Der talentierte Schispringer ist seit einem Sturz auf der Kulm-Schiflugschanze querschnittgelähmt. Im Gespräch erzählt er, wie sich sein Leben verändert hat und wie er Lebensmut schöpft.
Herr Müller, welche Erinnerungen haben Sie, wenn Sie auf den 13. Jänner 2016 zurückblicken?
Müller: Weil das manchmal fälschlicherweise angenommen wird, an alle: Ich war nie bewusstlos. Der Tag hat gut gestartet, der erste Flug ging gleich über 200 m, und das wollte ich trotzdem nochmals überbieten. Leider bin ich eben beim zweiten Flug mitten in der Luftfahrt aus dem Schuh herausgerutscht und auf dem Rücken aufgeschlagen – in diesem Moment war es schon deutlich, dass ich wohl wahrscheinlich eine Lähmung davontragen werde.
Die Diagnose „inkomplette Querschnittlähmung“, anfangs sicher ein großer Schock, bedeutet für einen medizinischen Laien …
Müller: … eine Verletzung des Spinalkanals in der Wirbelsäule, welche das Rückenmark aber nicht vollständig durchtrennt hat. Es sind definitiv genug Rückenmarksbahnen so stark in Mitleidenschaft gezogen worden, dass keine Impulse übertragen werden können, aber eine signifikante Anzahl an anderen Verbindungen im Rückenmark ist noch unbeschädigt und kann womöglich zu einer Wiedererlangung von Funktionen führen.
Welche Rolle hat Ihre mentale Stärke als Spitzensportler gespielt?
Müller: Ich hatte definitiv einen Startvorteil. Jedoch glaube ich, dass selbst ein Mensch ohne Profisporterfahrung Vergleichbares leisten kann. Für mich war Training normal. In der Therapie waren zu diesem Zeitpunkt eben andere Körperregionen zu trainieren, aber die Abläufe waren mir bekannt – und mir gefällt es nach wie vor, mich anzustrengen.
Warum ist es für Sie mehr als nur ein Muss, beim „Wings for Life-Run“ dabei zu sein?
Müller: Eine Querschnittlähmung ist eine dermaßen einschneidende Verletzung, dass es für mich jetzt zu einer Pflicht geworden ist, mein Möglichstes dazu beizutragen, dass irgendwann eine Heilung für diese Verletzung gefunden werden kann. Selbst, wenn es noch Jahre dauern sollte: Der „Wings for Life World Run“ ist eine sehr unkomplizierte, und gleichzeitig sehr schöne Möglichkeit, die Rückenmarksforschung zu unterstützen, während man gleichzeitig etwas für seinen eigenen Körper macht.
Was machen Sie heute? Sind Sie dem Sport in irgendeiner Weise noch treu geblieben?
Müller: Ich war immer Sportler und werde es wahrscheinlich immer sein. Ich spiele im Sommer Rollstuhlrugby und surfe mittlerweile sitzend, im Winter bin ich als Paraskier auf den Pisten unterwegs. Zusätzlich habe ich die Skisprungtrainer-Ausbildung absolviert und stehe deshalb hin und wieder selbst an der Schanze.
Und wie gestaltet sich Ihr Leben abgesehen von diesen sportlichen Aktivitäten?
Müller: Abgesehen davon studiere ich Sportrecht, bin als Vermögensberater normal berufstätig und will damit zeigen, dass selbst eine Querschnittlähmung mich nicht hindert, einem halbwegs geregelten Leben nachgehen zu können.
Wie begegnen Sie Zeitgenossen, die die Wertigkeit des Menschen nur auf die vollständige Gesundheit wie das Gehen beschränken?
Müller: Glücklicherweise sind solche Menschen relativ selten. Das Einzige, was fast jeder übersieht, sind viele Funktionen abseits des Gehens, die von der Querschnittlähmung genauso betroffen sind: Berührungs-, Schmerz- und Temperaturempfinden, Schwitzen, Stoffwechsel, Sexualfunktion. Das ist aber auch leicht zu erklären; immerhin ist das Gehen die sichtbarste Einschränkung der Querschnittlähmung.
Hadern Sie ab und zu mit Gott, oder war jener Sprung am Kulm ein Wink des Schicksals?
Müller: Es wurde bisher noch keine Zeitmaschine erfunden, somit ist jegliches Hadern eine reine Energieverschwendung. Natürlich wurmt es mich hin und wieder, das ist auch ganz normal. Aber es hält sich zeitlich doch in Grenzen.
Haben Sie eine Lebensphilosophie, die Ihnen den nicht immer leichten Alltag erleichtert?
Müller: Anfangs sieht man so viele Dinge, die einem die Querschnittlähmung genommen hat. Irgendwann kommt aber der Punkt, an dem man beginnt, gewisse Dinge auszuprobieren und man erkennt, dass doch um einiges mehr möglich ist, als erwartet.
Ist es also eine – trotz allem – positive Sicht, die durch den sportlichen Impuls des Probierens noch gestärkt wird?
Müller: Dieses Ausprobieren hat letztendlich dazu geführt, dass ich eine vergleichsweise „ertragbare“ Querschnittlähmung habe, immer noch mit genug Einschränkungen, aber quasi nichts im Vergleich zu Kollegen von mir.
Welche Zielsetzungen und Wünsche stehen auf der unmittelbaren „To do-List“ von Lukas Müller?
Müller: Keine wirklich außergewöhnlichen. Nächstes Jahr soll mein Studium zu Ende gebracht werden; beim „Wings for Life World Run“ will ich die Halbmarathonmarke erreichen und ich will wieder ein Gipfelkreuz mit eigenen Augen sehen. Zusätzlich möchte ich alles aus meinem Körper herauskitzeln, was die Querschnittlähmung zulässt.
Zur Person
Lukas Müller wurde 1992 in Villach geboren. Schon als Kind begeisterte er sich für das Schifahren und Schispringen. Nach Erfolgen in Schüler- und Jugendmeisterschaften wurde er 2008 ins österreichische Springerteam aufgenommen. In der Saison 2009/10 nahm er erfolgreich an der Vierschanzentournee teil, wo er in Oberstdorf sogar den 6. Platz erzielte. Am 13. Jänner 2016 ereignete sich sein Sturz auf der Schiflugschanze am Kulm, bei dem er sich eine inkomplette Querschnittlähmung zuzog. Lukas Müller lebt in Spittal/Drau.
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