Sommer 2020: Tagesausflug – Urlaub im Kleinen
Lernen durch Bewegung und Wahrnehmung
Es liegt in der Natur des Menschen, sich zu bewegen. Eigentlich. Aber in den letzten Wochen war dieses „Sich-Bewegen“ nicht so gut möglich. Jetzt, da wir uns – mit aller gebotenen Vorsicht und Eigenverantwortung – wieder freier körperlich betätigen können, scheint uns kaum mehr etwas zu halten.
Unsere Sommerserie „Tagesausflug – Urlaub im Kleinen“ widmet sich deshalb genau diesem Bedürfnis, sich mehr – und am besten draußen – zu bewegen.
Heute, zu Beginn der Serie, treffen wir Yvonne Müllner, Elementarpädagogin und Geschäftsführerin der Monpti Sportkindergärten und sprechen mit ihr darüber, warum Bewegung Körper, Geist und Seele gar so gut tut. Warum Bewegung ein unabdingbares Erfahrungsinstrument ist. Und wie viel Natur Bewegung eigentlich braucht.
Von Kindern können wir eine Menge lernen. Vor allem, wenn es um das Thema Bewegung geht. „Kinder bewegen sich eigentlich immer. Und sei es ,nur‘, dass sie mit kleinen Sprüngen zum Kasten hüpfen, um sich ein Spiel zu holen“, sagt Yvonne Müllner. Sie ist Elementarpädagogin und Geschäftsführerin der Monpti Sportkindergärten. Kinder in ihrem Bewegungsdrang zu unterstützen, gehört zu ihrem Berufsalltag.
Für die Elementarpädagogik, so Müllner, bildet die Bewegung sogar die Grundlage zur primären Ausdrucks- und Lernform der Kinder. „Kinder lernen durch Bewegung und Wahrnehmung und in keiner anderen Zeit erforschen Menschen mit so viel Begeisterung, Neugierde und Bewegungsdrang ihre Umwelt wie in der frühen Kindheit.
Durch die Wahrnehmung der Umwelt mit allen Sinnen können Kinder diese differenzieren, strukturieren und für sich selbst rekonstruieren.“ Bewegung ist damit auch ein unabdingbares Erfahrungsinstrument. „Davon ist abhängig, wie Kinder die Eindrücke aus ihrer Umwelt wahrnehmen und verarbeiten. Kinder finden dabei viele Bewegungsabläufe durch eigenständiges Tun, Probieren und Üben von ganz alleine heraus, ohne Zutun der Erwachsenen.
Freude, Lust, Erschöpfung oder Energie werden körperlich gespürt und wahrgenommen“, so Müllner: „Und es werden Kompetenzen in vielen Lebensbereichen entwickelt: Regelverständnis, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Entwicklung der Selbstständigkeit und des Selbstwertgefühls. Durch Bewegung machen Kinder Erfahrungen, die das Selbstwertgefühl, das Zugehörigkeitsgefühl und das Kohärenzgefühl – sehr vereinfacht gesagt, das Gefühl, dass etwas stimmig ist, logisch, zusammenhängend und nachvollziehbar, stärken – um nur einige wenige Aspekte zu nennen.“
Lebenslanges Lernen auch beim Thema Bewegung
Bewegung in den Alltag zu integrieren, so wie Kinder es tun – dazu ist es theoretisch nie zu spät, so Yvonne Müllner. „Erwachsene können Manches ,nachlernen‘. Wie erfolgreich sie damit sind, hängt allerdings davon ab, ob der Erwachsene das selbstbestimmt tut oder von jemanden ,aufgetragen‘ bekommt. Aus der Erfahrung wissen wir, dass der Mensch alles zu jedem Zeitpunkt lernen kann, wenn er für dieses Vorhaben ,brennt‘ – dann nimmt er vieles dafür in Kauf, um sein Ziel zu erreichen. Erst vor ein paar Tagen habe ich gelesen, dass eine 75jährige Dame mit dem Laufen begonnen hat, weil sie die Unterhaltungen im Freundeskreis über die Beerdigungen nicht mehr anhören wollte.“
Natur: Sinneseindrücke ohne Ende
Und warum ist es dann noch einmal etwas Anderes, sich draußen zu bewegen? Warum tut es uns so gut, hinaus zu kommen? „Ich denke, dass die Bewegung an der ,frischen Luft‘ dadurch nochmals einen anderen Stellenwert bekommen hat, weil die Zivilisation sich heute hauptsächlich in geschlossenen Räumen bewegt.
