Vorwürfe gegen die Kirche
Verleugnet die Kirche ihre Geschichte?

Ketzer: Jan Hus wird am 6. Juli 1415 auf dem Scheiterhaufen verbrannt.  | Foto: wikimedia, gemeinfrei; Diebold Schilling d.Ä., Spiezer Chronik (1485): Feuertod des Jan Hus in Konstanz.
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  • Ketzer: Jan Hus wird am 6. Juli 1415 auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
  • Foto: wikimedia, gemeinfrei; Diebold Schilling d.Ä., Spiezer Chronik (1485): Feuertod des Jan Hus in Konstanz.
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Wie steht die Kirche zu den dunklen Kapiteln ihrer Geschichte? Zählen doch zum Sündenregister der Menschen in der Kirche auch die Kreuzzüge, die Hexenverbrennungen und der oft brutale Umgang mit den Ketzern. Verleugnet unsere Kirche also ihre Geschichte, wie der Vorwurf oft lautet?

1. Die Kirche verleugnet ihre Geschichte, so der Vorwurf. Wie geht die Kirche mit ihrer Vergangenheit (Ketzer, Hexen, Kreuzzüge, Juden-Pogrome) um?

Regina Polak © kathbild.at/Ruprecht
Univ. Prof. Regina Polak lehrt Pastoraltheologie an der Universität Wien

Regina Polak: Dieser Vorwurf betrifft vor allem die europäische Kirche. Die Hexenverfolgungen, die Kreuzzüge, die Ketzer-Verfolgungen und die Juden-Pogrome sind europäische Phänomene.

Die Theologie hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit dieser Gewaltgeschichte intensiv und selbstkritisch auseinandergesetzt und sich sehr verändert. Dabei hat die Kirche viel gelernt. Das müsste man freilich auch deutlicher kommunizieren. Zugleich führt die – durchaus berechtigte - Empörung darüber nicht wirklich weiter.

Entscheidender wäre, die Ursachen und Dynamiken dieser aus heutiger Sicht schuldhaften Verirrungen und Verfehlungen zu verstehen, um für die Gegenwart und die Zukunft zu lernen. Das könnte auch dazu beitragen, in der Begegnung und der Auseinandersetzung mit den Verfehlungen in islamisch geprägten Ländern nicht hochmütig umzugehen, sondern bei der Lösung der Probleme zu unterstützen. Auch in unseren Konfessionskriegen wurden Menschen gepfählt, geköpft und ermordet.

Matthias Beck
Univ. Prof. Matthias Beck lehrt Moraltheologie an der Universität Wien und ist Priester

Matthias Beck: Ich meine, dass man sich dem stellen muss. Ich würde aber eine ganz vorsichtige Verteidigungslinie ziehen. Ich glaube, wir können uns schlecht in mittelalterliche Menschen hineinversetzen. Ob wir Menschen von vor 400, 500 oder 800 Jahren verstehen können, lassen wir mal dahingestellt. Es ist schwierig, weil wir uns aus ihrer Sicht in ihre Lage versetzen müssten und das ist enorm schwierig bis unmöglich.

Aber im Rückblick müssen wir das ganz deutlich beim Namen nennen: Da gab es Inquisition, Hexenverbrennungen, Kreuzzüge, Zwangstaufen, schlimme und zu verurteilende Dinge. Dafür gibt es aus heutiger Sicht keine Rechtfertigung.

Damit muss man sich wirklich kritisch auseinandersetzen und Fehler beim Namen nennen. Aus unserer aufgeklärten Sicht war das falsch, und das müssen wir deutlich aussprechen. Also alles offen diskutieren, Fehlentwicklungen aufzeigen und nach vorne hin ein besseres, liebenderes und friedliches Christentum verkünden und leben.

2. Hat diese Auseinandersetzung mit der Geschichte stattgefunden?

Regina Polak: Ja, wenngleich auch nicht freiwillig. Der tiefe Schock angesichts der Shoa, als viel zu wenig Christinnen und Christen als Gerechte Widerstand geleistet haben, hat maßgeblich zu dieser Auseinandersetzung beigetragen. Freilich sind die notwendige Reue und auch die Umkehr, die mit diesem Lernen verbunden sein müssen, noch lange nicht zu Ende.

