Mein Kraftort_2: Erzdiözese Wien
Die Rotkreuz-Kapelle der Kaiserin
Diese Woche führen wir Sie zu eher unbekannten „Kraftorten“ des kirchlichen Jugendstils in Wien und Niederösterreich: Nicht die berühmte „Kirche am Steinhof“ oder die dem heiligen Karl Borromäus geweihte „Lueger-Kirche“ am Zentralfriedhof sind unser Ziel, sondern drei echte „Geheimtipps“.
Wer vom Wiener Naherholungsgebiet Donauinsel mit seinen Restaurants und Bars über die Reichsbrücke fährt, sieht links die dem heiligen Franziskus geweihte Kirche am Mexikoplatz. Mich beeindruckt jedesmal der wuchtige, aber schmucklose Bau, der im Inneren eine Kostbarkeit verbirgt und seine Entstehung auf den Uferwiesen der Donau, was sich heute noch am unebenen Kirchenboden zeigt, dem 50jährigen Thronjubiläum Kaiser Franz Josefs verdankt.
Romanik & Jugendstil
Als Fan kirchlichen Jugendstils lässt man diese überbordende Pracht gerne auf sich wirken. Umso mehr bin ich beim Betreten der Kirche von der U-Bahn-Station Vorgartenstraße aus (derzeit vormittags und zu den Gottesdienstzeiten geöffnet) von der Schlichtheit des großen Kirchenraumes überrascht. In der Vierung links vorbei am zarten Baldachinaltar, der 1913 für den „Eucharistischen Kongress“ entstand und danach viele Jahre hier als Hochaltar verwendet wurde, komme ich zum „Schatzkästchen“ der Kirche, das allerdings nur gegen Voranmeldung zu betreten ist: die Elisabethkapelle.
Im etwas erhöhten Kapellenraum im Westschiff der Kaiserjubiläumskirche fühle ich mich ob der neoromanischen Architektur des achteckigen Zentralbaues mit Emporen in eine italienische Basilika, etwa nach Ravenna, versetzt. Gegenüber dem Eingang, über dem am Gittertor das Wappen des Roten Kreuzes im Doppeladler prangt, springt mir sofort das kolossale Mosaikbild der hl. Elisabeth von Thüringen im Stil der Zeit ins Auge. Darüber ziehen acht Jugendstilengel mit Lorbeerkränzen meinen Blick nach oben in die 13,5 Meter hohe Kuppel, in der, umgeben von den vier Evangelisten, auf blauem Grund ein riesiges Kreuz prangt. Die Wölbung des Altarraumes schmücken Cherubine, deren Flügel als Sinnbild für die Allwissenheit Gottes mit Pfauenaugen geschmückt sind. In der Mitte reicht die Hand Gottvaters dem über dem Tabernakel thronenden Sohn nach altchristlicher Tradition den Lorbeerkranz für sein Erlösungswerk. Die reich dekorative Ausstattung, die vom farbigen Marmorfußboden in Cosmaten-Art über den großen Reifluster und viele weitere Beleuchtungskörper mit irisierenden Jugendstilgläsern bis zu den Weinrankenmosaiken reicht, erinnert an die Aachener Pfalzkapelle.
Auch vom Roten Kreuz vergessen?
Ihre Entstehung verdankt das prachtvolle Kleinod dem traurigen Anlass der Ermordung Kaiserin Elisabeths im September 1898 in Genf. Mit ihrem Tod hatte auch das Rote Kreuz seine erste Patronin verloren. Ihre Nachfolgerin als Patin des Hilfs- und Rettungsdienstes, Erzherzogin Maria Theresia, regt daraufhin den Bau einer Gedächtniskapelle als Zubau zur Kaiserjubiläumskirche an. Eine Spendensammlung des Roten Kreuzes in den Ländern der Habsburger-Monarchie erbrachte die unglaubliche Summe von mehr als 348.000 Kronen. Im Vergleich dazu kostete die Kronen-Zeitung damals 4 Heller (100 Heller = 1 Krone). So konnte die Kapelle statt mit Fresken mit Mosaikbildern geschmückt und die Wandverkleidung statt in Stuck in Marmor ausgeführt werden. Und sie wurde bereits acht Jahre nach der Grundsteinlegung im Juni 1908 geweiht, während der übrige Kirchenbau erst mehr als fünf Jahre später fertiggestellt werden konnte.
Hauch der Geschichte
Ich setze mich in eine der hinteren, mit Intarsien und geschnitzten Delfinen verzierten Sitzbänke, lasse das Gesamtkunstwerk auf mich wirken, werde ganz ruhig und „atme Geschichte“. Fast habe ich das Gefühl, als würde gleich ein Rot-Kreuz-Mitarbeiter um die Ecke kommen und um eine Spende für den Rettungsdienst bitten. Aber ich bin allein und denke, dass sogar das Rote Kreuz selbst auf seine Kapelle vergessen hat. Mich beeindruckt besonders, wie hervorragend es die Künstler vor 100 Jahren verstanden, den monumentalen Kapellenbau im neuromanischen Stil trotzdem in der Bildersprache der Zeit (Sezessionismus, Jugendstil) auszustatten. Allen voran der 1875 in Wien geborene Mosaikkünstler Karl Ederer.
Weitere Jugendstilkirchen in Niederösterreich
Pfarrkirche Pressbaum
Wer über die Westautobahn nach Wien kommt, erreicht etwa 20 km vor Auhof die Ausfahrt Pressbaum. In der dortigen Gemeinde befindet sich die wohl schönste Jugendstilkirche in Niederösterreich. Die in nur zweijähriger Bauzeit nach Plänen der Architekten August Rehak und Max Hegele errichtete Kirche besticht durch ihre
architektonische Klarheit. Der nach Südosten ausgerichtete Saalbau mit eingestelltem Nordfassadenturm ist im reinen Jugendstil errichtet. Einfache stilisierte Spitzbogen- und Rundbogenfenster sowie Strebepfeiler an den Längswänden erwecken Assoziationen an die mittelalterliche Bauweise. Die Saalkirche hat ein 4-jochiges Langhaus mit Querschiff und einen eingezogenen Chor, an den die Sakristei sowie eine Traukapelle angebaut ist. Westseitig am Langhaus befindet sich noch eine vorspringende halbkreisförmige Marienkapelle. Die Giebelfassade wird durch eine vorgestellte Vorhalle mit Balustrade gestaffelt und dadurch aufgelockert.
Keine Engel, die wie Fledermäuse aussehen!
Allerdings wurde die von den Architekten geplante secessionistische Einrichtung nur teilweise umgesetzt. Heute befindet sich in der Pfarrkirche ein holzgeschnitzter neugotischer Hochaltar, den der damalige Pfarrer Franz North selbst finanzierte, damit, wie in der Pfarrchronik von ihm zu lesen ist, „die Engel nicht wie Fledermäuse aussehen“.
Pfarrkirche Enzersfeld
Auch nördlich der Donau finden sich versteckte Jugendstilelemente in einer Kirche. Die Kirche der heute vom Schottenstift betreuten Pfarre Enzersfeld im Weinviertel wurde ebenfalls in den Jahren 1908–1909, in diesem Fall nach Plänen von Architekt und Baumeister Josef Schmalzhofer erbaut. Die Pläne für die Innengestaltung stammten von Richard Jordan. Bei der Renovierung des Kirchenraumes im Jahre 2016 staunten die Pfarrmitglieder nicht schlecht, als unter den 1959 übermalten Wänden die aus dem Jahr 1909 stammenden Jugendstilgirlanden sichtbar wurden.
Autor:Wolfgang Linhart aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG |
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