Biblische Gestalten - Tobit und Tobias
Erwarte das Unerwartete

Tobias heilt seinen Vater: Werkstatt des Rembrandt Harmensz. van Rijn, 1636, Staatsgalerie Stuttgart. | Foto: Staatsgalerie Stuttgart
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  • Tobias heilt seinen Vater: Werkstatt des Rembrandt Harmensz. van Rijn, 1636, Staatsgalerie Stuttgart.
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Gottes Wege und Ideen für unser Leben sind oft höchst überraschend und wirken heilvoll, wo wir es vielleicht gar nicht mehr erwarten. Diese hoffnungsvolle und frohmachende Botschaft ist einer der vielen wunderbaren Aspekte des Buches Tobit. Die Lebensgeschichte des gottesfürchtigen Tobit, seines Sohnes Tobias und deren Familie (wieder einmal) zu lesen ist aber nicht nur deshalb eine gute Idee.

"Gott ist gut" – für Tobit und seinen Sohn Tobias ist die Bedeutung ihres Namens gleichsam Lebenskonzept. Sie schlagen sich durchs Leben, trotzen sämtlichen Schicksalsschlägen, nehmen alle Herausforderungen an – nicht immer mit Freude, nicht immer mit Optimismus, manchmal sogar mit großer Verzweiflung und noch größerer Ratlosigkeit, aber immer mit dem tiefen und klaren Bewusstsein, dass sie nicht tiefer fallen können als in Gottes Hand.

  • Das Buch Tobit beinhaltet viele geradezu magische Momente – was ist die Botschaft des Buches Tobit?
Tobias Nicklas
ist Lehrstuhlinhaber für Exegese und Hermeneutik des
Neuen Testaments der Universität Regensburg

TOBIAS NICKLAS: Das Buch Tobit ist tatsächlich voller magischer Momente und ist an vielen Stellen wirklich auch unterhaltsam – ja geradezu ironisch.

Wir lesen von einer Hochzeit, die im Himmel geschlossen wird, einem verliebten Dämon oder von einer Stadt, in der die Leichen auf der Straße liegen und einem gefährlichen Fisch, dessen Eingeweide heilsam sind und böse Geister vertreiben kann. Und wir hören von einem Schutzengel, der in schwierigen Situationen unerkannt an Tobias Seite steht.

Die Nähe zum Märchenhaften wurde dem Buch Tobit früher immer wieder zum Vorwurf gemacht. Ich meine aber, dass Theologie durchaus unterhaltsam sein kann und darf. Warum sollte es nicht so sein?

  • Gibt es einen Schlüsselmoment, eine Schlüsselszene im Buch Tobit – und wenn ja, welche ist das?

Wir sollten meiner Meinung nach große Texte nie auf eine Dimension reduzieren – sie wachsen beim Lesen immer neu. Vielleicht aber ist der wichtigste Gedanke der, dass Gottes Wege und Ideen für unser Leben höchst überraschend sein können und dass er heilvoll wirkt, wo wir es nicht mehr erwarten.

Das Buch Tobit ist ein Text über Gottvertrauen und Gottes Nähe, auch da, wo er sehr, sehr fern wirkt. In den Ideen darüber, was es heißt, ein wirklich gerechter Mensch zu sein, findet sich vieles, was uns an die Bergpredigt Jesu erinnern mag.

Je nachdem, was man besonders betonen will, ist der Schlüssel vielleicht schon im 3. Kapitel zu entdecken, wo Tobit und Sara – weit voneinander entfernt – meinen, ihr Leben habe keinen Sinn, und nur noch den Tod erwarten. Beider Situationen scheinen alternativlos: doch Gottes heilsame Kraft führt sie zusammen und schafft dadurch eine unerwartete Lösung.

  • Was sind Tobit und Tobias für Menschen? Was sind ihre Stärken und Schwächen?

Die Hauptfiguren der Erzählung sind im Grunde alle Entwurzelte, die – aus der Welt, in der es möglich ist, nach Gottes Willen zu leben, entrissen – versuchen, „gerecht“ nach Gottes Wille zu sein.