Eine andere spannende Frage ist für mich, wie man all das, was man aus diesen negativen Erfahrungen gelernt hat, in die globale Kirche einspeist, vor allem, was den Antijudaismus betrifft, der in der Pastoral trotz der kirchlichen und theologischen Umkehr nach wie vor anzutreffen ist. Das wird in der Zukunft eine Herausforderung sein. Die europäische Kirche könnte hier ihre Erfahrungen fruchtbar werden lassen.

Matthias Beck: Sie kennen diese Diskussion: Das Aufhängen von Kreuze in den Hörsälen, Schulen, öffentlichen Gebäuden. Dass wäre eine gute Chance gewesen, die Vergangenheit aufzuarbeiten (auch warum das Kreuz manchen Menschen Angst macht) und positiv zu sagen, wofür das Kreuz eigentlich steht. Es steht für Frieden, Liebe, Nächstenliebe, Selbstliebe, Gottesliebe, sogar Feindesliebe. Das ist die christliche Botschaft.

Das hat sogar der Europäische Menschenrechts-Gerichtshof vor zwei Jahren festgestellt: Vom Kreuz geht keine Gefahr mehr aus. Wenn diese ganze Diskussion wieder kommt – religiöse Symbole in der Öffentlichkeit – dann wäre das eine Chance für uns, um aufzuklären:

  • Warum steht das Kreuz für Frieden?
  • Warum hat Jesus nicht zur Waffe gegriffen?
  • Warum hat er sich lieber umbringen lassen?

Man müsste den Menschen und der Kirche zumindest zugestehen, dass sie bereit ist, aus ihren Fehlern zu lernen.

3. Haben wir also aus der (Kirchen-)Geschichte etwas gelernt?

Regina Polak: Ich bin überzeugt davon. Dennoch ist dieser Lernprozess nicht und wohl auch nie zu Ende.

Wenn man z.B. sagt, damals sei die Religion nur aus ökonomischen, sozialen, politischen Interessen missbraucht worden, greift das zu kurz. Auch wenn ich es schwierig finde, das Verhalten unserer Vorfahren mit heutigen Maßstäben zu verurteilen, so muss doch auch gefragt werden: Gibt es bestimmten Formen des Glaubens, der Theologie und der Religion, die Gewalt fördern oder gar verursachen können? So hatten die Kreuzzüge eben auch eine innere religiöse Logik, die Inquisition wiederum war aus damaliger Sicht ein Fortschritt im Rechtssystem. Das rechtfertigt deren Schuld niemals, lässt sie aber besser verstehen. So finden sich in den damit verbundenen Glaubensweisen Formen eines Wahrheitsanspruches, der eigentlich ein Anspruch auf Macht und Durchsetzung ist und andere ausschließt. Und ein solches Wahrheitsverständnis lässt sich ja auch heute noch finden.

Lernen heißt immer auch differenzieren und das Verhalten verändern. Das gilt auch für die heutigen schuldhaften Verfehlungen von Gläubigen, ich denke an Missbrauch, Finanzskandale, Fremdenhass in der Kirche.

Matthias Beck:Die Kirche tut sich mit der Aufarbeitung in manchen Bereichen schwer, aber es ist notwendig. Ich nenne etwas aus der neueren Geschichte. Es kann sein, dass christliche Werte im Staat früher umgesetzt wurden als in der Kirche. Stichwort Europäische Menschenrechtskonvention: Gewissensfreiheit als ein Gut im Jahr 1949. Hat die Kirche erst 1965 unterschrieben, sie hat sich sehr schwergetan mit der Gewissensfreiheit. Darf wirklich jeder so denken, wie er will? Und kann er seinem Gewissen folgen? Obwohl Thomas von Aquin schon im 13. Jahrhundert gesagt hat: Das Gewissen verliert seine Würde nicht, selbst wenn der Mensch sich täuscht.