Sich in der Natur zu bewegen, eröffnet da einfach noch zusätzliche Sinneseindrücke, die ein geschlossener Raum nicht bieten kann“, sagt dazu Yvonne Müllner: „Der unwegsame Untergrund beim Laufen, der einer Koordination von Augen, Beinen und Gehirn bedarf oder die besondere Wolkenformation, die man gerade beobachten kann. All das sind Dinge, die Kinder gerne wahrnehmen, wenn man sie nur lässt.“ Und auch Erwachsenen tut es bestimmt nicht schlecht, wieder vermehrt auf Kleinigkeiten wie diese zu schauen.
„Die Natur kann meines Erachtens durch nichts ersetzt werden“, sagt Yvonne Müllner: „Nicht umsonst gibt es mittlerweile immer mehr ,Waldkindergärten‘, die den Kindern genau das Erleben in der freien Natur bieten, was in der Stadt nicht geboten werden kann.“ Die Natur sei so vielfältig, nicht nur was die Bewegung betrifft. „Kinder gehen ja grundsätzlich mit offenen Augen durch die Welt und entdecken oft Dinge, die wir als Erwachsene meist gar nicht mehr wahrnehmen. Vor kurzem konnte ich Teenager beobachten, wie sie bei einem Spaziergang ganz fasziniert einer Nacktschnecke beim Kriechen zugesehen haben. Sie haben sie sogar gefilmt.“
Besser drinnen als gar nicht
Allerdings muss man wohl – auch etwa im Hinblick auf die vergangenen Wochen, in denen wir weniger hinaus sollten – auch sagen, dass Bewegung in geschlossenen Räumen besser ist als gar keine Bewegung. Und auch die kleinste Bewegung, wenn etwa aus Krankheits- oder Altersgründen kaum mehr etwas geht, ist besser, als gar keine.
„Aus meiner Sicht müsste eine groß angelegte Studie über die Auswirkungen dieser Pandemie und den damit stattgefunden Lockdowns gemacht werden. Denn ich denke, dass unweigerlich ,negative‘ Aspekte in der Entwicklung der Kinder stattgefunden haben.“ Erwachsene haben aber auch in so einer Situation die Verantwortung ihren Kinder gegenüber, soviel Bewegungserfahrungen Indoor zu schaffen, wie möglich. Der Phantasie seien hier keine Grenze gesetzt.
Etwas zutrauen
Wichtig sei in jedem Fall aber – egal ob drinnen oder draußen – den Kindern, und durchwegs auch sich selbst, in puncto Bewegung etwas zuzutrauen. „In meinem pädagogischen Alltag erlebe ich oft, dass Eltern ihren Kindern zu wenig zutrauen und sie teilweise in ihrer natürlichen Entwicklung und im Austesten der eigenen Grenzen behindern“, sagt Yvonne Müllner: „Natürlich möchte kein Elternteil, dass seinem Kind etwas passiert bzw. es sich verletzt, aber man sollte schon auch darüber nachdenken, dem Kind – dem Alter und der Entwicklung entsprechend – Selbstverantwortung zu übertragen.“
Immer wieder bemerke sie nämlich in ihrem Berufsalltag, dass Kinder durch die mangelnde Bewegung und Motorik Schwierigkeiten hätten, sich sicher zu bewegen. Durch diese mangelnde Sicherheit bestehe dann natürlich auch mehr Verletzungsrisiko. „Wenn man als Elternteil seinem Kind etwas zutraut, wird das Kind lernen, seine eigenen Grenzen wahrzunehmen und sich in diesem Rahmen zu bewegen. Beziehungsweise wird man manchmal wohl auch die Grenze überschreiten, was aber wiederum einen gewaltigen Entwicklungsschritt – in der Pädagogik ,Magic Moment‘ – genannt, bedeuten würde.“
In der freien Natur
Ganz in diesem Sinne möglichst viel Bewegung draußen in der freien Natur zu machen, ist das Ziel unserer heurigen Freizeit-Sommerserie „Wir fliegen dann mal aus…“.
Gemeinsam mit meinem mittlerweile bereits 12-jährigen Sohn und meinem Mann werde ich kleinere und größere Wanderungen in und rund um Wien unternehmen. Wir wollen uns richtig viel bewegen, Natur pur erleben, aber auch spirituell draußen Kraft tanken – natürlich alles mit der derzeit immer noch gebotenen Achtsamkeit und ausreichend „Social Distancing“. Im „SONNTAG“ werden wir davon berichten.
Autor:Andrea Harringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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