der offen gebliebenen Fragen um die Arbeit der Theolog:innen und anderen Wissenschaften gebeten.
Das heißt, ein Teil der Arbeit wurde sozusagen verlagert?
ZULEHNER: Die hohe Zustimmung zum vorliegenden Text wurde dadurch erkauft, dass viele Fragen nicht gelöst, sondern als weiterhin offen benannt wurden. Das bedeutet für das kommende Jahr viel an Arbeit. Offen geblieben ist das Diakonat der Frauen, die Frage nach dem Zölibat, die Sexualkultur, die Genderfrage, die Segnung gleichgeschlechtlich liebender Paare. Das mag einerseits jene enttäuschen, die schon jetzt Entscheidungen erwartet haben. Es wird aber auch jene beunruhigen, welche diese Fragen vom Synodentisch weghaben wollten. Das sind laut Abstimmungszahlen bei sensiblen Fragen mit einem Drittel gar nicht so wenige.
Noch nie haben so viele Frauen an den Beratungen teilgenommen. Sehen Sie hier Fortschritte?
ZULEHNER: Der Bericht sagt ausdrücklich, dass es ein Fehler sei, Frauen in der Kirche als Thema oder gar als Problem zu verstehen. Allerdings kann dieses Kriterium auch auf manche Formulierungen des Berichts selbst angewendet werden. Es gäbe viele Frauen, die sich schon lange in kirchlichen Frauenanliegen positioniert und diese auch theologisch durchdacht haben. Vielleicht wäre es zielführender gewesen, solche herausragenden Theologinnen einzuladen und auf sie im Geist zu hören.
Sie haben vergangene Woche die Befürchtung geäußert, die Kirche befasse sich wieder nur mit sich selbst, statt auf die brennenden Fragen der Welt zu schauen.
ZULEHNER: Dass sich die Synodalversammlung mit Synodalität befasste, ließ befürchten, dass es primär innerkirchliche Reformen gehen werde: wie also Getaufte für ihr Mitwirken am Evangelium gewonnen und angemessen gebildet werden, damit sie ihre Verantwortung wahrnehmen können; wie zugleich Amtsträger eine neue synodale Amtskultur entwickeln können, und zwar schon vor der Ordination, oder wie bei anstehenden Bischofsernennungen synodalitätsfähige Kandidaten gefunden werden können. Der Bericht bleibt erfreulicherweise nicht bei diesen innerkirchlichen Fragen stehen. Die taumelnde Welt war präsent, nicht zuletzt durch Personen, die aus den Krisenherden kamen, aus der Ukraine und Russland, aus Israel und Palästina. Es wurde der Migration hohe Aufmerksamkeit geschenkt, der Schrei der Erde und der Armen wurde gehört. Selbst die Herausforderungen der Informatisierung nahmen breiten Raum ein, und dies auch deshalb, weil Internet und Soziale Medien ein Ort für Influenzer des Evangeliums unter jungen Menschen, zugleich aber auch eine Spielwiese für unerleuchteten Kirchenhass sein können.
Welche Rolle kommt Priestern in einer synodalen Kirche zu?
ZULEHNER: Auf dem Weg der Synodalisierung der Kirche sollen sich künftig, so der Bericht, Diakone und Priester mehr beteiligen. Vielleicht waren viele durch die „Klerikalismuskeule“ abgeschreckt. Der geistliche Begleiter Timothy Radcliff forderte daher eine positive Vision für die Priester in einer synodalen Kirche. Die Priester, noch mehr die Bischöfe, könnten durch Synodalität in ihrer Amtsausübung entlastet werden. Sie könnten so auch in ihrer Einsamkeit entlastet werden, weil andere sie unterstützen und tragen.
Was ist Ihnen im Synodenbericht noch aufgefallen?
ZULEHNER: Hoffnung machen die Passagen über die Ökumene. Es könne nicht nur von anderen Kirchen gelernt werden. Deutlich wird, dass es schon jetzt innerhalb der katholischen Weltkirche eine reiche Vielfalt gibt, die sich durch die Verlagerung von Entscheidungen auf die Ebene der Kontinente oder Ortkirchen noch mehren könnte. Eine solche innerkatholische Ökumene würde der Ökumene der christlichen Kirche einen Anschub verleihen. Eine Synodalisierung des Papstamtes könnte dieses auch für andere Kirchen annehmbar machen.
Welche Möglichkeiten sehen Sie für die weitere Entwicklung?
ZULEHNER: Eine offene Frage bleibt, ob und wie das in vier Wochen gewonnene synodale Kirchengefühl in die ganze Weltkirche diffundieren wird. Der Bericht äußert diese Hoffnung. Er verbindet sie mit dem Anliegen der Inkulturation: dass es im kommenden Jahr gerade in kontinentalen Versammlungen, aber auch in den Ortskirchen neue Impulse zu den offenen Fragen geben werde. Das wäre ein Vorspiel für den wohl bahnbrechenden Erfolg der Synodenversammlung im Jahre 2024, wenn diese Ebenen der Kontinente und der Bischofskonferenzen mit neuen Befugnissen ausgestattet werden könnten. Dann müssten die Kirchen in Afrika nicht mehr der Freistellung des Zölibats in Amazonien zustimmen und osteuropäische Kirchengebiete nicht der Segnung von homosexuellen Paaren. Afrika könnte eine neue Pastoral mit Blick auf die Polygamie entwickeln, was der Bericht ausdrücklich fordert, was historisch ist. Der Reformstau in der katholischen Kirche könnte sich endlich auflösen. Es bleibt also spannend auf dem Synodalen Weg der Weltkirche.
Autor:Carina Müller aus Kärnten | Sonntag |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.