Es gibt Tendenzen in der Kirche, die gefährlich sind: Mangelnde Aufarbeitung der Geschichte, Denkverbote. Kein freies Reden, keine wirklich offenen Diskurse. Die Kirche müsste Räume schaffen, wo alles diskutiert werden kann und wo nicht sofort gesagt wird: Das ist ja nicht katholisch. Katholisch heißt allumfassend. Das heißt, es kann alles gedacht werden. Und dann wird es sich, wenn man weit genug denkt, schon richtig herausstellen, das Falsche vom Richtigen unterscheiden zu lernen.

4. Ein (geschichtliches) Handeln gegen die Vorgaben Jesu hat oft auch mit Nicht-Wissen zu tun. Wie können die Christen zum eigenständigen Denken ermutigt werden?

Regina Polak: Bildung muss ein ganz zentrales pastorales Thema werden. Dazu gehört die Freiheit, Fragen stellen und Zweifel zum Ausdruck bringen zu dürfen, ohne Angst haben zu müssen, ausgeschlossen zu werden. Dazu gehört das Ernstnehmen der Erfahrungen anderer Menschen, die Fähigkeit zur Selbstkritik und zum Konflikt, das Aushalten von Mehrdeutigkeit und Widersprüchen, auch in sich selbst.

Es braucht Räume des Vertrauens, stabile und belastbare Beziehungen und auch eine fehlerfreundliche Kultur, in der man Fehler machen, aber auch ansprechen und ausdiskutieren kann. Auch das Verhältnis zu Autoritäten müsste sich verändern. Autorität anerkennen bedeutet nicht, blinden Gehorsam zu üben oder sich zu unterwerfen, das fordert ja aus biblischer Sicht nicht einmal Gott.

Autorität anerkennen bedeutet z.B., den Vorsprung an Erfahrung oder die Rolle von Autoritäten und deren Verantwortung wahrzunehmen und zu respektieren, ohne Angst zu haben, auch Kritik zu üben. Vor allem braucht es einen tief verwurzelten Glauben, also eine gelebte Beziehung zu Gott. Eine tiefe Beziehung zu ihm macht mich freier im Denken.

Matthias Beck: Von den Naturwissenschaften geht eine klare Botschaft aus: Offen diskutieren, evidente Ergebnisse veröffentlichen und sich dem Diskurs stellen. Das sollte auch für die Kirche gelten: offener Diskurs, das Denken nicht blockieren. Aber wir gelten nicht als adäquate Gesprächspartner. Wir haben uns Christen selber ein Stück ins Abseits manövriert. Und zwar meinte das Wort „Glauben“ bis 1965 das Auswendiglernen von Sätzen, die die katholische Kirche dir zu glauben aufgibt. Und da sagt der Naturwissenschaftler: Was? Ich denke und du glaubst? Mit dir brauche ich gar nicht zu reden, du hast ja ein System in deinem Kopf, das dir vorgegeben ist.

Ich will aber einen Gesprächspartner, der denkt und der Argumente für den Glauben und die Probleme der Welt hat. Wir brauchen ein aufgeklärtes Christentum und einen aufgeklärten Glauben, der nicht länger als dumm hingestellt wird. Daher ist es gut , dass uns dieser Diskurs durch die säkulare und naturwissenschaftliche Welt sowie durch die Auseinandersetzung mit anderen Religionen geradezu „aufgezwungen“ wird.

Wir brauchen eine aufgeklärte Religiosität, bei der jeder Rechenschaft geben kann von seinem Glauben, nicht mit Floskeln, sondern mit Argumenten.

Serie: Vorwürfe gegen die Kirche

Ketzer: Jan Hus wird am 6. Juli 1415 auf dem Scheiterhaufen verbrannt.  | Foto: wikimedia, gemeinfrei; Diebold Schilling d.Ä., Spiezer Chronik (1485): Feuertod des Jan Hus in Konstanz.
Kreuzzüge: Kreuzritter kämpfen mit Sarazenen (12. Jh.). | Foto: BRITISH LIBRARY/Science Photo Library/picturedesk.com
Autor:

Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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