Telefonseelsorge in Corona-Zeit
Aufmerksam zuhören gegen die Einsamkeit

Foto: Caritas

Ein christlich geprägtes Menschenbild, Einfühlungsvermögen für jeden Anrufer und emotionale Stärke: Das brauchen dieMitarbeiter der Telefonseelsorge 142 jeden Tag. Sie sind einfach immer da, wenn Menschen Verzweiflung, Einsamkeit und Sorgen über den Kopf wachsen. Gerade in Zeiten von Corona und Lockdowns ein Dauerthema.
von Katja Schöffmann

Die Sehnsucht vieler Menschen nach einem Ende der Corona-Pandemie und den zahlreichen wiederholten Lockdowns ist groß. Was neben der Ungeduld zunimmt, sind psychische und existenzielle Sorgen und Ängte im Alltag und Privatleben. Wenn niemand da ist, dem man seine Sorgen erzählen kann oder möchte, gibt es dennoch einen Ausweg: die kostenlose und vertrauliche Telefonseelsorge unter der Nummer 142.
Silvana Fischer, Leiterin der Telefonseelsorge, erzählt: „Uns gibt es seit Oktober 1977. Der damalige Caritas-Direktor, Viktor Omelko, hat das initiiert. Damit war Kärnten die 5. Stelle, die eine Telefonseelsorge hatte.“
Zum damaligen Zeitpunkt gab es kaum Beratungsstellen im Land. Jeder, der ein Telefon hat, kann sich an die Mitarbeiter von 142 wenden. „Wir nennen das niederschwellig“, formuliert es Fischer. „Ich brauche keine Voranmeldung, es kostet nichts“, nennt sie die Vorteile, die auf der Hand liegen. Ein großer Fortschritt war ca. im Jahr 2000 die staatliche Zuerkennung eines Notrufes. Fischer erzählt von den Anfängen: „Zuerst hatten wir eine vierstellige Nummer. Mit dem Notrufstatus ist es so, dass jeder Anrufer aus Kärnten ohne Vorwahl kostenfrei anrufen kann. Das Besondere ist, dass ein Telefonat mit 142 scheint nicht auf der Rechnung aufscheint.“
So bleibt man anonym, „auch bei Eheproblemen“, nennt Fischer, die seit 2009 die Telefonseelsorge leitet und als stellvertretende Leiterin bereits im Jahr 1993 eingestiegen ist, ein Beispiel.
14.843 Gespräche im letzten Jahr
Was Fischer, ausgebildete Psychotherapeutin, besonders an ihrer Herzensarbeit schätzt: „Das ganz ganz Besondere ist – das kann man sich gar nicht vorstellen – ich lerne Menschen kennen, auch in ihren allerdunkelsten Stunden. Im vergangenen Jahr hatten wir insgesamt 14.843 Gespräche, das sind 40 Anrufe am Tag. Es ist ganz beeindruckend, welche Ressourcen Menschen haben, schwerste Situationen auszuhalten, zu durchleben, sich durchs Leben zu kämpfen.“ Als Psychotherapeutin ist Fischer außerdem in der Beratungsstelle der Caritas tätig. „Es gibt viele Menschen, die so krank und depressiv sind, oder so sehr leiden, dass sie gar keine Beratungsstelle aufsuchen könnten. Mit dem Telefon ist es so, dass sie uns trotzdem erreichen. Das Schönste ist es, zu sehen, es ist so viel möglich auf dieser Welt. Auch wenn der Einzelne sagt: ‚Ich habe keine Ahnung, wie es weitergeht.‘ Man sieht in der Begleitung: Es geht weiter. Es taucht ein Licht auf. Der Anrufer sieht: ‚Ich habe Fähigkeiten.‘ Mit dem Anrufer gemeinsam die eigenen Kräfte zu entdecken – wunderschön.“
Von Einsamkeit bis Verzweiflung
