Gedanken zum Evangelium: 33. Sonntag im Jahreskreis
Kontraste und Erwartung
Die derzeit laufende Paul-Flora-Ausstellung in der Wiener Albertina und ein Besuch in der Wiener Staatsoper. Beides kommt mir beim Lesen des heutigen Evangeliums in den Sinn. Beides hat auf den ersten Blick nicht viel mit dem Bibeltext zu tun. Aber bei näherem Hinsehen …
Das künstlerische Schaffen Paul Floras umfasst nahezu ausschließlich Zeichnungen mit schwarzer Tusche und Feder. Mit wenigen Strichen konnte er damit Stimmungen erzeugen. Was mich fasziniert, ist, wie er Dunkelheit und Licht wiedergibt: Das Dunkel besteht aus filigransten Schraffierungen, aus zahllosen Strichen, die die Schwärze mehr und mehr hervortreten lassen. Das Licht – ist einfach das weiße Papier. Dadurch, dass ein paar wenige Stellen auf dem Papier frei und unbemalt bleiben, entsteht der Eindruck eines Lichtkegels, eines Laternenscheins oder des Schnees auf den Dächern.
Wäre das Blatt einfach weiß, würde es nicht als Licht erkannt. Und wäre es hellgrau, würde das Weiß, das leergebliebene Stück des Papiers, nicht so deutlich hervortreten. Zuerst muss also hervorgehoben werden, was alles nicht dieses Licht ist, dann erst kann das Licht als Licht erkennbar werden.
Vielleicht ist das genau der Punkt des Evangeliums: Vielleicht müssen Sonne und Mond deshalb finster gemacht werden, um zu zeigen, was alles nicht göttlich ist. Damit wir dadurch erst das Licht, das glanzvolle Kommen Jesu erkennen können.
Ich stelle mir diesen kurzen Moment zwischen Wahrnehmung des Dunkels und dem Anbrechen des Lichts als einen besonderen Moment vor – das Gefühl, plötzlich zu wissen: Das ist das Zeichen, von dem Jesus gesprochen hat. Nun hat das Warten ein Ende, nun kommt der Menschensohn in seiner Herrlichkeit.
Dieser Moment erinnert mich ein wenig (natürlich ist ein solcher Vergleich immer unzureichend und unangemessen) an meine Jugend, wo ich sehr oft in der Oper war und einen Moment besonders liebte: den Moment vor Beginn, wenn im Saal plötzlich das Licht ausgeht. Das Instrumentengewirr verstummt und wenige Sekunden lang liegt eine erwartungsvolle Spannung in der Luft. Alle im Saal wissen: Jetzt beginnt es, gleich geht die Vorstellung los. Manche, die den Moment nicht bemerkten, weil sie so in ihre Gespräche vertieft waren, taten mir dann richtig leid. Denn sie versäumten meiner Meinung nach das Beste.
Zurück zum Evangelium:
Der kurze Moment des Dunkels vor dem Anbrechen des (ewigen) Lichts ist es, der für mich in den Wochen des Advents ein wenig erlebbar wird: der Kontrast zwischen dem (selbstgemachten?) Dunkel und dem immer schon vorhandenen Licht, das nun wieder sichtbar wird. Und ich nehme mir jedes Jahr wieder vor, ihn in wachsamer Erwartung und im Gefühl von Erkenntnis, Vorfreude und Spannung zu verleben – um nicht das Beste zu versäumen.
Autor:Elisabeth Birnbaum aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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