Der Kärntner Bischof im Gespräch mit Anna Maria Bergmann-Müller über das aktuelle kirchliche Leben nach Corona, über den Glauben in Krisenzeiten und die Geduld, die es braucht, um die Hoffnung in Sachen Veränderung nicht zu verlieren.
Lieber Herr Bischof! Als Sie am 2. 2. 2020 zum Bischof geweiht wurden, konnte niemand ahnen, welch schwierige Zeiten auf uns zukommen würden. Da war zunächst Corona, dann folgte eine Krise nach der anderen. Wie nachhaltig hat sich die Pandemie auf das kirchliche Leben ausgewirkt?
Bischof Marketz: An den vielen Reaktionen der Menschen, die mich erreicht haben, konnte ich feststellen, wie sehr Corona unsere Gesellschaft gespalten hat. Der Riss zieht sich durch Familien, er geht aber auch mitten durch die Kirche, durch die Pfarrgemeinden. Viele Menschen haben Corona geleugnet und die Maßnahmen der Regierung kritisiert. Da sind viele Gräben aufgeschüttet worden.
Was kann die Kirche tun, um diese Gräben wieder zuzuschütten?
Bischof Marketz: Es wird viel Geduld und viel Liebe dazu brauchen. Wir sollten aufhören, uns gegenseitig zu beschuldigen, mehr Vertrauen und Verständnis füreinander haben, einander zuhören.
Vor allem zu Beginn der Pandemie waren die Kirchen geschlossen. In manchen Pfarren sind die Kirchenbänke nach wie vor leer. Ministrant:innen bleiben aus, Chöre haben sich aufgelöst ...
Bischof Marketz: Ich sehe das nicht so negativ. Die Coronakrise hat zwar vieles zerstört, gleichzeitig blüht aber auch viel Neues auf. Manche haben aufgehört, andere haben Gruppen und Chöre neu gegründet.
Was braucht es dort, wo die Gotteshäuser und Pfarrhöfe leer bleiben?
Bischof Marketz: Vielleicht fehlen dort gerade die richtigen Leute, Menschen, die begeistern können, die andere einladen mitzutun.
Viele Menschen kehren der Kirche den Rücken, sie treten aus. Wenn kirchliche Feste mit Brauchtum gekoppelt sind, kommen oft auch die wieder, die ausgetreten sind?
Bischof Marketz: Ja, da gibt es offenbar eine Sehnsucht. Dennoch: Die katholische Kirche hat derzeit ein schlechtes Image. Wir wissen das und müssen es zur Kenntnis nehmen. Oft genügt ein kleines Erlebnis oder eine negative Meldung in den Medien und die Bindung ist durchtrennt.
Woran liegt das?
Bischof Marketz: Zum einen sind unsere Moralvorstellungen „nicht von dieser Welt“. Die katholische Kirche vertritt nicht mehr die Vorstellungen der Mehrheit. Das war früher ganz anders. Mittlerweile hat die Kirche ihre Deutungshoheit verloren. Das ist keine gute Entwicklung. Die wahre Krise ist, dass in unserer Gesellschaft Extremstandpunkte vertreten werden, man geht nicht mehr in den Dialog.Wir spalten uns als Gesellschaft ständig.
Was braucht es Ihrer Meinung nach, um diesem negativen Trend entgegenzusteuern? Wie kann man den Menschen gerade in Zeiten wie diesen glaubhaft vermitteln, dass die Kirche, die Pfarre eine wichtige Anlaufstelle für Menschen in vielen Lebenslagen sein kann?
Bischof Marketz: Als Erstes dürfen wir nicht vergessen, dass es uns um Gott geht und um seine Botschaft. Dann sollten wir mehr zusammenstehen. Nicht nur kritisieren. Ich freue mich besonders über engagierte Menschen, solche, die für den Glauben brennen und auch Worte suchen und finden, das auszudrücken. Das ist Verkündigung. Krisen können auch helfen, zu den eigenen Wurzeln zu finden. Ich habe in der schwierigen Zeit des Kommunismus in Slowenien studiert. Da waren die Kirchen voll. Die Leute hatten den Mut, sich bewusst und öffentlich für den Glauben zu entscheiden, der durch das Bekenntnis vertieft wurde.
Kommen wir zur nächsten Krise: Als vor Wochen in den Gemeinden Zelte für Flüchtlinge aufgestellt wurden und einige Bürgermeister menschenverachtende Statements vor laufenden Kameras von sich gaben, da haben viele die Stimme der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit vermisst.