Krisen und Probleme gibt es rund um die Uhr und ohne Pause. Die Bandbreite der Themen umfasst einfach alles. Wann wird der Notruf 142 am häufigsten gewählt? Fischer informiert: „Am späten Nachmittag und abends ist am meisten los. Berufstätige sind tagsüber in ihre Arbeit eingebunden und haben erst am Abend Zeit. Viele werden von ihren Problemen auch einfach ‚überfallen‘. Jahreszeitlich ist rund um die Feiertage eine schwere Zeit. Erfahrungsgemäß vor Weihnachten und im Frühjahr.“
Von Einsamkeit bis Verzweiflung ist einfach alles an Motiven da, weshalb Menschen jemanden brauchen, um ihr Herz auszuschütten.
Überforderte Eltern
„Im zweiten Lockdown haben wir mehr Anrufe als sonst gehabt, denn erstens war es Herbst und zweitens war die Situation für viele Menschen noch einmal schwieriger. Beziehungsprobleme waren immer schon eines unserer Hauptthemen“, erzählt Fischer. Auch Überforderung von Eltern aufgrund des Homeschoolings nahm sehr zu: „Wie schaffe ich das, wenn ich selbst im Home-Office arbeite?“, denken sich viele Eltern. Fischer: „Viele, viele Elternprobleme kamen herein. Ängste, Zukunftsängste haben sehr zugenommen. Anrufe von Menschen, die plötzlich arbeitslos geworden sind, die nie damit gerechnet haben, dass ihnen das passieren kann.“ Im ersten Lockdown „hörten wir, dass Menschen merken: ‚Anderen geht es wie mir.“ Fischer freut eines ganz besonders: „Es ist bei unseren Anrufern eine große Dankbarkeit da, dass sie alles sagen haben dürfen.“ Menschen dürfen ganz ehrlich sein „und merken, dass sie so angenommen werden, wie sie sind“, erzählt Fischer.
70 Mitarbeiter sind derzeit aktiv. „Hauptsächlich sind sie ehrenamtlich tätig, die Hauptamtlichen springen bei Bedarf ein. Wir haben eine eigene Ausbildung, die etwa ein halbes Jahr dauert. Grundwissen, Know-how und regelmäßige Fortbildung sind wichtig. Einmal im Monat gibt es eine Supervision. Fischer: „Lebenserfahrung, persönliche Belastbarkeit und Sich-Abgrenzen-Können sind sehr wichtig.“
Für Kinder da: Rat auf Draht 147
Speziell für die Nöte von Kindern und Jugendlichen und deren Bezugspersonen gibt es seit 3. Oktober 1987 „Rat auf Draht“, die Anlaufstelle für alle Problembereiche der jungen Menschen. Rat auf Draht wird vom SOS-Kinderdorf überwiegend durch Spenden finanziert. Birgit Satke, Leiterin von Rat auf Draht, berichtet über aktuelle Herausforderungen: „Der neuerliche Lockdown bedeutet für Kinder und Jugendliche wieder viele Entbehrungen. Sie vermissen Freunde und ihr gewohntes Leben, sind sich ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft durchaus bewusst.“ Die Verunsicherung ist groß: „Sie haben viele Fragen: Wen darf ich momentan noch treffen? Wann verletze ich Regeln“, berichtet Satke. Rat auf Draht möchte einfach Ängste nehmen und Klarheit schaffen.
Eine anonyme Anruferin, die öfters beim Notruf 142 anruft, schätzt ihn sehr: „Wenn ich nur mehr Schwarz sehe, kommt da ein Licht. Ich wähle die Nummer und jemand hört mir einfach zu. So wird mein Leid gleich leichter.“ Die schönste Bestätigung dafür, wie wichtig Telefonseelsorge gerade in der heutigen Zeit ist, in der immer mehr Individualismus den Ton in der westlichen Gesellschaft angibt. Was oftmals zu Einsamkeit und Verzweiflung führt.

Autor:

Gerald Heschl aus Kärnten | Sonntag

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