Tobits Mut paart sich mit einer Kompromisslosigkeit, die an Starrsinn grenzt, sein Gottvertrauen scheint – nach seinen Negativerfahrungen – eigentlich grundlos. Und doch gehen die Dinge gut. Im vierten Kapitel bietet Tobit seinem Sohn noch einmal ein Vermächtnis, wie man sich angemessen zu verhalten hat.

Tobias’ Vertrauen in den Unbekannten, der sich als Engel Raffael entpuppen wird, wirkt geradezu naiv – im Grunde leben beide Figuren davon, dass sie sich wider besseren Rat von außen in die Hand Gottes fallen lassen.

  • Wie ist es zu beurteilen, dass Tobit und Tobias Familie, Vorfahren, Familienzugehörigkeit so wichtig sind?

Der Fokus des Tobitbuchs auf der Bedeutung von Familie und der Verwandtschaft gehört für mich zu den problematischeren Aspekten der Schrift. Dies heißt nicht, dass uns nicht auch heute Familie und Verwandtschaft wichtig sein sollen – bei Tobit aber ist die Sorge vor der Berührung mit der Außenwelt, die sich darin zeigt, dass Tobias unbedingt eine Braut aus der eigenen Verwandtschaft braucht, doch geradezu obsessiv.

Das hat sicherlich mit der besonderen Situation zu tun, für die das Buch wohl geschrieben ist: der Gefahr, in einer Diasporasituation das zu verlieren, was man als eigene Identität erfahren hat. Damit steht Tobit Schriften wie Esra-Nehemiah nahe, die jede Vermischung der Kinder Israels mit den Völkern zu unterbinden suchen.

Am anderen Ende des – alttestamentlichen – Spektrums stehen dann Gedanken von einer endzeitlichen Überwindung der Schranken zwischen Israel und den Völkern, wie wir sie z.B. in der Jesaja-Apokalypse finden.

  • An zwei Stellen im Buch wird ein Hund beschrieben, der Tobias und Raffael begleitet. Ist das nicht eher ungewöhnlich in der Bibel – ein tierischer Begleiter?

Die Frage, was es denn mit dem Hund auf sich hat, bleibt ein großes Rätsel. Wir erwarten von Erzählungen, dass sie „aufgehen“, dass jeder Erzählfaden aufgelöst wird und jedes Motiv seinen Sinn hat. Mit dem Hund bei Tobit ist das nun überhaupt nicht der Fall.

Natürlich können wir spekulieren, ob er aus einer früheren Form der Erzählung, in der er eine wichtige Rolle spielte, stehen geblieben ist. Wir können darüber nachdenken, welche Assoziationen sich mit Hunden in der Geschichte Israels verbanden … oder wir können – wie viele Maler, die sich mit der Tobitgeschichte beschäftigten, den Hund als ein rätselhaftes Motiv stehen lassen, das uns einen Farbtupfer mehr in eine erzählte Welt hinein bietet, die wir nie ganz verstehen werden, vielleicht aber auch nicht müssen.

  • Warum würden Sie unseren Leserinnen und Leser empfehlen, das Buch Tobit – wieder – einmal ganz bewusst zu lesen?

Das Tobitbuch sollte man tatsächlich – wieder einmal – lesen. Ganz in Ruhe. Die neue Einheitsübersetzung der Bibel bietet zum ersten Mal eine Übersetzung der Langform, die noch mehr an schöneren Details bietet als die Kurzform, die in der alten Übersetzung wiedergegeben wurde.

Und: Tobit eignet sich auch für Kinderbibeltage, die nicht nur erbaulich sein sollen, sondern in denen man Kindern auch spannende wenig bekannte Seiten der Bibel zumutet, Seiten, die von Wagnis, sich auf den Weg machen, Gefahr – und Geborgenheit sprechen.

Serie „Biblische Gestalten"

Tobias heilt seinen Vater: Werkstatt des Rembrandt Harmensz. van Rijn, 1636, Staatsgalerie Stuttgart. | Foto: Staatsgalerie Stuttgart
Experte Tobias Nicklas ist Lehrstuhlinhaber für Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments der Universität Regensburg | Foto: privat
Autor:

Andrea Harringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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