Bischof Marketz: Ich halte nichts davon, Haltungen in der Gesellschaft mit Appellen zu beeinflussen. Das Thema Asyl und Migration findet in der Bischofskonferenz immer viel Beachtung. Die Kirche setzt sehr viele Maßnahmen, beginnend in den Ursprungsländern, in Afrika und in der Ukraine. Das ganze Jahr werden über verschiedene kirchliche Projekte Spendensammlungen durchgeführt. So kann Menschen, die an Flucht denken, bereits in ihrer Heimat geholfen werden. Wir besuchen die Projektpartner vor Ort und können so sehen, was wir mit unseren Spenden bewirken können. Menschen, die gezwungen sind zu fliehen, finden in der Kirche in Kärnten Aufnahme. Nicht wenige Pfarren und auch das Bischöfliche Seelsorgeamt haben Flüchtende aufgenommen. Vor allem sind wir der Caritas dankbar, die uns zeigt, wie wichtig das kontinuierliche Handeln ist. Und nicht zuletzt geht es auch darum, jenen, die bleiben, zu helfen, ihnen zu zeigen, sie sind willkommen, ihnen unsere Bräuche und die Sprachen nahezubringen.
Themenwechsel: In Sachen Klimaschutz, die Kirche spricht von Schöpfungsverantwortung, hat die Kirche tatsächlich eine Vorreiterrolle. Einige Betriebe und Pfarren haben bereits eine EMAS-Zertifizierung für klimaschonende Maßnahmen. Sie sind ein Bischof, den man öfter am Fahrrad als im Auto sieht.
Bischof Marketz: Ja, das stimmt. Die Kirche ist ja Großverbraucher, was die Energie betrifft. Die Pfarrhöfe sind groß, über 1000 Kirchen werden wir nicht mehr mit Strom heizen können. Wir haben uns vorgenommen, bis 2030 energieautark zu werden, also nur mit erneuerbarer Energie zu arbeiten. Zwei Prozent des Budgets der Diözesen soll jährlich für den Klimaschutz verwendet werden.
Weihnachten steht unmittelbar vor der Tür. Durch die Teuerung werden viele Menschen heuer wohl weniger Weihnachtsgeschenke unter dem Christbaum finden.
Bischof Marketz: Kann es sein, dass viele von uns sich in den letzten Jahren viel zu viele Geschenke gemacht haben? Weihnachten ist ja ein Fest, das uns geschenkt ist. Wir sollten uns nicht nur auf Materielles beschränken. Manchen fällt es heutzutage viel schwerer, jemandem Zeit zu schenken, als um 100 Euro Geschenke zu kaufen.
Sie haben einmal gesagt, jeder/jede sollte einen armen Menschen zum Freund haben. Pflegen Sie Freundschaft mit Armen?
Bischof Marketz: Wir denken immer zuerst an Obdachlose, wenn wir von Armut sprechen. Doch es gibt verschiedene Arten von Armut. Ängste, Hoffnungslosigkeit, Streit, Einsamkeit. Das alles führt zu innerer Armut. Ich habe vor Kurzem eine berührende Messe mit Obdachlosen gefeiert. Ja, ich habe Freunde in diesem Kreis. Leo zum Beispiel. Wir begegnen uns von Mensch zu Mensch, ohne Vorurteile, mit viel Vertrauen.
Kommen wir zum aktuellen Kirchenentwicklungsprozess in Kärnten mit dem Titel „Weil Gott Liebe ist ...“ Viele Menschen haben den Glauben daran verloren, dass man in der katholischen Kirche in gewissen Fragen, Stichwort Rolle der Frau, noch etwas bewegen kann. Altbischof Aichern hat dieser Tage einen Geburtstagswunsch zu seinem 90er geäußert: das Frauendiakonat, ja sogar die Priesterweihe von Frauen. Können Sie das nachvollziehen?
Bischof Marketz: Der Kirchenentwicklungsprozess ist mit sehr hohen Erwartungen verbunden. Alles muss ganz schnell gehen und ganz anders werden. Wir brauchen jetzt viel Geduld. Solche weltkirchlich relevanten Fragen lassen sich nicht über Nacht lösen. Wir sollten aber zuerst ins Gespräch über unseren Glauben kommen. Sind wir als Kirche so aufgestellt, dass viele Menschen in ihr vom Evangelium erfahren, sich für das Reich Gottes einsetzen? Welche spirituellen Impulse und organisatorischen Veränderungen brauchen wir dafür?
Am Schluss noch eine persönliche Frage: Woraus schöpfen Sie am meisten Kraft?
Bischof Marketz: In der Vorbereitung auf die Gottesdienste beschäftige ich mich viel mit den Bibelstellen. Dabei finde ich auch für mein Leben und Wirken Antworten, die mir viel Kraft geben.
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