Biblische Gestalten - Stephanus
Stephanus hat den Durchblick
Er ist bis heute einer der bekanntesten und am meisten verehrten Heiligen: der Diakon und Missionar Stephanus.
Barbara Lumesberger-Loisl, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks, über den ersten christlichen Märtyrer, dessen freimütiges Zeugnis, Gottvertrauen und Vergebungsbereitschaft bis heute zur Nachahmung einladen.
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im
Österreichischen Katholischen Bibelwerk
Er ist der Hauptpatron der Metropolitankirche, unseres „Stephansdoms“, in Wien: der heilige Stephanus, dessen Fest am 26. Dezember begangen wird.
Nur zwei Kapitel in der Apostelgeschichte berichten vom Blutzeugnis, dem „Martyrium“, dieses ersten Jesus-Zeugen der jungen Kirche, der für viele Stephans, Stefans oder Stefanies der Namenspatron ist. Barbara Lumesberger-Loisl, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks, über Stephanus als Beispiel für ein gelingendes Leben aus dem Glauben.
- Was fasziniert Sie an der Gestalt des Stephanus?
BARBARA LUMESBERGER-LOISL: Stephanus hat den Durchblick. Seine Vision kurz vor seinem Tod gibt nicht nur eine Sneak Peek – eine Vorschau – in die himmlische Wirklichkeit, sondern diese Wirklichkeit wird an ihm selbst auch für Andere sichtbar: Seinen Anklägern erscheint sein Gesicht wie das eines Engels (Apg 6,15) – das finde ich faszinierend.
Damit ist Stephanus eine Art Verbindungsglied zwischen Himmel und Erde. Zugleich fordert Stephanus zu einem Perspektivwechsel heraus: Da wird einer trotz einer flammenden Verteidigungsrede wegen seines Glaubens ermordet – eigentlich eine Niederlage. Die Apostelgeschichte aber erzählt eine Heldenstory. Schon der Name Stephanos – das heißt „Siegeskranz“ bzw. „Krone“ – verheißt Großes.
Er wird als Mann voll von Glauben und Heiligem Geist eingeführt; auch Weisheit und ein guter Ruf werden ihm bescheinigt. Damit steht er in bester Gesellschaft: Ganz ähnlich charakterisiert der Verfasser des lukanischen Doppelwerks nämlich Figuren wie Mose, Johannes den Täufer oder Jesus selbst.
So wird klar: Nicht Stephanus als Individuum steht im Vordergrund, sondern Stephanus als Typus, als eines der ersten christlichen Role Models.
- Wie lässt sich sein Wirken in wenigen Sätzen erklären?
Die Kapitel 6 und 7 der Apostelgeschichte sind Stephanus gewidmet: Er hat Leitungsfunktion im Griechisch sprechenden Teil der Jerusalemer Urgemeinde, ist ebenso karitativ in der Armen- und Witwenversorgung wie als geisterfüllter, rhetorisch versierter Verkündiger tätig.
Darüber hinaus tritt er als kraftvoller Wundertäter und Prophet auf – und steht somit den Aposteln in nichts nach. Seinem Glauben bleibt Stephanus bis zuletzt treu und wird damit zum ersten christlichen Märtyrer.
- Warum ist das Schicksal des Stephanus gleichsam eine Zäsur in den Beziehungen zwischen Christen und Juden?
Die Apostelgeschichte insgesamt kreist um die Frage, wieso ein großer Teil des jüdischen Gottesvolks nicht an Jesus glaubt und wie es dazu kam, dass die Verkündigung des Evangeliums auch auf die Völker beziehungsweise Heiden ausgedehnt wurde.
Der Verfasser baut Brücken von Jerusalem nach Rom, zwischen Juden- und Heidenchristinnen und -christen. In dieser Entwicklung markiert Stephanus einen wichtigen Wendepunkt. Sein Tod steht am Beginn der Verfolgung und Vertreibung einiger Jesusgläubiger aus Jerusalem. Ihre Zerstreuung erhält allerdings eine positive Wende: Sie setzt die Verkündiger frei, das Evangelium über die geographischen Grenzen Judäas und schließlich auch über die religiösen Grenzen des Judentums hinauszutragen.
Damit wird eine Entwicklung in Gang gesetzt, die am offenen Ende der Apostelgeschichte alle Völker, das Judentum eingeschlossen, und die gesamte Erde in den Blick nimmt.
- Wie kommt es, dass einer der Sieben – Stephanus – zum „Dienst an den Tischen“ bestellt wird, dabei aber als wortgewandter Verkündiger auftritt?
Die Einsetzung der Sieben soll die Apostel für den Verkündigungsdienst freispielen. Obwohl Stephanus damit besonders mit der Aufgabe der Güterverteilung und Versorgung bedürftiger Gemeindemitglieder betraut ist, heißt das offenbar nicht, dass sein Wirken darauf beschränkt wird. Auch Philippus – ein weiterer „Siebenermann“ – tut sich im Folgenden als Missionar und „Evangelist“ (Apg 21,8) hervor. Die Einsatzbereiche dieser Vorläufer des Diakonats waren breit gefächert.
- Wie deuten Sie die Rede des Stephanus, eine der längsten Reden der Apostelgeschichte?
In seiner Rede rollt Stephanus die Heilsgeschichte Israels von Abraham, über die Mose-Erzählung und Wüstenwanderung des Gottesvolkes bis zum Bau des Tempels auf und zeigt sich dabei als hervorragender Kenner der Schrift. Die Rede dient einerseits der Kritik am Tempel; zugleich aber macht sie klar: Das, was passiert, wurzelt in der Geschichte Israels. Die Christusgläubigen stehen in bleibender Kontinuität zum Judentum.
- Wie kam es dazu, dass Stephanus zum Patron so vieler Kirchen wurde?
Stephanus zählt nicht nur als erster christlicher Märtyrer, sondern gehört auch zu den bekanntesten und am meisten verehrten Heiligen. Schon ab der Spätantike verbreitete sich die besondere Verehrung des Stephanus von Ost nach West. Entsprechend sind ihm viele Kirchen geweiht. Wie zu seinen Lebzeiten so ist Stephanus auch im Tod eine Art Verbindungsglied, um in Kontakt mit der himmlischen Wirklichkeit zu treten.
- Was können Katholikinnen und Katholiken von Stephanus lernen?
Stephanus ist ein Role Model – nicht, weil er das Martyrium sucht oder weil das Leiden an sich einen Sinn hätte, sondern weil er ein Beispiel für gelingendes Leben aus dem Glauben gibt. Vor allem sein freimütiges Zeugnis, sein Gottvertrauen, seine Vergebungsbereitschaft laden zur Nachahmung ein.
Sein Tod wird – mit gläubigen Augen betrachtet – zu einem Hoffnungszeichen. Auch darin folgt er Jesus nach: Der Tod hat nicht das letzte Wort – die Niederlage wird in einen Sieg verwandelt. Das passt zu einem biblisch bezeugten Gott, der das Kleine erwählt und das Niedrige erhöht.
Autor:Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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